Für Gourmets: 5 Sterne

Evi Simeoni: Schlagmann

„Wenn du das Quälende nicht abschaffen kannst, musst du dich selbst abschaffen“
In der Sportwelt ist Arne ein Held. Er ist Ruderer, ein Bild von einem Mann, groß, blond, muskulös, fokussiert und unfassbar stark. Es ist seine Kraft, die die Rudermannschaft des Achters von Sieg zu Sieg zieht und bis auf das Siegerpodest bei den Olympischen Spielen bringt. Außer dem Sport gibt es nichts, was Arne etwas bedeutet. Er ist völlig schmerzunempfindlich und holt stets noch mehr aus seinem Körper heraus, als dieser leisten kann: „Die ersten harten Schläge fühlen sich immer ein bisschen zu mühelos an, man täuscht sich leicht. Der Schmerz kommt plötzlich wie ein Brenneisen. Er bildet sich irgendwo in den Knochen und Gelenken, gräbt sich in die Muskeln und dann ins Gehirn. Immer wieder registriert er fast freudig, wie weh es tut.“ Der Sportjournalist Paco Müller verfolgt die Karriere von Arne – und will viele Jahre später das Geheimnis um dessen überraschenden Tod ergründen, weil es ihn nie losgelassen hat. Warum ist dieser kräftige Mann gestorben? Wieso konnte ihm niemand helfen? Müller macht sich auf die Suche nach Antworten, die er – zu Recht – bei Arnes damaliger Freundin Anja und seinem Ruderkollegen Ali vermutet. Er braucht nicht viel, um die beiden zu überzeugen, mit ihm über Arne zu sprechen, denn sie tragen immer noch schwer an dem, was geschehen ist: Als Arne den Sport verlor und in der Folge sich selbst, als er immer weniger wurde und sprichwörtlich verschwand. Anja hatte ein gutes Leben, aber sie kann Arne nicht vergessen: „In meinem Leben spukt es, und das Gespenst trägt den Namen Arne. Ich weiß nicht, warum das nicht vergeht. Je mehr ich darüber nachgedacht habe, umso mehr ist seine Persönlichkeit in meiner Erinnerung verschwunden. Ich weiß nicht, wer Arne war. Aber der Schmerz, den er mir verursacht hat, hört nicht auf.“ Abwechselnd rekonstruieren Anja und Ali eine Vergangenheit, in der sie im Schatten des hünenhaften Arne standen – und hilflos zusehen musste, wie dieser Schatten kleiner wurde, weil Arne sich unbarmherzig selbst vernichtete. „Es gab keinen Ausweg. Ali und ich ahnten beide, dass Arne mit vollen Segeln auf seinen ganz persönlichen Abgrund zusteuerte. Er hatte uns nicht gebeten, auf diese unheilvolle Reise mitzukommen, wir versuchten auszusteigen, aber wir schafften es nicht. Er war wie ein Captain Ahab ohne Wal – und wir waren seine Matrosen.“

Die Sportjournalistin Evi Simeoni zeichnet in Schlagmann das eindringliche, kluge und aufwühlende Porträt eines Mannes, der eine so große Leere in sich spürt, dass er sich von ihr verschlucken lassen muss. Während seiner großartigen und beeindruckenden Sportlerkarriere kann er den Wolf in sich mit Training, mit Härte und Schmerz füttern, doch nach dem Ende als Ruderer bleibt ihm nichts. Protagonist Arne tritt selbst nicht mit seinem Innenleben in Erscheinung, ich lerne ihn nur durch die Augen jener kennen, denen er etwas bedeutet hat. Anja, das Mädchen, das trotz aller Abweisungen in ihn verliebt ist, zerschellt ebenso an seinem Widerstand wie sein Kollege und Kontrahent Ali. Sie erkennen Arnes Magersucht erst, als es zu spät ist, und sie können ihn nicht vor dem Tod retten, weil er ebendiesen sucht. Vorbild für diesen grandiosen Roman ist das Schicksal des deutschen Ruderers Bahne Rabe, der 1988 olympisches Gold holte – und nur zehn Jahre später nicht mehr am Leben war. Evi Simeoni taucht in diesem Buch tief in das Metier ein, in dem sie sich auskennt, und das spürt man mit jeder Zeile, die vor Authentizität vibriert. Sie zeigt im Detail, was Hochleistungssport ausmacht, sie schildert die körperlichen Strapazen, die Grenzüberschreitungen, die Euphorie, den Schlag der Niederlage. Und sie tut das so gut, dass ich sie schnaufen höre, die Ruderer, dass ich sie schwitzen sehe und das fürchterliche Brennen in ihrer Brust spüre. Zutiefst erschüttert folge ich dem Weg, der für Arne vorgezeichnet ist, und empfinde absolutes Unverständnis genauso wie heftiges Mitleid. Ein bedrückendes, einfühlsames, sehr trauriges Buch, das mich restlos überzeugt hat. Lesen!

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
sehr schön.
… fürs Hirn: die Welt des Hochleistungssport, die Evi Simeoni mir eröffnet hat.
… fürs Herz: die ganze Geschichte, in der Menschen sich in einer Spirale rund um Sieg und Niederlage, Verzweiflung und Einsamkeit drehen.
… fürs Gedächtnis: der gesamte genial konstruierte, liebevoll erzählte und unter die Haut gehende Roman.

Schlagmann von Evi Simeoni ist erschienen im Klett-Cotta Verlag (ISBN 978-3-608-93969-9, 276 Seiten, 19,90 Euro).

0 Comments to “Evi Simeoni: Schlagmann”

  1. Ich hatte das Buch auf meiner Kaufliste, habe auch auf den ersten Seiten etwas gelesen und legte den Roman zurück. Irgendetwas hat mich vom Kauf abgehalten. Nach deiner überzeugenden Rezension tigere ich vielleicht doch noch einmal in die Buchhandlung.

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    1. Mariki Author

      Vielleicht nimmst du es ja mal in einer anderen Stimmung in die Hand … Mich persönlich hat es sehr beeindruckt. Auf Facebook führen wir gerade eine wilde Diskussion darüber, dass die Geschichte so nah am Leben von Bahne Rabe ist. Aber ich empfand das nicht als Nachteil, sondern als umso erschütternder!

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