Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Toby Barlow: Baba Jaga

Barlow„Leg einen Kurs fest, so wie die Sonne ihre Bahn über das Meer wirft, und folge ihm dann – oder geh unter und ersauf“

Die handelnden Personen
Zoja: eine Hexe, jung und schön seit vielen Jahrzehnten
Elga: ebenfalls eine Hexe, alt und rachsüchtig, die seit Ewigkeiten mit Zoja raubend und mordend durch die Lande zieht
Will: ein junger Amerikaner, der für eine Werbeagentur arbeitet und der CIA in die Quere kommt
Oliver: ein undurchsichtiger Spion, der Will in die Scheiße reitet
Vidot: ein Polizeikommissar, der in einen Floh verwandelt wird

Der Ort
Paris

Die Geschichte
Zoja und Elga sind Hexen, sie stammen aus Russland und sind nun, Ende der 1950er-Jahre, nach Jahrzehnten des Herumziehens, in Paris gelandet – zumindest vorübergehend. Immer schon bestand ihre Strategie darin, sich an Männer zu hängen – Heerführer, Soldaten, Herzoge, Kaiser, später Geschäftsmänner – und sich von ihnen aushalten zu lassen, bis es Zeit war, zu gehen. Dann mussten die Männer ihr Leben lassen, durch Gift, gezischte Verwünschungen, geflüsterte Zaubersprüche. Doch als Zoja ihren aktuellen Liebhaber beseitigt, geht etwas schief, sie zieht die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich und den Hass von Elga. Also muss Zoja sich verstecken. Genau wie der Amerikaner Will, der zwischen die Fronten der russischen und der amerikanischen Spione gerät. Schuld daran ist Oliver, von dem Will nicht weiß, ob er Freund ist oder Feind. Als Zoja und Will aufeinandertreffen, benutzt Zoja ihre Zauberkraft, um Will an sich zu binden und ihn als Schutzschild zu benutzen. Doch zum ersten Mal spürt sie etwas anderes als den Wunsch, beschützt zu werden und zu überleben: Sie verliebt sich. Und das ist in diesem Fall ebenso gefährlich wie eine mordlustige Hexe, bewaffnete Spione, ein schlauer Floh, pharmazeutische Experimente und uralte Kräfte, denen niemand gewachsen ist …

Die Konsequenzen
Baba Jaga von Toby Barlow ist verrückt. Originell. Sehr schräg. Absolut unglaublich. Wahnsinnig anstrengend. Und irgendwie nicht mit normalem Maßstab zu messen. Weil das Buch geradezu übergeht vor kreativen Ideen, womit der Autor wohl beweist, dass er als Creative Director einer Werbeagentur in Detroit den richtigen Job gewählt hat. Als ich zu lesen beginne, merke ich schnell, dass ich die Realität, wie ich sie kenne, vergessen muss. Ich lese ja kein Fantasy, deshalb sind zaubernde Frauen und in Flöhe oder Ratten verwandelte Männer zunächst eine Neuheit für mich. Ich glotze also mit offenem Mund wie ein staunendes Kind, dem das Eis in der Hand schmilzt, auf die tanzenden Bilder vor mir. Und sie tanzen wirklich wild. Der Autor haut mir die Zaubersprüche, Verfolgungsjagden, Sexszenen und Schusswechsel nur so um die Ohren. Und ich finde es toll! Mit einem Manko: Sprachlich ist mir der Roman stellenweise zu platt, da wäre an den Formulierungen noch zu polieren gewesen. Auch die Hexenlieder hätten nicht unbedingt sein müssen. Dafür punktet Baba Jaga mit sprühender, funkelnder Fantasie. Wie Polizeikommissar Vidot sich frohen Mutes seinem Schicksal, plötzlich ein Floh zu sein, ergibt, das Geheimnis seiner Frau entdeckt und beim Beißen in diverse Kopfhäute und Tierfelle in einen orgiastischen Blutrausch verfällt, ist einfach nur herrlich. Toby Barlow hat sich für die Charakterisierung seiner Hexen an alten Legenden bedient und beschreibt ihre Zaubereien sehr detailreich, interessant und amüsant. Er gibt Zoja und Elga ihre Zauberkünste als Waffe gegen die Dominanz der Männer in die Hände.
Mit dem Ende der Geschichte bin ich absolut nicht einverstanden, muss es aber freilich akzeptieren. Generell muss man das Buch sehr aufmerksam lesen, um den Ereignissen folgen zu können. Weil alles so durchgeknallt ist. Weil es ein absoluter Höllenritt ist, ein Drogentrip, ein Alptraum, eine Liebesgeschichte, eine absurde Story, die merkwürdigerweise doch Sinn ergibt. Und gerade diese Absurdität ist für mich eine angenehme Abwechslung zu meiner üblichen schwermütigen Lektüre. Insofern: Lasst euch verführen, erschrecken, verzaubern – so etwas habt ihr garantiert noch nie erlebt!

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Baba Jaga von Toby Barlow ist erschienen im neuen Atlantik Verlag bei Hoffmann und Campe (ISBN 978-3-455-60000-1, 544 Seiten, 19,99 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Ich lese eigentlich kaum phantastische Romane, als Genre interessiert mich das nicht so sehr. Aber ich mag es trotzdem, selbst darüber zu schreiben“, sagt Toby Barlow im Interview.
– „Nichtsdestotrotz ist dem Mann aus Detroit ein literarischer Parforceritt gelungen, der neben gelegentlicher Übersättigung auch noch eine erstaunlich üppige Menge Unterhaltung und schrägen Humor bietet“, sagt Sophie von Literaturen.
– Hier könnt ihr Toby Barlow auf Twitter folgen.
– Und das Buch solltet ihr bei ocelot.de bestellen.

0 Comments to “Toby Barlow: Baba Jaga”

  1. Klasse!
    Fast genauso ging es mir bei dieser Lektüre. Die Frage, ob der Autor beim Schreiben eventuell verbotene Substanzen konsumiert hatte, ging mir mehr als einmal durch den Kopf. 😉
    LG von Kerstin von Büchersüchtig

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  2. Wow! Du hast es zu Ende gelesen, ich bin stolz auf dich 🙂 Ich habe die Lektüre abgebrochen, nachdem ich es wirklich zu absurd fand, dass der Kommissar als Floh durch die Gegend hüpft. Und die ganzen Hexengesänge haben das Weiterlesen tatsächlich nicht gefördert 😉 Es hat mich dann nichts mehr festgehalten weiterzulesen.
    LG
    Madeleine von Buchlingreport

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    1. Mariki Author

      Absurd ist das wirklich! Aber ich fand es echt gut geschrieben. Die Hexengesänge habe ich, ich gestehe es, einfach ausgelassen, die fand ich überflüssig. Ansonsten war ich aber recht gefesselt und total neugierig darauf, wie der Autor dieses Abenteuer zu Ende führen würde.

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