Gut und sättigend: 3 Sterne

Adam Johnson: Nirvana

Johnson„Mir ist natürlich klar, dass die Menschheit pervers ist“
Ein Pädophiler verdient sein Geld damit, die Computer von Männern zu reparieren, auf deren Festplatten sich Kinderpornos befinden. Er kämpft gegen seine Neigung. Aber die zwei kleinen Nachbarsmädchen sind so süß – und ständig unbeaufsichtigt … Die Frau eines Schriftstellers hat ihre Brüste an den Krebs verloren. Ihr Mann hat soeben den Pulitzer-Preis gewonnen, und sie neidet seinen vielen Verehrerinnen deren unversehrte Oberweite. Eine andere Frau, ebenfalls krank und ans Bett gefesselt, bekommt von ihrem Mann ein besonderes Geschenk: Er programmiert für sie ein Hologramm von Kurt Cobain, mit dem sie sich unterhalten kann. Und in Höhenschönhausen im Gebiet der ehemaligen DDR weigert sich ein früherer Stasi-Gefängnisaufseher, den Tatsachen ins Auge zu sehen: Er redet sich die Vergangenheit schön, um keine Verantwortung übernehmen zu müssen.

Adam Johnson wurde mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Meiner Meinung nach zu Recht, denn sein Roman Das geraubte Leben des Waisen Jun Do, der in Nordkorea spielt, ist grandios. Seine unter dem Titel Nirvana versammelten Short Storys sind dagegen ganz anders: unverfroren, kühn, höchst merkwürdig. Die Menschen, die darin vorkommen, sind hochgradig neurotisch, irgendwie angeschlagen und psychisch kaputt, verloren und auf der Suche. Krankheiten spielen eine große Rolle in diesen Geschichten, ebenso wie Naturkatastrophen und die Verfehlungen aus der Vergangenheit. Nicht alle Storys gefallen mir, sie wechseln sich kurioserweise ab, auf eine herausragend gute Geschichte folgt eine, der ich so gar nichts abgewinnen kann. Gemeinsam ist allen sechs Erzählungen, dass sie sehr kraftvoll und rau sind, intensiv und beklemmend. Adam Johnson schreibt unbekümmert und gradheraus, so wie jemand redet, dem völlig egal ist, was andere über ihn denken. Das mag ich sehr. Zudem überschreitet er in Nirvana Grenzen, macht Unmögliches möglich, thematisiert Pädophilie und Krebserkrankungen, gibt seinen Geschichten viele Ecken und Kanten, geht nicht zimperlich mit mir als Leserin um. Auf das Buch trifft ein Adjektiv zu, das ich für gewöhnlich meide, weil es so inflationär gebraucht wird: Es ist cool. Sehr cool sogar. Es ist ungewöhnlich und gut, es ist aber auch anstrengend und stellenweise langweilig, es ist niveauvoll und unterhaltsam, aber auch verwirrend und ausgefranst. So oder so ist es auf jeden Fall besonders.

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Nirvana von Adam Johnson ist erschienen im Suhrkamp Verlag (ISBN  978-3-518-42500-8, 262 Seiten, 19,95 Euro).

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