Bücherwurmloch

Jovana Reisinger: Still halten

„Was bleibt von mir übrig, wenn ich immer nur für die anderen lebe?“

Ich kann mich ja an nahezu alles schnell gewöhnen, das ist das Schöne an jemandem wie mir. Ich bin niemals ich. Ich kann mich super anpassen. Das ist ja das Schöne an Frauen wie mir, wir haben diese vielgelobte Flexibilität. Heute noch Arbeiterin, morgen schon Hausfrau. Heute noch kultivierte Städterin und dann eben doch ein einfaches, ruhiges Leben in der Provinz. Das ist das Gute an Frauen wie mir, wir können alles sein, alles was wir wollen und vor allem aber alles, was andere von uns wollen. Mit Frauen wie mir wird man glücklich. Da hat mein Mann aber Glück gehabt, dass er mich erwischt hat. Ich bin formbar!

Da ist diese Frau, die eigentlich immer sehr gut funktioniert hat, doch jetzt ist sie ein bisschen kaputt. Ein Jahr Ruhe geben soll die Frau, einfach mal nichts tun, dann wird sie wieder gesund werden, dann kann sie wieder zurück in die Gesellschaft.

Die Frau im Spiegel leidet an keinem gebrochenen Herzen, sondern an einem angeknacksten Hirnkastel.

Die Frau hat einen Mann, der geht auf Geschäftsreise, eine Mutter hat die Frau auch, die stirbt. Deswegen ist die Frau ziemlich allein mit ihrem Nichtstun und ihrer Ruhe, und so zieht sie raus aufs Land, in die Natur, und dort gerät alles so richtig außer Kontrolle. Denn die Tiere und die Natur haben ihre eigenen Gesetze, und die Frau – die ist einfach so wütend.

Ihr habt keine Ahnung, wie großartig Jovana Reisinger ist! Ich habe sie bei den Wortspielen München, die sie gewonnen hat by the way, in Leipzig und bei unserer gemeinsamen Lesung in Göttingen gesehen und kann nur sagen: Chapeau. Sie ist witzig, intelligent, ungemein kreativ und hat den Kleidungsstil einer mittelalten Frau. Aber niemand trägt Hosenanzüge mit so viel Eleganz wie sie. Auf der Dachterrasse in Göttingen hat sie mir erzählt, dass manche Kritiker den Witz hinter ihrem Buch nicht verstehen und dass sie sich fragt, ob das daran liegt, dass es ein österreichischer Humor ist. Jetzt bin ich zufällig Österreicherin und kann die Frage nicht eindeutig beantworten – ich jedenfalls fand Still halten witzig, sehr sogar. Es hat eine unterschwellige, nein, eigentlich oberschwellige Bösartigkeit, eine Düsternis und so viel Zynismus, es ist ein Fest. Jovana hat bei dieser Lesung auch gesagt, dass sie, als sie das Buch geschrieben hat, sehr jung war und sehr wütend. Das merkt man, und es steht dem Roman ausgezeichnet: das Wütendsein. Dadurch bekommt er eine feministische, emanzipierte Lesart, ein Aufbegehren, das zugleich – und das ist ebenso paradox wie authentisch – einhergeht mit tiefer Resignation. Weil es uns nun mal so geht, uns Frauen: wir kämpfen, wir begehren auf, wir resignieren gleichzeitig, denn wir können nicht gewinnen. Am Ende können wir uns nur entweder unterordnen – oder draufgehen.

Ich bekomme oft Nachrichten von Lesern meines Romans, die mir schreiben, sie hätten, nachdem sie bei meiner Lesung waren, bei der Lektüre meine Stimme im Ohr gehabt. Bisher dachte ich dabei immer: Äh, ja, natürlich, sicher nicht. Jetzt allerdings, nachdem ich Still halten gelesen habe, ist mir klar, dass das vielleicht die Wahrheit ist. Denn ich hatte bei der Lektüre tatsächlich die Stimme von Jovana im Ohr. Und das war herrlich, weil Jovana nämlich unglaublich gut gelesen hat. Sie hat den Witz des Buchs, diesen verzweifelten, galgenhumorigen, absurden Witz so gut transportiert, ich hatte ihn die gesamte Zeit bei mir – und hab den Roman dadurch noch mehr gemocht. Er ist schräg und originell, er ist merkwürdig und abstrus, amüsant und traurig. Es ist vor allem sehr schlau, und ich möchte noch einmal betonen: Es ist wütend. Es ist so wütend wie wir. Und deswegen ist es so dermaßen gut.

Still halten von Jovana Reisinger ist erschienen im Verbrecher Verlag (ISBN 9783957322739, 200 Seiten, 19 Euro).

2 Comments to “Jovana Reisinger: Still halten”

  1. Ich glaube, ich muss dieses Buch nochmal lesen, der Witz ist an mir vorbei gegangen. Soll aber nicht bedeuten, dass ich das Buch nicht großartig fand. Hatte es letztes Jahr für den Debütpreis gelesen und war begeistert, vor allem von dem Zynismus und dieser Wut, die man definitiv da rauslesen kann und das Ende entspricht ja sowieso meinem Geschmack und hält trotzdem viel zum Nachdenken bereit.

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