Bücherwurmloch

Evi Simeoni: Rückwärtssalto

„Ich habe nie verstanden, warum immer nur die schlechten Erfahrungen uns prägen“
Als Antonia in den 1970er-Jahren ein kleines Mädchen ist, wird sie von einem Trainer „entdeckt“: Sie ist vielleicht dünn, biegsam und ehrgeizig genug, um als Turnerin Erfolg zu haben. Antonia, die zuhause bei den Eltern und den zwei Brüdern kaum Zuwendung bekommt, blüht unter der Aufmerksamkeit des Trainers auf. Sie übt, sie hungert, sie kasteit sich, sie bringt ihren Körper an jede nur erdenkliche Grenze. Antonia kämpft: um die Liebe ihrer Mutter Elsa, um die Anerkennung von Trainer Henz, um sportliche Triumphe, die beinahe unmenschlich scheinen. Vierzig Jahre später begleitet Antonia ihre Mutter in deren letzten Lebensmonaten in einem Altenheim. Die beiden führen Gespräche, reden endlich über alles, was damals geschehen ist, kommen einander nahe – und auch wenn sie vielleicht nicht zu einer Versöhnung in der Lage sind, erkennen sie doch zumindest die Muster, die ihrem Verhalten zugrunde lagen.

„Antonia wunderte sich immer wieder, dass diese Momente, die alles veränderten, so unscheinbar dahergeschlichen kamen. Man machte es sich gemütlich und merkte nicht, wie das Schicksal sich zusammenduckte und seine Krallen schärfte.“

Evi Simeoni ist eine mit Preisen bedachte Sportjournalistin und schreibt beeindruckende Bücher, die von Extremsport handeln. Ihr erster Roman Schlagmann hat mich begeistert, mit Rückwärtssalto hat sie mich erneut sehr beschäftigt: Ich musste viel über dieses Buch nachdenken. Über die Verrücktheit von uns Menschen, dass wir in sportlichen Bereichen Utopisches von Körpern verlangen, die dazu – wenn überhaupt – nur durch unverhältnismäßige Opfer oder Doping in der Lage sind. Die Spätfolgen sind heftig: Diese Körper, die solche sportlichen Ziele erreicht haben, sind hinterher kaputt. Heftig ist auch die Mutter-Tochter-Beziehung im Buch, getragen von alten patriarchalischen Vorstellungen, von Neid und der Unfähigkeit, es besser zu machen als die eigenen Eltern. Antonias Brüder werden bevorzugt, Antonia soll – wir schreiben die Siebziger – ihren Platz kennen, sie wird nicht gefördert, nicht unterstützt. Das zu lesen, ist schmerzhaft und bitter. Die Rahmenhandlung, in die die Erinnerungen an Antonias eingebettet sind, ist geprägt von einer Aussprache, von Vorwürfen, von Einsichten, die Jahrzehnte zu spät kommen – aber auch von Erlösung.

Rückwärtssalto von Evi Simeoni ist erschienen bei Klett-Cotta.

 

 

 

 

 

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