Gut und sättigend: 3 Sterne

PofallaAuf der Suche nach einem Freund
Der Ich-Erzähler und sein Freund Moritz kennen sich schon lange, und gemeinsam sind sie nach Berlin gezogen, um zu studieren. An der Uni sieht man sie selten, umso öfter dafür in den Clubs und Bars der Stadt. Moritz ist eher ein Eigenbrötler und gilt im Freundeskreis als merkwürdig, der Freund gibt ihm stets Rückendeckung. Sie sind jung, alles liegt vor ihnen – doch dann verschwindet Moritz plötzlich spurlos. Ist ihm etwas passiert? Oder wollte er einfach nur fort, etwas erleben, die Welt sehen? Ratlos und halbherzig sucht der Ich-Erzähler nach ihm, trifft sich mit seiner Ex-Freundin Anna, übertüncht den Schmerz – und weiß nicht so recht, wohin mit sich und seinen Gefühlen.

Der junge deutsche Autor Boris Pofalla hat sich eine Geschichte ausgedacht, deren Anfang und Ende für den Leser nicht sichtbar sind. Als das Buch beginnt, ist Moritz schon fort, er hat eine Lücke hinterlassen, ein schwarzes Loch, in das sozusagen alles hineinfällt, an dessen Rand der namenlose Ich-Erzähler entlangwandert. Die Freundschaft selbst, ihr Entstehen und ihre Besonderheiten, liegen in der Vergangenheit und bleiben im Dunkel, anhand von zwei, drei exemplarischen Fragmenten versucht der Autor, zu zeigen, dass es eine schöne Freundschaft war. Umso rätselhafter, warum Moritz ohne ein Wort gegangen ist. In diesem Dunkel liegt auch das Ende der Story, weil sie nirgends hinführt, weil das Rätsel nicht gelöst wird, nicht einmal ansatzweise. Nun könnte man sagen, dass der Ich-Erzähler, der so jung und unreif und orientierungslos ist, auf der Suche nach seinem Freund sich selbst findet, aber das ist überhaupt nicht der Fall. Da gibt es noch gar nicht viel zu finden, kaum Persönlichkeit, keine Ziele, keine brennende Leidenschaft für nichts. Eine halbgare Liebe zu Anna und die betäubende Wirkung von Drogen beschäftigen ihn eigentlich am meisten, Berlin als trendige Kulisse des Romans strotzt vor Möglichkeiten und vor Hipstern. Boris Pofalla schreibt gut, seine Prosa ist überlegt, elegant, sehnsuchtsvoll. Inhaltlich gibt Low aber viel zu wenig her, wabert ein wenig haltlos dahin, ist so merkwürdig unfertig wie sein Erzähler. Großes Potenzial, aber noch nicht auf den Punkt umgesetzt.

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Low von Boris Pofalla ist erschienen im Metrolit Verlag (ISBN 978-3-8493-0365-5, 222 Seiten, 20 Euro).
Ein paar versammelte Stimmen zu Low findet ihr beim Perlentaucher.

Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_8460„Wenn sich hundert Schriftsteller in einem Raum zu einem Fest versammeln, kann alles Mögliche dabei herauskommen, nur kein Fest“
Ein Roman über eine wahre Geschichte hat ihn einst berühmt gemacht, über einen verschwundenen Lehrer, der eventuell ermordet wurde – von zwei Schülern. Von diesem Ruhm ist nur noch der Abglanz übrig, der Autor ist inzwischen alt, hat eine viel jüngere Frau und eine kleine Tochter – sowie einen Nachbarn, der ihn beobachtet. Er tut das, weil er ihm etwas zu sagen hat, weil er etwas weiß über jenen Lehrer, dessen Leiche nie gefunden wurde, weil er hautnah dabei war, damals. Neid und Missgunst und eine unterschwellig drohende Gefahr schwingen in den Briefen mit, die er dem Autor schreibt, und er schreckt auch nicht davor zurück, in dessen Ferienhaus Frau und Tochter auszuspionieren. Aber was will er? Und was hat der Schriftsteller zu verbergen?

Der Niederländer Herman Koch ist ein begnadeter Schreiberling. Seinetwegen bin ich zum Wiederholungstäter geworden. Wer mich kennt, weiß um meinen Nur-ein-Buch-pro-Autor-Spleen, und bei Herman Koch sind es nun schon drei. Weil er mich mit dem unfassbar fiesen Roman Angerichtet so angefixt hat, weil darauf Sommerhaus mit Swimmingpool folgte, das ebenfalls grandios war. Auf diesem Niveau bewegt sich für mich Sehr geehrter Herr M. nicht. Es ist ein sehr unterhaltsames, glänzend geschriebenes Buch, das in meinen Augen allein bestehen, aber im Vergleich mit seinen Vorgängern nicht ganz standhalten kann. Herman Koch erzählt darin eine durchaus perfide, spannende Geschichte voll von Geheimnissen, unerwiderter Liebe und Verrat. Und eigentlich sind diese müßigen Vergleiche ja der Grund dafür, dass ich nicht mehr als ein Buch vom selben Autor lesen will. Trotzdem komme ich jetzt von diesem Vergleichen nicht los. Das stört mich, weil es Sehr geehrter Herr M. schwächer macht, als es eigentlich ist.

Besonders gelungen sind die Beobachtungen des Nachbars, triefend vor Hohn und vor allem voller subtiler Drohungen. Lange Zeit ist völlig unklar, was der Nachbar bezweckt. Das macht diesen Roman so fesselnd und so gut. Allerdings verzettelt er sich gegen Ende ein wenig in den verschiedenen Perspektiven und verliert dadurch an Kraft, auch weil die Drohungen ins Leere gehen. Der Schlusspunkt ist in Koch’scher Manier gewohnt heftig, moralisch verwerflich und krass. Ein ausgezeichnetes Lies-mich-in-einem-Rutsch-weg-Buch, aber wer noch nie einen Koch gelesen hat, dem würde ich trotzdem erst einmal Angerichtet empfehlen.

Sehr geehrter Herr M. von Herman Koch ist erschienen bei Kiepenheuer und Witsch (ISBN 978-3-462-04738-7, 400 Seiten, 19,99 Euro).

Gut und sättigend: 3 Sterne

Das-Fest-des-Windrads1„Schöner wär’s, wenn’s schöner wär“
Greta ist Managerin und auf dem Weg nach Mailand, wo sie sich ihre wohlverdiente Beförderung abholen will. Bloß kommt Greta nie im schicken Mailänder Restaurant an, weil ihr Zug liegen bleibt – und zwar ausgerechnet in Oed. Was es dort gibt? Nix. Das ist ja das Problem. Und Taxifahrer Jurek fragt sich, was ihn hier hält im halbfertigen Haus seiner verstorbenen Eltern, ohne seine Ex-Frau und die mittlerweile erwachsene Tochter. Er macht als einziger Oeder Taxler kleine Fahrten und wünscht sich, endlich mal wieder bei einer Frau zum Schuss zu kommen – was ihm Gretas plötzliches Auftauchen vermasselt. Die erleidet erst einmal einen Schock. Und fängt dann an, sich völlig neu zu orientieren. Bis zum Fest des Windrads ist sie ein neuer Mensch.

Für ihren zweiten Roman hat die österreichische Autorin Isabella Straub das Provinznest Oed am Tiefen Graben als Kulisse gewählt. Dort wird Protagonistin Greta ausgebremst – und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. Sie ist ein Highspeed-Leben gewohnt und kommt erst einmal nicht mehr vom Fleck. Diese Zwangspause sorgt dafür, dass sie einen neuen Sinn finden muss. Ihr Gegenspieler ist der Taxifahrer Jurek, in dessen Leben die unerwartete Begegnung ebenfalls eine Veränderung auslöst. Nun ist es so, dass der Klappentext bereits sagt, dass Das Fest des Windrads keine Liebesgeschichte ist. Ich hab mir aber ehrlich gesagt trotzdem eine erwartet. Irgendeine! Wenigstens eine kleine! Aber nö. Stattdessen ist dies eine richtig abstruse Story über Burn-out und Wunschvorstellungen, über Enttäuschungen und eine Versicherung vor dem Unglücklichsein. Alle im Roman auftretenden Figuren haben einen Knall. Deshalb ist das Buch eher auf der witzigen Seite unterwegs, schafft aber den Sprung zu fiesem Sarkasmus nicht. Es bleibt in der Mitte zwischen Klamauk und Gesellschaftskritik, bietet angenehme Unterhaltung – aber nicht mehr.

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Das Fest des Windrads von Isabella Straub ist erschienen im Blumenbar Verlag (ISBN 978-3-351-05017-7, 352 Seiten, 19 Euro).

Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_8384„Man lernt die Welt immer besser kennen, trotzdem wird das Staunen größer, nicht kleiner“
Julian ist 22 Jahre alt und hat soeben seine erste Trennung hinter sich gebracht. Obwohl er Judith nicht mehr liebt, wirft es ihn aus der Bahn, dass er jetzt ohne sie weitermachen muss. Er ist orientierungslos und verwirrt, findet keinen rechten Antrieb und setzt sich kein Ziel. Also verbringt er den Sommer erst einmal damit, sich um ein Zwergflusspferd zu kümmern. Es ist in Professor Behams Garten untergebracht, und Julian übernimmt den Job vorübergehend von Tibor, einem Freund, den er sehr mag und gleichzeitig beneidet: „In Tibors Leichtigkeit steckte eine Schönheit, die mir wirklich gefiel, aber sie bedrückte mich auch wegen der Hoffnungslosigkeit dahinter, die machte mich fertig.“ Das Flusspferd ist alles andere als leicht, schwer ist es und schwerfällig, behäbig, gleichgültig. Es frisst und schläft und stinkt. Und ihm dabei zuzusehen, hilft Julian, ein bisschen runterzukommen. Allerdings nur zum Teil, denn der Professor hat eine verdammt ansehnliche und interessante Tochter namens Aiko …

Auf der Leipziger Buchmesse habe ich bei einem Interview mit Arno Geiger zugehört und war sehr beeindruckt von dem schmalen Mann mit den pointierten Antworten. Er hat kurz über den Entstehungsprozess seines neuesten Buchs gesprochen, an dem er vier Jahre gearbeitet hat und das sich grundsätzlich von seinen vorigen Romanen unterscheidet – für die der Autor sich jeweils einen völlig neuen Blickwinkel angeeignet hat. Ich kenne davon nur Es geht uns gut, sein Debüt, mit dem er den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, und das fand ich damals sehr gut. In Selbstporträt mit Flusspferd schreibt er über einen 22-Jährigen und tut dies so überzeugend, dass ich ihm jedes Wort und jede Regung glaube. Das ist das eigentlich Faszinierende an diesem Buch – dass es Arno Geiger derart gut gelungen ist, sich in einen Menschen am Beginn seines Erwachsenenlebens hineinzuversetzen.

Nun ist es allerdings so, dass die meisten Zwanzigjährigen – zumindest die, die ich kenne – so unfertige Persönlichkeiten sind, unkonzentriert, wabernd, haltlos, und damit nur bedingt interessant. Weil es da einfach noch nicht viel zu sehen gibt. Coming of Age, ja, natürlich, aber com doch bitte mal in die Gänge! Es ist einerseits grandios beschrieben, wie Julian vor sich hin sumpert, leidet, das Flusspferd beobachtet und um Aiko herumschwenzelt. Aber ein wenig eintönig ist es auf Dauer auch, und das finde ich schade, weil ich mir für das Buch mehr Drive, mehr Handlung, mehr Ergebnisorientiertheit gewünscht hätte. Was absurd ist, weil ein Zwanzigjähriger genau das alles eben nicht hat. Genausowenig wie ein Flusspferd. Auf jeden Fall gilt in Bezug auf Arno Geiger: lesen. Zur Not halt eines seiner anderen Bücher.

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Selbstporträt mit Flusspferd von Arno Geiger ist erschienen bei den Hanser Literaturverlagen (ISBN 978-3-446-24761-1, 288 Seiten, 20,50 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Der Witz ist: Auf gewisse Weise hat Julian ein Flusspferd-Gemüt. Er ist ein Langweiler im Niedrigenergie-Modus, vor sich hin grübelnd über banale Lebensweisheiten, sinn- und ziellos wie eine Tschechow-Figur. Ein vom Aussterben bedrohtes Wesen in einer jungdynamischen, durchdesignten Gesellschaft“, heißt es auf spiegel.de.
– „Scheinbar passiert hier nicht viel: Ein 22-Jähriger hängt beim Erwachsenwerden fest, zwischen Frauen und Unsicherheiten. Arno Geigers Roman Selbstporträt mit Flusspferd erzählt von dieser Wartesaalstimmung – und trifft unser Gegenwartsempfinden“, schreibt zeit.de.

Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_8344Die Geschichte einer Entjungferung
„Auch wir wollten wir benebelt sein von Sex, wollten schamlos sein, dreist, ungeniert. Wir wollten anbeten und angebetet werden.“ So geht es all den Schülern an der Auburn Academy, einem Internat an der Ostküste Amerikas. Sie sind 16 Jahre alt und neugierig auf Sex, sie wollen alles ausprobieren, erfahren, erkunden, spüren. Aviva und Seung sind ein Paar, süß und keusch einerseits, wild und ungestüm andererseits. Sie küssen sich stundenlang, jeden Tag, überall, mmer wieder, wie man es nur tun kann, wenn man sehr jung ist, sie streicheln und entkleiden sich. Sie sind dabei nicht unbedingt vorsichtig, und die Restriktionen lassen nicht lang auf sich warten. Die anderen Schüler sind neidisch und hungrig, allen voran Bruce Bennett-Jones, der selbst was von Aviva will, sich ihr aber immer nur gewaltsam nähert. Und dann geht Aviva aufs Ganze, sie will mit Seung schlafen. Damit setzt sie Ereignisse in Gang, die tragisch enden.

In Die Unberührten von Pamela Erens geht es um Sex. Und zwar um Sex, der nicht stattfindet. Noch nicht. Um Sex, der herbeigesehnt und erträumt wird. Die Protagonisten des zweiten Romans der amerikanischen Autorin sind unerfahrene Teenager, The Virgins, wie der Originaltitel heißt. Sie umgarnen sich, sind nicht wirklich verliebt, glauben das aber natürlich, weil die Hormone durch ihr Blut rauschen, weil sie völlig verwirrt sind von den vielen neuen Sinneseindrücken. All dies lässt Pamela Erens von einem Außenstehenden erzählen, von einem eifersüchtigen Dritten, dessen Bericht gefiltert ist von Neid und Missgunst.

Die Unberührten ist ein gutes Buch. Aber es ist auch ein wahnsinnig pathetisches Buch. Das passt, weil man mit 16 Jahren alles viel zu ernst nimmt, alles nur in Schwarz und Weiß sieht, überdreht ist und ahnungslos, weinerlich, viel zu emotional. Nun bin ich aber bereits fast doppelt so alt, und auch wenn ich mich an die Gefühle von damals erinnern kann, sind sie mir heute fremd. Mehr als einmal schüttle ich verständnislos und genervt den Kopf über Aviva und Seung. Über das Ende kann ich nur sagen: Ich hab es kommen sehen, aber ganz glauben will ich es trotzdem nicht. Pamela Erens hat sich ein sehr spezifisches Thema ausgesucht und es glänzend umgesetzt. Allerdings gibt es im Buch kaum Platz für etwas anderes als für endlose Küsse, und das hat mich letztlich ein bisschen enttäuscht.

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Die Unberührten von Pamela Erens ist erschienen bei C. H. Beck (ISBN 978-3-406-67543-0, 297 Seiten, 19,95 Euro).

Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_8336„Mögen die Scharniere unserer Freundschaft niemals rosten“
Als Eva 12 Jahre alt ist, lässt ihre Mutter sie im Haus des Vaters mit einem Koffer und ohne ein Abschiedswort zurück. Dort lernt sie ihre vier Jahre ältere Halbschwester Iris kennen, die alles tut, um in Hollywood Erfolg zu haben. Dorthin ziehen die Schwestern tatsächlich, doch der Stern von Iris wird jäh abgeschossen, bevor er richtig steigen kann. Der Zweite Weltkrieg ist entbrannt, und nun müssen Eva und Iris zu Überlebenskünstlern werden, was ihnen dank einer reichen Familie gelingt. Als bunt zusammengewürfelte Gemeinschaft mit dem Vater, einer schwarzen Sängerin, einem Waisenkind und einem schwulen Visagisten schlagen sie sich durch – bis ein schrecklicher Unfall sie auseinanderreißt …

Wir Glücklichen von Amy Bloom lag schon als Original Lucky Us auf meinem Wunschzettel. Umso mehr hab ich mich gefreut, dass der Atlantik Verlag es auf Deutsch herausgebracht hat. Ich kannte bisher nichts von Amy Bloom, die bereits zahlreiche Romane veröffentlicht hat. Für ihre Geschichte über zwei Schwestern im Amerika der 1940er-Jahre hat sie die kleine, unscheinbare Eva als Erzählerin gewählt, den uninteressantesten Charakter von allen: „Mein Vater war ein Becher der Etikette und der großen Ideen gewesen, Iris war eine Vase des Glamours, und ich war der kleine braune Krug der Sorge.“ Es ist ein Phänomen solcher Geschichten, dass sie immer von der farblosesten Figur erzählt werden, Vielleicht, um die anderen Charaktere – in diesem Fall die schönere, talentiertere Schwester – mehr strahlen zu lassen. Ganz so langweilig ist Eva eh nicht, immerhin legt sie Tarotkarten, um Geld zu verdienen, und hält die ganzen Scherben zusammen, als alles zerbricht.

Im Klappentext heißt es: „Bis Iris eines Tages zu weit geht und alles aufs Spiel setzt.“ Das stimmt so nicht. An den Ereignissen trägt Iris nur indirekt Schuld bzw. sie leidet darunter am meisten. Auch ist es nicht unbedingt wahr, dass zwischen den ungleichen Schwestern eine enge Freundschaft entsteht. Vielmehr handelt es sich um eine Art Zweckgemeinschaft, bei der man sich zufällig auch einigermaßen gut leiden kann. Alles in allem bietet Wir Glücklichen feine Unterhaltung, ausgezeichnet geschrieben, leicht kitschig, mit überraschenden Wendungen und einem perfekt passenden Ende. Besonders amüsiert haben mich die höchst ironischen Briefe von Gus, einem Mann, den Eva kennt und der unter gefährlichen Umständen während des Krieges nach Deutschland gebracht wurde. Empfehlenswert!

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Wir Glücklichen von Amy Bloom ist erschienen im Atlantik Verlag (ISBN 978-3-455-60029-2, 300 Seiten, 22 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Amy Bloom, selbst praktizierende Psychotherapeutin, hat mit “Wir Glücklichen” eine Geschichte geschrieben, die vor keiner Emotion Halt macht. Weder bei den Protagonisten, noch beim Leser. Figuren, die sich aus den Seiten heraus direkt ins Herz des Lesers schleichen. Figuren, denen man plötzlich alles verzeiht, egal welche Dummheit sie auch begangen haben. Der Krieg, der seinen Schrecken wie einen Schatten über den Seiten schweben lässt, und den man einfach nicht mehr los wird“, schwärmt frauhauptsachebunt.
– Hier findet ihr eine Leseprobe des Romans.

Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_8335Rebellentum ohne Tiefgang
„Es war Mitte der fünften Woche. Adam war noch immer auf freiem Fuß, und die Polizei drehte durch.“ Adam, der sich Colter nennt – nach einem Trapper, der einst reihenweise Indianer getötet hat –, versteckt sich im Wald. Er ist bewaffnet. Und er ist gegen das System. Ganz anders als sein Vater, ein Ex-Marine, der jedoch auch nicht vor Gewalt zurückschreckt, wie sich im Urlaub zeigt, wo er einen Angreifer kurzerhand umbringt. Eine Seelenverwandte findet Adam in der viel älteren Sara, die sich standhaft weigert, den Staat, mit dem sie „keinen Vertrag“ hat, und seine Regeln anzuerkennen. „(…) Sara zuzuhören, die ununterbrochen versuchte, ihn gegen die Regierung zu radikalisieren, wo er doch ohnehin tausendmal radikaler war als sie. Ihn regierte niemand. Sie waren sowieso alle Verbrecher, diese Politiker, jeder war von irgendeiner Interessensgruppe gekauft, und die Bullen waren nichts weiter als ihre Privatarmee.“ Statt sich im Auto anzuschnallen, geht Sara lieber ins Gefängnis. Und obwohl sie schnell merkt, dass Adam einen an der Waffel hat, macht sie aus Einsamkeit bereitwillig die Beine für ihn breit. Doch die Ereignisse geraten sehr schnell außer Kontrolle …

T. C. Boyle und ich hatten einen denkbar schlechten Start. Eine Bekannte, deren Lieblingsautor er ist, hat mir Der Samurai von Savannah geschenkt, um mich für ihn zu begeistern – und das ging komplett nach hinten los. Ich fand das Buch sauschlecht und wollte nichts mehr mit Boyle zu tun haben, Hype hin oder her. Doch dann wurde mir auf dem Bloggertag bei Hanser Literaturverlage so sehr von ihm vorgeschwärmt, und weil sein neuer Roman dann schon mal bei mir im Regal stand, hab ich ihn auch gelesen. Ich fand ihn um Welten besser als den Samurai, aber es ist trotzdem klar: Mit T. C. Boyle und mir, das wird nichts mehr. Es ist sofort auf den ersten Blick klar, warum Hart auf hart ein Aufreger ist: Weil seine Protagonisten Systemgegner sind, weil sie sich gegen Amerikas Regierung stellen, gar gegen die Idee des Regiertwerdens an sich. Wie sie sich jedoch eine Welt ohne System vorstellen, eine Gesellschaft ohne Gesetze und Moral und Staatsorgane, die für Sicherheit sorgen, bleibt unklar – für solche Überlegungen fehlt ihnen der geistige Horizont. Sara und Adam sind ungebildet, natürlich, denn das ist ein Zustand, der einhergeht mit blindem Aufbegehren und fanatischem Wahn. Denn was will ein Einzelner, der sich im Wald versteckt und wahllos Leute erschießt, ausrichten gegen das System? Er ist eine Eintagsfliege, unwichtig, machtlos.

Ich finde es schade, dass Hart auf hart in diesem Punkt nicht in die Tiefe geht. Die Hauptpersonen sind dumm, ihr Verhalten wirkt auf mich zu wenig zielgerichtet und daher sinnlos. Adams Vater, der eine eigene Perspektive bekommt, hätte sich ruhig mehr mit dessen Kindheit und Krankheit auseinandersetzen können – statt alles mit einem „er hatte immer schon Probleme“ abzutun. T. C. Boyles neuestes Buch ist gut geschrieben, beklemmend, spannend, mit interessanten Einblicken und einer halbwegs glaubwürdigen Geschichte, die jedoch irgendwie versandet. Ich hab es gern gelesen, aber es wird definitiv mein letztes Buch von diesem Autor bleiben.

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Hart auf hart von T. C. Boyle ist erschienen bei Hanser Literaturverlage (ISBN 978-3-446-24737-6, 400 Seiten, 23,60 Euro).

Noch mehr Futter:
– „T. C. Boyle ist ein Meister darin, ernste Themen locker zu erzählen. Die spannende Geschichte fließt leicht dahin und gleitet elegant in die Abgründe der amerikanischen Seele“, schreibt derstandard.at.
– „Eine tiefe Reflexion seiner Figuren darf man von diesem Roman nicht erwarten. Man muss den Plot einfach hinnehmen, und hat ohnehin kaum Zeit zur Besinnung, denn er treibt voran wie eine halsbrecherische Fahrt auf dem Lost Highway, und der Autor weiß nur zu gut, wie man so etwas bewerkstelligt. Beim leichtesten Anflug von Stagnation garniert er seine Story mit schmutzigem Sex“, heißt es auf faz.net.
– „Erzähltechnische Finessen sind Boyles Sache nicht; Hart auf hart ist in einer sturen Und-dann-und-dann-Chronologie abgehandelt. Das wiederum ist auch eine logische Konsequenz der Perspektive, denn am Ende, es kann gar nicht anders sein, muss die öffentliche Ordnung wiederhergestellt sein“, erklärt die Süddeutsche.

Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_8243„Aber ich habe in letzter Zeit selbst vieles gemacht, was mich schockiert“
Es ist fast 30 Jahre her, dass die blutjunge Emilie vergewaltigt und erwürgt wurde. Nun hat man durch einen DNA-Abgleich den mutmaßlichen Täter gefunden. Der Journalist Marc Rappaport, bekannt für seine Aufdeckerreportagen, interessiert sich aufgrund einer undefinierbaren inneren Getriebenheit für die Geschichte und recherchiert, obwohl sein Freund, Chefredakteur Pierre, nicht dafür ist. Zuerst findet er lange nichts, doch dann stößt er auf ein wahres Wespennest: Politische Verstrickungen, ein skrupelloser Konzern, Antisemitismus, Arbeitsplätze und viel Geld spielen im Hintergrund eine Rolle. Marc will nun nicht mehr nur Emilies Tod aufklären, sondern auch den betroffenen Menschen helfen – und greift dafür zu einigermaßen radikalen Mitteln …

Die deutsche Autorin Gila Lustiger, die seit 1987 in Paris lebt, hat mit Die Schuld der anderen ein Buch geschrieben, das sich irgendwo zwischen Krimi, Thriller und Gesellschaftskritik befindet. Obwohl es darin um einen verjährten Mordfall mit politischer Brisanz geht, steht eigentlich Protagonist Marc im Vordergrund. Alles dreht sich um ihn, das Rätsel tritt zum Teil in den Hintergrund. Er ist ein verkopfter, komplizierter Mensch und kann praktisch keine Sekunde des Tages aufhören zu denken. Er seziert alles, seine Gefühle für Freundin Nora, seine Beziehung zum Großvater, der ein hohes, mächtiges Tier war, seine Freundschaft zu Pierre, die Gründe, warum er Journalist geworden ist … und so weiter. Es ist nicht möglich, dieses Gedankenkarussell abzustellen, und das ist für Marc und mich recht anstrengend. Für des Rätsels Lösung ist sein Getriebensein freilich ein Vorteil. Denn wie es immer ist in diesen Kriminalgeschichten: Nur wer unablässig bohrt, findet unter all den Dreckschichten die Antworten.

Die Schuld der anderen ist ein gut lesbares, flüssig geschriebenes und trotz der komplizierten Story auch schlüssiges Buch. Ich war sehr gespannt darauf, wer Emilies Mörder war und wie ihr Tod mit den anderen Ereignissen, die ich natürlich nicht verraten will, zusammenhängt. Insgesamt war mir das Buch aber einfach zu überladen, voller Baustellen, roter Fäden und Spekulationen. Dass es der Autorin da noch gelungen ist, den Überblick zu wahren, ist bewundernswert. Marc hätte ich mir ein wenig lässiger und nicht so bis zum Rand abgefüllt mit Moral gewünscht, aber das ist freilich sehr subjektiv – für andere ist er vielleicht der Traummann schlechthin. Das Ende ist ein schöner, stimmiger Schlag in sein selbstgefälliges Gesicht, auch wenn ich mir bis heute nicht sicher bin, ob ich der Autorin eine solche Wendung wirklich glauben soll.

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Die Schuld der anderen von Gila Lustiger ist erschienen im Berlin Verlag (ISBN 978-3-8270-1227-2, 496 Seiten, 22,99 Euro).

Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_8161Alt und Jung auf einer Reise in die Vergangenheit
Hannas Mutter ist im Alter von 100 Jahren gestorben. Hanna, die sie gepflegt hat, ist selbst schon 80 und nutzt die wiedergewonnene Freiheit für einen letzten Ausflug. Sie fährt von Wien nach Bayern, wo sie als junges Mädchen im Krieg auf einem Bauernhof untergebracht war. An ihrer Seite ist Michael, ein arbeitsloser Schauspieler, der seinem Freund Ernst nachtrauert und der Hanna flüchtig aus seiner Kindheit kennt. Damals schaukelte er auf dem Spielplatz, während Hanna sich mit seiner Mutter unterhielt. Die hat ihn später beim Vater zurückgelassen, und Michael hofft, während des Roadtrips mehr von Hanna über seine Mutter zu erfahren. Dummerweise ist er jedoch zu feig, sie zu fragen. Am Ziel angekommen, merken alle Beteiligten, dass das Vergangene längst vorbei ist und nichts sich mehr ändern lässt.

Kennt ihr den Film Frau Ella mit Matthias Schweighöfer? Den hatte ich beim Lesen permanent vor Augen. Das war einerseits ganz angenehm, weil das ein recht netter Film ist, führte aber andererseits zu dem Gefühl, es nicht unbedingt mit einer originellen Geschichte zu tun zu haben. Kurz vor dem Tod sucht ein alter Mensch ein letztes Mal Kontakt zu einer Jugendliebe, und ein junger Mensch fährt mit, um dabei etwas fürs Leben zu lernen und es umzusetzen, weil er ja selbst noch Zeit hat – das ist das Patentrezept vieler Bücher und Filme. Der junge österreichische Autor Jürgen Bauer macht es sich zunutze und stellt zwei Figuren zu einem Roadtrip-Duo zusammen: die resolute Hanna, die ihr Leben lang nur geschuftet hat, und den antriebslosen Michael, der nichts tut, als sich selbst zu bemitleiden. Dazu kommt noch die gehässige Elvira, eine 08/15-Schattenexistenz, die sich für was Besseres hält als alle anderen.

Das Fenster zur Welt ist gut geschrieben, und ich hab es gern gelesen. Allerdings schafft der Autor es in meinen Augen nicht, die Vorlag in ein Tor des Jahres zu verwandeln – der Ball rollt eher langsam und fast zufällig ins Netz. Etwas enttäuscht bin ich von diesem alles verklebenden Schweigen, das mich mit offenen Fragen zurücklässt. Warum musste Hanna ihren Mann verlassen, was hat er getan? Wieso kennen nicht einmal ihre Kinder den Grund? Was bedeutet es, dass ihr Sohn dort ist, wo er ist, weil sie „so ehrlich“ war, hat sie ihn verraten? Und warum darf ich all das nicht erfahren, soll das eine Demonstration dessen sein, wie wenig Hanna ihrer Familie anvertraut hat? Für mich wären diese und weitere Punkte essenziell für die Geschichte gewesen. Zudem muss ich ausnahmsweise etwas erwähnen, worüber ich ansonsten immer schweige, aber es ist wirklich verblüffend, wie viele sie/Sie-Fehler man in einem so schmalen Buch unterbringen bzw. als Lektor übersehen kann. Das Ende kommt ein wenig abrupt daher und bietet in Sachen Michael nichts Überraschendes. Aber nun ja: Ein Tor ist trotzdem ein Tor.

Das Fenster zur Welt von Jürgen Bauer ist erschienen im Septime Verlag (ISBN 978-3-902711-25-0, 176 Seiten, 17,90 Euro).

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Noch mehr Futter:
– „Die Liste an literarischen Roadtrips als metaphorische Reisen in vergangene Innenleben ist lang, und doch büßt die doppelte Sinnsuche der Protagonisten in diesem Text nichts von seiner tiefgründigen Absicht und seinem Charme ein, denn die Spannung beruht zum Großteil auf den Ereignissen, die sich rundherum abspielen“, heißt es in der Rezension vom Literaturhaus Wien.
– „Jürgen Bauers Debütroman Das Fenster zur Welt – ein Buch von Liebe und Abschied – hat stellenweise eine gute Portion Humor, ist trotz allem ein sehr innerliches Buch“, schreibt das titel-kulturmagazin.
– „Wer eine locker-leichte Lektüre erwartet, ist hier falsch, denn die Abzweigungen im Leben, über die zwischendurch diskutiert wird, führen auf beiden Seiten in ein farbloses und vor sich hin plätscherndes Dahinvegetieren, das keine Höhepunkte kennt. Leider bleiben dadurch auch die Gefühle auf der Strecke, die einen Leser normalerweise an einen Roman fesseln“, stellt lazyliterature.de fest.

Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_7973Die Geräuschkulisse der Welt
Frida ist richtig gut darin, Lärm zu machen. Sie kann aber auch die leisen Töne. Denn sie ist Geräuschemacherin für Filme und Serien, eine der Besten ihres Fachs. Deshalb nimmt auch der junge Jonas zu ihr Kontakt auf, dem der gesamte Ton für seinen Film abhandengekommen ist. Er hat ihn in Japan gedreht und schickt Frida dorthin. Sie soll alle Drehorte besuchen und die Geräusche dort aufnehmen. Frida freut sich auf die Herausforderung in dem fremden Land, merkt jedoch schnell, dass die Tonaufnahmen unbrauchbar sind: Alles ist unterlegt von einem merkwürdigen Störgeräusch. Jonas’ Freund Takeshi kommt Frida zu Hilfe. Er zieht sie magisch an, und sie landen miteinander im Bett. Was an und für sich nicht schlimm wäre, würde nicht Fridas langjähriger Partner Robert zuhause auf sie warten. Doch der Wirrwarr der Gefühle ist harmlos angesichts der wahren Katastrophe, die auf Japan zukommt …

In ihrem dritten Buch fordert die deutsche Autorin Lucy Fricke ihre Leser auf, genau hinzuhören. Ihre Protagonistin Frida ist Geräuschemacherin, vertont Horrorfilme und zeigt bei Kika, wie das geht. Sie ist sympathisch, klug und absolut langweilig. Ihr Beruf ist das Spannendste an Frida, ansonsten führt sie eine fade, gemütliche Beziehung, in der eventuell wegen der Steuer geheiratet werden soll, hat Probleme mit dem Finanzamt und Freunde, die sich für was Besseres halten. Die Auszeit in Japan kommt ihr gerade recht, und es ist nicht verwunderlich, dass sie sich dort sofort in eine Affäre stürzt. Takeshi ist jung, undurchschaubar, fremd, attraktiv. Doch schnell verwickelt Frida sich in ein Chaos, dem sie nicht entkommen kann, weil sie so passiv ist. Und da sie selbst keine Entscheidungen trifft, werden sie ihr aufgezwungen.

Frida ist eine Frau, die dem Leben nur zusieht, statt es aktiv zu gestalten. Selbst als sie in Japan ist, fernab vom Alltag, lässt sie sich von einem anderen leiten, sie geht nie voraus, sie folgt nur. Selbst am Höhepunkt des Konflikts im Roman schweigt sie und kapselt sich ab. Lucy Fricke kann gut schreiben, das steht außer Frage. Ganz subjektiv hätte ich mir aber gewünscht, dass das Feuer aus Frida bricht und sie wenigstens einmal kurz die Distanz aufgibt, die das ganze Buch wie ein abweisender Schild von mir abschirmt. Besonders enttäuscht bin ich vom Ende, das mir merkwürdig unglaubwürdig erscheint und das noch einmal aufzeigt, wie fremdbestimmt Frida ist. Eine gute, interessante Lektüre, die mich persönlich aber nicht vom Hocker gerissen hat.

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Takeshis Haut von Lucy Fricke ist erschienen im Rowohlt Verlag (ISBN 978-3-498-02016-3, 192 Seiten, 18,95 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Lucy Frickes neuer Roman Takeshis Haut erzählt im Manga-Stil vom Super-GAU und anderen Liebeskatastrophen. Temporeich und trashig und sehr unterhaltsam“, heißt es auf welt.de.
– „Sie schreibt fast filmisch, unsentimental, hauptsatzlastig – und lässt damit den Bildern Raum. So ist dieser Roman in erster Linie einer für Ohren und Augen, die Sprache steht weniger im Fokus“, erklärt ndr.de.
– „Lucy Fricke erzählt in ihrem Debütroman gekonnt von inneren und äußeren Erschütterungen, die ein Leben für immer verändern“, schreibt Sophie von Literaturen.