Bücherwurmloch

Julia May Jonas: Vladimir

„Ich bin einfach nur alt. Ich hatte genug Zeit, die richtigen Sachen anzuschaffen und die falschen auszusortieren“
Ende fünfzig ist die Ich-Erzählerin, eine renommierte Literaturprofessorin an einem kleinen College an der amerikanischen Ostküste, und dass ihr Mann John, mit dem sie seit Jahrzehnten zusammen ist, Affären mit Studentinnen hat, hat sie immer gewusst. Doch als er jetzt von einigen dieser ehemaligen Untergebenen angeklagt wird, das Machtgefälle ausgenutzt zu haben, stellt ihr Mitwissen seine Frau in kein gutes Licht, und sie kämpft um ihr Ansehen – am College einerseits, vor ihrer erwachsenen Tochter andererseits. Dann kommt Vladimir in die Stadt, der einen grandiosen Roman geschrieben hat, der ein kleines Kind hat und eine psychisch labile Frau. Die Professorin verknallt sich heftig in ihn, schämt sich für ihr Begehren und kann dennoch an nichts anderes denken als an den zehn Jahre jüngeren Mann – er wird für sie zur Obsession.

„So lief das immer, ein Mann konnte mich mehr verletzen als alles, was eine Frau je zu mir sagen könnte. Ein Mann konnte mich dazu bringen, mich selbst zu verachten, mich schuldig zu fühlen wegen meiner idiotischen Weiblichkeit und meiner albernen Launen, und einzusehen, dass ich gegen seine – die wahre – Macht nichts ausrichten konnte.“

Vladimir von Julia May Jonas ist ein sehr moralisches und politisches Buch, das ein breites Spektrum an Themen aufgreift: Es geht um die Frage, wo Consent aufhört und sexualisierte Gewalt beginnt, um Monogamie und das Leben in einer halb zerrütteten Ehe, in der man sich ein bisschen hasst, aber auch aneinander gewöhnt ist. Neben Age-Shaming und Bodyshaming wird das weibliche Begehren aufgefächert, das wir oft genug als unanständig und mit Scham behaftet darstellen. Herrlich sarkastisch ist die Ich-Erzählerin, was mir viele Schmunzelmomente beschert hat. Was sie später tut, ist hochgradig befremdlich, und über das Ende sowie über die Frage, ob es sich um ein im Kern feministisches Buch handelt oder nicht, habe ich lange nachgedacht, die ganze Geschichte ist ein nicht gerade subtiles Sinnbild für die Bestrafung einer gewissen „Sündhaftigkeit“. (Wer es liest, schreibt mir gerne, es gibt Redebedarf!) Insgesamt hat der Roman mich positiv überrascht und ich lege ihn euch unbedingt ans Herz.

Vladimir von Julia May Jonas ist erschienen bei Blessing.

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