„An der Liebe lässt sich nichts ändern“
Stell dir vor, du siehst ein Gemälde. Darauf: New York. Die Big City, die Stadt der Träume, die niemals schläft. Fünf Figuren stehen in dieser Stadt, zwei im Hintergrund, drei davor. Die beiden im Hintergrund sind eine Mutter und ihr Sohn, leicht verschwommen sind sie, mit undeutlichen Gesichtern, weil sie eigentlich in Argentinien sind – nur einer von ihnen wird nach New York kommen. Widmen wir uns den drei Gestalten vor deinen Augen, schau sie dir genau an. Da ist ein Mann, James, recht gewöhnlich sieht er aus, er ist verheiratet, zurückhaltend, ein bekannter Kunstkritiker der New Yorker Szene. James ist Synästhet, und das macht ihn so gut in seinem Beruf:
„Wenn er Kunst betrachtete oder darüber schrieb, war es, als stünde sein Gehirn in Flammen. Plötzlich wirkte das ganze Universum verfügbar und übersichtlich. Er spürte Windstöße und krabbelnde Ameisen, schmeckte Karamellzucker und starrte in Himmel, die der Sterne würdig waren.“
Auf der anderen Seite des Bildes steht ein weiterer Mann, Raul. Er stammt aus Argentinien und ist Maler, er sieht gut aus, er will es schaffen in New York.
„Manche nannten ihn einen Frauenhelden, wogegen er nichts hatte, weil es stimmte. Allein schon sein Aussehen – warmer Hautton, leicht schrägstehende, umbrabraune Augen, ruhelose Brauen und ein Schopf pechschwarzer Haare – erweckte bei Frauen den Eindruck, dass er ebenso einfühlsam wie ernsthaft war, seine Leidenschaft die negativen Seiten überwiegen würde und er sie mit dem Rammbock seines zwar untersetzen, aber trotzdem irgendwie dominanten Körpers an einen exotischen Ort transportieren würde, von dem sie noch nie gehört hatten.“
Äh, ja. Genau deshalb steht auf unserem Gemälde zwischen den zwei Männern eine Frau. Sie ist erst seit Kurzem in New York, sie heißt Lucy und arbeitet in einer Bar.
„Kurz nach Mitternacht am Silvesterabend, in den ersten Stunden des champagnertrunkenen neuen Jahrzehnts, verliebte sich Lucy Marie Olliason auf den ersten Blick.“
Und damit fängt alles an: das ganze Kuddelmuddel, das ganze Drama.
Tuesday Nights in 1980 von Molly Prentiss, die in New York lebt, ist unglaublich pathetisch. Das ist es, was mich an diesem Roman am meisten erstaunt hat. Pathetisch ist er, dramatisch, voller Mitleid und Selbstmitleid, Schicksalshaftigkeit und Dummheit und Zorn. Molly Prentiss hat eine sehr eindringliche, auch sehr anstrengende Art zu schreiben. Sie will mir manches, so scheint es, so unbedingt in den Kopf hämmern, dass sie sich nicht zurückhalten kann. Über den „Rammbock“aus dem obigen Zitat schmunzle ich zum Beispiel immer noch. James’ Synästhesie gibt der Autorin die Möglichkeit, sich stellenweise ins Geheimnisvolle, Unverständliche kippen zu lassen, wohin ich ihr kaum folgen kann. Sie hat viel Farbe verwendet für ihr Bild, kräftige Pinselstriche, alles überlagert sich, drängt sich auf – ein Kunstwerk, das Aufmerksamkeit verlangt. Gut gelungen ist ihr die sarkastisch angehauchte Darstellung von New Yorks Kunstszene im Jahr 1980 – mit vielen Könnern und Möchtegerns, mit reichen Sammlern und willkürlich entscheidenden Galeristen. Das ist interessant zu lesen, die Geschichte an sich mochte ich sehr gern. Ihre Ausführung hat mich im Großen und Ganzen aber eher ermüdet: Es war einfach zu viel. Zu viel Wollen, zu viel Können, zu viel Rauspressen und Reininterpretieren. Und vor allem zu viel Pathos.
Tuesday Nights in 1980 von Molly Prentiss ist erschienen bei den Ullstein Buchverlagen (ISBN-13 9783471351314, 400 Seiten, 20 Euro).
Das Buch klingt ehrlich gesagt ein bisschen furchtbar 😉
Grins.
Ach,, wenn eine Geschichte ermüdend wird, dann lese ich es erst gar nicht zu Ende
Passt dann ja zu dem vorigen Artikel (Ödnis, entsetzliche Ödnis).
Ich frage mich aber: Wie bist du auf dieses Buch gekommen? Vielleicht vom – ziemlich guten – Cover angelockt?
NNIN