„Familie, sagte er, man kann ihr einfach nicht entkommen“
In einer Schneenacht in Berlin trifft Filbert auf Mae, und sie verlieben sich, einfach so. Zwei Wochen später jedoch reist Filbert überstürzt nach Kanada, um dort nach seinem Großvater Stanis zu suchen, den er eigentlich für tot hielt – verraten von seinem Nachbarn Erich Mühlenthal, abtransportiert, hingerichtet. Doch das ist nur eine jahrzehntelang aufrechterhaltene Lüge. Die Wahrheit aufzudecken, ist aber gar nicht so einfach, denn erst einmal findet Filbert nur den Jungen Aureliusz, der in einer stillgelegten Fabrik eine Kutsche bauen will, um Stanis’ größten Fehler auszubessern – in der Vergangenheit. Und während Mae seine Träume träumt, verliert sich Filbert zunehmend in den verrückten Geschichten, die längst vergangen oder vielleicht nur erfunden sind.
Es gibt Bücher, die machen überhaupt keinen Sinn, und gut sind sie trotzdem. Dazu gehört Legenden, der Debütroman der jungen deutschen Autorin Gesa Olkusz. Ich habe mich mit diesem Buch abends ins Bett gelegt, um noch ein bisschen reinzuschmökern – und hatte es 90 Minuten später in einem Rutsch von vorn bis hinten ausgelesen. Und das, obwohl es sehr kompliziert und höchst merkwürdig ist! Und das, obwohl mich sehr komplizierte und höchst merkwürdige Bücher für gewöhnlich schon aus Prinzip wahnsinnig anstrengen! Aber Gesa Olkusz hat mich gepackt, niedergerungen und gefesselt mit ihrer vielschichten Story und mit ihrer exaltierten, kapriziösen Sprache. Ein Beispiel: „Durch den Aureliusz eilt, über den Dorfplatz, seine Orientierung funktioniert einwandfrei, sein Instinkt ist getränkt von goldener Lava.“ Da denkt man doch eigentlich: Wtf?! Aber schön klingt es trotzdem.
Ein Großteil der Faszination von Legenden liegt darin, dass die üblichen Grenzen von Raum und Zeit nicht gelten. Besonders der geheimnisvolle Aureliusz ist wie ein Zeitenwanderer, der Dinge sieht und weiß, aber warum er das kann, bleibt unklar. Wie überhaupt so vieles in diesem total verrückten und abstrusen Roman, der mich schwer begeistert hat, weil er atmosphärisch und melancholisch ist, dabei aber nicht bitter, sondern fast heiter. Ich kann mir absolut keinen Reim auf dieses Buch machen, und will es euch allein schon deshalb empfehlen, damit einer von euch es mir erklären kann. Der Titel passt perfekt, denn Legenden sind selten wahr oder logisch, aber immer eine Erzählung wert.
Legenden von Gesa Olkusz ist erschienen im Residenz Verlag (ISBN 9783701716357, 192 Seiten, 19,90 Euro).
192 Seiten in 90 Minuten…du bist ja ein wahrer Schnellleser!!!
Das ist mir zuvor aber auch noch nie passiert!
Bei manchen Büchern rauscht man halt unaufhaltsam durch. Ich hatte “Was fehlt, wenn ich verschwunden bin?” in Rekordzeit durch.
Ich würde es ja noch verstehen, wenn es ein seichter Krimi oder Chicklit gewesen wäre, aber SOWAS?!
Fandest du “Was fehlt…” so gut?
Ja sehr. Ich habe es auch aus Elternsicht gelesen und da wurde mir ganz anders 🙁
Der Residenz-Verlag ist immer wieder gut für skurrile Überraschungen – auf dieses Buch bin ich jetzt jedenfalls SEHR gespannt! 🙂
Das stimmt! Vielleicht verstehst du das Buch ja und erklärst es mir dann 😉
Ich werd´s mal in Angriff nehmen – wenn ich danach noch klar denken kann, schreibe ich mal darüber, wie wenig ich´s verstanden hab ;D
Vielleicht kommt es bei dir ja ganz anders an als bei mir…!?
Bin gespannt – auf jeden Fall steht´s auf meiner Liste 🙂
Das klingt interessant, oder zumindest nach einer Herausforderung 😉 Ich werde sicherheitshalber aber lieber erst hinein lesen. Denn allzu abstrusem Stil stehe ich im Moment noch etwas skeptisch gegenüber. Vielleicht kann Gesa Olkusz das ja ändern.
LG, Katarina 🙂
Ich bin neugierig auf deine Eindrücke, berichtest mir dann?
Das mach ich 🙂
Ich denke schon, daß das Buch einen Sinn macht und mich hat glaube ich die junge frische Sprache daran besonders fasziniert, wie eine, die das Ganze nur vom Hörensagen kennt, an die Sache und mit der Vergangenheit umgeht, Jonathan Safan Foyer hat das glaube ich als erster probiert, jetzt wieder eine frische junge Stimme, die über die Vergangenheit https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/02/15/legenden/ erzählt.
Absolute Zustimmung! Aber abstrus fandest du es nicht?
Nein, eigentlich nicht, eigentlich dachte ich, wie beim Safan Foyer “Alles ist erleuchtet”, da ist die dritte Generation, die das nicht selbst Erlebte, aber wahrscheinlich erzählt oder nicht erzählt bekommene, betont schnodderig verarbeitet.
Die Betroffenen haben geschwiegen, die Kinder waren traumatisiert und die Enkelkinder bewältigen es durch starke Sprüche.
Sehr gut hat mir schon der erste Satz gefallen und die Metapher mit den Schuhen.
Aber wahrscheinlich habe ich es auch sehr schnell gelesen und morgen gibt es noch einmal “Residenz-Verlag” und noch einmal Holocaust-Bewältigung, nämlich die Erinnerungen des Historikers Robert Streibl an die Strafgefangenen in Krems Stein, von denen im April 1945 viele umgekommen sind.
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