Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Beate Rothmaier: Atmen, bis die Flut kommt

RothmaierEin Vater, ein Kind, tausend Probleme
Der Comiczeichner Konrad ist gearscht. Und zwar so richtig. Denn er hat sich in Paule verliebt, und nach ebenso emotionalen wie anstrengenden gemeinsamen Monaten wird Paule schwanger. Das Kind bekommt sie nur, weil Konrad sie überredet, und weil sie es nicht will, verlässt sie es auch sehr schnell, kaum dass es da ist. Konrad bleibt zurück mit der kleinen, hilflosen Lio, mit der Ratlosigkeit, wann und wie man ein Baby versorgen muss, mit Geldsorgen und einer viel zu großen Verantwortung. Aber er lässt sich nicht unterkriegen, versucht, so rasch wie möglich das Vatersein zu lernen. Er kümmert sich. Tag und Nacht. Und als sich herausstellt, dass Lio behindert ist, dass sie in ihrer Entwicklung zu langsam ist und nie sein wird wie alle anderen, sorgt er trotzdem und gerade deshalb für sie. Doch 17 Jahre später kommt Konrad an den Punkt, an dem er nicht mehr kann. Er packt Lio ins Auto und fährt gen Norden, um sie endlich loszuwerden.

Die Schweizer Autorin Beate Rothmaier hat bereits zwei mehrfach ausgezeichnete Romane vorgelegt. In ihrem dritten Buch skizziert sie eine ungewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung und schildert sehr eindrucksvoll all die Nöte, denen sich Protagonist Konrad ausgesetzt sieht: Mehr als einmal hat er nicht einmal genug zu essen. Als Freiberufler versucht er mehr schlecht als recht, sich und das Baby über Wasser zu halten, Zeit zum Zeichnen zu finden, das Kind, das spezielle Bedürfnisse hat, das ständig erbricht und nicht genug zunimmt, zu umsorgen. Sonderbarerweise völlig ohne staatliche Hilfe, aber ich kenne mich mit dem Schweizer System nicht aus. Es tut beim Lesen im Herzen weg, wie er sich abmüht, getrieben von seiner Liebe zu dem kleinen Wesen, das von seiner Mutter zurückgelassen wurde. Als er sich neu verliebt, wird es besonders deutlich: Alles wäre besser, einfacher, wenn es Lio nicht gäbe. Das ist hart. Aber es ist die Wahrheit.

Atmen, bis die Flut kommt ist ein heftiges, scharfes, beißendes Buch, das mir zum Teil starke Nerven abverlangt. Sehr eindringlich schildert die Autorin eine ausweglose Situation, ein Schicksal, das nicht ungewöhnlich ist und in seiner Banalität doch sehr grausam. Sie findet für ihre Geschichte eine kantige, erbarmungslose Sprache, was ausgezeichnet passt und sehr stimmig ist. Ein wenig überflüssig fand ich die halb philosophischen, halb wissenschaftlichen Einschübe über Genetik, Menschsein und Medizin, die mich eher abgelenkt und irritiert haben. Ansonsten habe ich die Geschehnisse sehr atemlos verfolgt, mit Gänsehaut, Entsetzen und Mitleid. Ein Buch, das niemanden kaltlässt, garantiert.

BannerAtmen, bis die Flut kommt von Beate Rothmaier ist erschienen in der DVA (ISBN 978-3-421-04495-2, 400 Seiten, 19,99 Euro).

Noch mehr Futter:
– Auf ihrer Website könnt ihr euch über die Autorin informieren.
– Einblick in das Buch bekommt ihr in der Videolesung.
– “Besonders beeindruckend ist der dabei entstehende eigene Sound der Autorin, ihre Wortkompositionen und ihre feine Beobachtungsgabe, mit der sie Stimmungen und das Innenleben ihrer Figuren unheimlich detailgetreu einfängt und auf Papier bannt”, schreibt Mara in ihrer Rezension zu diesem Buch.
– Hier könnt ihr den Roman auf ocelot.de bestellen.

0 Comments to “Beate Rothmaier: Atmen, bis die Flut kommt”

      1. Ja, genau. Als es damals herauskam und ich die Vorstellung las, hat es mich einerseits sehr interessiert. Und andererseits krampfte sich alles zusammen. Für solche Bücher muss ich den richtigen Moment abpassen.😉

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