Bücherwurmloch

Hanna Bervoets: Dieser Beitrag wurde entfernt

„Na, Liebes, dann hast du doch alles getan, was du konntest?“
Kayleigh schreibt einen Brief an einen Anwalt, einen langen, ausführlichen Brief. Denn dieser Anwalt klagt im Namen von Kayleighs Ex-Kolleg:innen ihren früheren Auftraggeber Hexa. Kayleigh will bei dieser Klage nicht mitmachen und beschließt, zu erzählen – wie sie bei dieser Firma gelandet ist, worin ihre Arbeit bestand, was passiert ist zwischen ihr und Sigrid und den anderen. Sie haben digitale Gewalt gesichtet, einsortiert und gelöscht: Selbstverletzung und Tierquälerei, Kindesmissbrauch und Pornografie, Videos und Fotos und Sprüche. Es gab dabei strenge Richtlinien, und sie mussten in Sekundenschnelle entscheiden. Pausen durften sie kaum machen, der Druck war enorm hoch. Kein Wunder also, dass sie viel tranken und wenig schliefen, die Bilder haben sie überallhin verfolgt. In Sigrid hat Kayleigh sich verliebt, aber letztlich konnte in einem solchen Umfeld nichts Positives Bestand haben. Und am Ende zeigten sich unschöne Wahrheiten …

Die niederländische Autorin Hanna Bervoets entfaltet auf gerade mal 100 Seiten ein Psychogramm der Neuzeit, das zugleich eine scharfe Gesellschaftskritik darstellt: Sie beleuchtet eine moderne Tätigkeit, eng verwoben mit dem Hass im Netz. Denn was wir an der Oberfläche mitbekommen – jemand wird gesperrt, ein Post wird gelöscht, ein Account eingeschränkt –, geschieht an der Basis durch menschliche Arbeit. Jemand sitzt da und muss alles, was gemeldet wird, anschauen und beurteilen. Da sind unvorstellbar grausige Dinge dabei. Auch Berit Glanz hat sich in ihrem neuen Roman Automaton dieser Beschäftigung gewidmet, bei ihr waren es allerdings eher „ereignislosere“ Videos von Überwachungskameras, die kontrolliert werden mussten. Was Literatur hier schafft, ist, einen Einblick zu geben in die prekären Umstände, unter denen Menschen arbeiten, wie austauschbar sie sind, wie das System ausbeutet, psychisch zugrunde richtet und, wenn sie nicht mehr können, durchwechselt. Dieser Beitrag wurde entfernt mag ein schmaler, fiktiver Roman sein, gleichzeitig ist die Geschichte so viel mehr: Sie berichtet von Kapitalismus und menschlichen Abgründen, von der Suche nach Zusammenhalt und dem Absturz in Süchte als Realitätsflucht. Sehr beeindruckend, unbedingt lesenswert.

Dieser Beitrag wurde entfernt von Hanna Bervoets ist erschienen bei Hanser.

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