Ein klassischer Whodunnit aus Ungarn
Sechs alte Schulfreunde haben sich 15 Jahre lang nicht gesehen – und werden alle übers Wochenende von Haller, der Arzt geworden ist, in sein Haus auf dem Land eingeladen. Der dicke Journalist Ali, der geizige Dichter Vértes, der schweigsame Wissenschaftler Decsi, Hauptmann Beke und der paranoide Apotheker Schwabik versuchen frohgemut, die alten Zeiten aufleben zu lassen – was ihnen jedoch nicht ganz gelingt. Missgunst und Misstrauen machen sich breit. Zum Glück sorgen die Frauen für Ablenkung: Hallers Gattin Magda, den Männern aus ihrer Jugend eigentlich als Emmi bekannt, Hallers Angestellte Stefi und die Primaballerina Bea Nicky, die Ali spontan eingeladen hat, weil er sie interviewen will, und die sowohl mit Vértes als auch mit Schwabik ein Geheimnis verbindet. Bevor der Wildschweinbraten mit selbst gesammelten Pilzen kredenzt wird, beschließt die illustre Gesellschaft, sich ein wenig mit dem Spiel „Mörder und Detektiv“ zu zerstreuen. Dabei wird per geheimem Zettel einer zum Mörder und einer zum Ermittler gemacht, alle Lichter werden abgedreht, und nach vollbrachter Tat muss der Detektiv anhand des Leichenfunds sowie einiger Befragungen herausfinden, wer der Verbrecher ist. In der dritten Runde wird aus dem lauschigen Spiel, bei dem es hauptsächlich darum geht, im Dunkeln ein wenig zu fummeln und Küsse zu stehlen, plötzlich bitterer Ernst: Im Salon liegt, als das Licht wieder angeht, eine echte Leiche. Ausgerechnet Bea Nicky, der unvorhergesehene Gast, wurde erwürgt. Hauptmann Beke schlüpft sofort in seine Rolle, betreibt Spurensicherung, alarmiert seine Kollegen von der Spionageabwehr, beginnt mit der Befragung seiner ehemaligen Schulfreunde: Wer hatte ein Motiv? Was hat Bea in London angestellt? Und warum trug sie während des Mordes eine Pelzmütze? Nun – der Detektiv findet es heraus.
Der Ungar Szilárd Rubin, 1927 geboren und 2010 verstorben, ist ein Autor von spätem Ruhm. Obwohl er seit den 1950er-Jahren Romane veröffentlichte, bekam er erst in den Jahren vor seinem Tod Anerkennung dafür – und zwar außerordentlich viel. Er schreibe, hieß es, Literatur von europäischem Rang und sei einer der ganz Großen. Ich kenne die hochgelobten Bücher nicht, mir ist nur Wolfsgrube in die Finger gerutscht, das im Original bereits 1973 erschienen ist und daher auch in dieser Zeit spielt – und ich habe zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder einen Krimi gelesen. Als ich jung war, hab ich Krimis gefressen und mit 18 sogar mein Matura-Spezialgebiet über Elizabeth George verfasst – und war dann übersättigt. Overkill. Es kam mir kein Krimi mehr ins Haus und vor die Augen. Mit Szilárd Rubin und Wolfsgrube hab ich mich allerdings ausgezeichnet amüsiert: Er präsentiert verschrobene, scheinheilige Charaktere, gibt ihnen ausreichend verwirrende Geheimnisse, steckt sie alle in ein Haus, streut ein bisschen Flirting darüber, schaltet das Licht aus – und voilà. Ich fand das Buch gut zu lesen und hab gern mitgeraten, muss aber gestehen, dass mir die Auflösung ein wenig zu haarsträubend war. Da wär ich im Leben nicht draufgekommen. Der Klappentext nennt das Buch eine „zeitlose Parabel auf den Menschen, der dem anderen immer und überall ein Wolf ist“. Für Krimifans auf jeden Fall lesenswert!
Wolfsgrube von Szilárd Rubin ist im Jänner 2013 erschienen im Rowohlt Verlag (ISBN 978-3-87134-753-5, 208 Seiten, 17,95 Euro).
Andere auf Deutsch erschienene Titel von Szilárd Rubin:
Eine beinahe alltägliche Geschichte
Kurze Geschichte von der ewigen Liebe
Die Wolfsgrube bei ocelot.de