Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Grégoire Delacourt: Alle meine Wünsche

DelacourtUnd was, wenn alle Wünsche in Erfüllung gehen könnten?
„Ich bin siebenundvierzig, habe einen treuen, netten, nüchternen Mann, zwei große Kinder und eine kleine Seele, die mir manchmal fehlt.“ Jocelyne lebt in einer kleinen französischen Stadt, führt ein kaum einträgliches Geschäft für Stoffe und Knöpfe und schreibt ein beliebtes Blog über die Freuden der Handarbeit. Mit ihrem Mann hat sie gute und schlechte Zeiten erlebt, die Kinder sind aus dem Haus, es wartet der Weg in den beschaulichen Ruhestand. Jocelyne weiß, dass sie keine Schönheit ist: „Ich habe nicht die Anmut der Frauen, denen man lange Sätze mit Seufzern als Satzzeichen ins Ohr flüstert, nein. Ich verleite eher zu kurzen Sätzen. Deftigen Bissen.“ Aber sie ist zufrieden mit dem bescheidenen Glück, das sie hat. Und dann gewinnt Jocelyne 18 Millionen und 547.301,28 Euro im Lotto. Was tun? Dem Gatten den begehrten Sportwagen kaufen, den Laden schließen, eine Villa beziehen, Gucci tragen, Champagner schlürfen? Jocelyne ist völlig gelähmt. Sie denkt nicht an das, was sie bekommen, sondern an alles, was sie verlieren könnte. Und das geschieht schneller, als sie sich vorstellen kann …

Alle meine Wünsche ist eines jener schmalen, leichten, französischen Büchlein, die vom Glück und von der Liebe erzählen, die beschwingt daherkommen und doch im Inneren eine schwerwiegende Botschaft bergen. Anfangs flaniere ich neugierig durch Jocelynes idyllisches Leben, lausche ihren halb belustigten, halb verzweifelten Schilderungen ihrer Ehe, ihres Ladens, ihres Körpers und freue mich mit ihr über den Erfolg ihres Blogs. Dann holt Grégoire Delacourt auch schon verschmitzt grinsend zum ersten Schlag aus: Der Lottogewinn verändert alles. Oder könnte alles verändern. Aber Jocelyne hat Angst. Zuerst will ich sie schütteln und anschreien, fragen, ob sie verrückt ist, ihr Vorschläge machen für all die Abenteuer, die ihr der Lottogewinn finanzieren kann. Doch dann verstehe ich langsam ihre Panik vor dem Ungewissen, vor dem Verlust der Kontrolle, vor einem komplett anderen Leben. Sie will nicht reich und von falschen Freunden geliebt sein, sie braucht kein schnelles Auto, keine Gucci-Tasche, keine Yacht. Und sie weiß, dass sie ihrem Mann nicht mehr genügen wird, sobald ihm der Reichtum die vielen Alternativen in Reichweite rückt.

Also sitzen wir fest, Jocelyne und ich. Und beide rechnen wir nicht mit dem Schlag, den der Autor uns dann versetzt, weil er so niederträchtig, gemein und unvorhergesehen ist. Wobei, wenn man es genauer betrachtet, nichts logischer erscheint. In unserer grenzenlosen Naivität haben Jocelyne und ich geglaubt, es könnte so weitergehen mit dem netten, harmlosen Alltag und den kleinen Freuden, die man bewusst suchen muss, und wir sind geschockt von der Wendung, die die Geschichte nimmt. Grégoire Delacourt hat mich in die Falle gelockt und schüttet plötzlich einen Kübel Traurigkeit über mir aus. Ich habe noch nie Lotto gespielt, und zwar, weil ich nicht gewinnen will. Gewinnen ist scheiße. Genau wie Jocelyne brauche ich keine 18 Millionen Euro, sondern ein kleines Glück mit Kinderhänden in meinen, Ausflügen ans Meer und Weißt-du-noch-Küssen. Die Moral von dieser Geschichte ist uralt und bekannt: Geld macht nicht glücklich. Es verändert die Menschen – und nicht zum Besseren. Dies ist ein melancholisches, bitteres, lehrreiches Büchlein voller Sätze, die ich mir an die Wand nageln möchte, weil sie so schön sind. Und es bestärkt mich darin, niemals mit dem Lottospielen anzufangen.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
sehr schönes Cover, fast ein bisschen zu verspielt-romantisch.
… fürs Hirn: die altbekannte Frage, was man tun würde, sollte man im Lotto gewinnen.
… fürs Herz: überraschend viel Schmerz.
… fürs Gedächtnis: eins meiner Lieblingszitate: „Die Männer wissen, welche Katastrophen bestimmte Worte im Herzen der Mädchen auslösen; und wir armseligen Idiotinnen sind hingerissen und gehen in die Falle, begeistert, weil uns endlich ein Mann eine gestellt hat.“

0 Comments to “Grégoire Delacourt: Alle meine Wünsche”

  1. Da habe ich ja gerade erst entdeckt, dass Du auch “Alle meine Wünsche” gelesen und rezensiert hast und den Roman auch sehr mochtest. Ich habe ihn vor allem wegen des Covers gekauft, weil neben dem Lesen Stricken auch zu meinen Leidenschaften zählt und die Garnspindeln da so einiger verhießen (allerdings auch ein wenig Kitschverdacht transportierten). Als ich dann noch auf dem Klappentext von einem Blog der Protagonistin las war es um mich geschehen, auh wenn der Lotto-Gewinn eher abschreckend wirkte. Aber ich habe den Roman auch von der ersten Seite an wirklich gerne gelesen, er kommt so leicht daher und ist doch sehr weise. Und Jocelyn kann einem doch wirklich ans Herz wachsen.
    Viele Grüße, Claudia

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    1. Mariki Author

      Da hast du recht – er kommt leicht daher, der Roman, hat es dann aber in sich! Find ich ja amüsant, dass du ein Buch gefunden hast, dass dich aufgrund diverser Hobby-Ähnlichkeiten so angezogen hat 😉 Und dann war es auch noch so traurig, das hatte ich überhaupt nicht erwartet!

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