Bücherwurmloch

Regina Scheer: Machandel

„Als ich nach Machandel kam, hatte ich schon ein Leben hinter mir“
Die Menschen sind verschieden, der Ort ist derselbe: In Machandel laufen die Fäden zusammen. Dorthin kommt Clara im Jahr 1985 und verliebt sich in eine alte Kate, ein Haus mit Geschichte. Sie und ihr Mann übernehmen es, renovieren es, verbringen die Sommer mit ihren Töchtern dort. Und ebendiese Geschichte, die das Haus hat, handelt von Krieg und Trauer, von Verlust und Vergessen. Hans, als Kommunist von den Nazis verfolgt, fand einst in Machandel Zuflucht und eine neue Liebe, Natalja wurde gegen ihren Willen als junges Mädchen dorthin gebracht und musste für die Gutsherrin arbeiten. Wie es ihnen über die Jahrzehnte ergeht, wie sie die Gräuel des Krieges verarbeiten und an der Enge in der DDR verzweifeln, davon erzählt dieser großartig geschriebene Roman.

„Und unsere Gefühle treffen sich, denn sie haben nichts zu tun mit der Zeit; was man fühlt und denkt, ist in der Welt und vergeht nicht so schnell wie die Menschen.“

Machandel sollte in ganz Deutschland Schullektüre sein. Selten wird Geschichte auf derart gute und lesenswerte Weise aufbereitet – und mit Fiktion verwoben, sodass man kaum merkt, was man „lernt“. Perfekt für alle Schüler, die im angestaubten Geschichtsunterricht vor lauter Langeweile nichts mitbekommen. Was nun aber nicht heißen soll, dass dieser Roman ein Jugendbuch wäre, das Erwachsenen nichts gibt – ganz im Gegenteil. Auch wenn man bereits viel über die DDR weiß, vielleicht gerade dann, sollte man es lesen. Weil es so gut die Mechanismen zeigt, in denen Deutschland gefangen war und ist, im Kleinen wie im Großen. Neid und Missgunst, die Möglichkeit, unliebsame Nachbarn loszuwerden, sich deren Besitz unter den Nagel zu reißen – bis hin zu den großen politischen Entscheidungen, alles fließt in dieses Buch ein. Es ist böse, es ist traurig, wehmütig, trotz der vielen Jahreszahlen und Informationen stellenweise sogar ein wenig poetisch.

„Aber immer habe ich gedacht, das Schweigen ist auch wie eine Decke, die sich über den Schmerz legt, man muss es achten.“

So eng sind die Figuren mit den historischen Ereignissen verknüpft, dass man das Gefühl hat: Nichts an Machandel ist erfunden. Sie könnten tatsächlich existiert haben, Clara und Natalja, Hans und Herbert. Mit ihren Hoffnungen und Träumen und Wünschen und dem Hass in ihren Herzen.

„Aber so sind wir hier im Norden nicht, wir reden nicht viel. Man sieht doch alles.“

Machandel von Regina Scheer ist als Taschenbuch erschienen bei Penguin (ISBN 978-3-328-10024-9, 496 Seiten, 11 Euro).

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