Bücherwurmloch

Liebe auf den zweiten Blick

IMG_0711Neu im Bücherwurmloch: Short Storys
Es war einmal: Früher hab ich keine Kurzgeschichten gelesen. Niemals! Weil ich mich in einen Roman vertiefen, von den Ereignissen wegspülen und von der Handlung einwickeln lassen wollte. Da lag ich dann stundenlang auf der Couch, im Bett oder saß im Bus – ich hatte Zeit zum Lesen. Und an den Short Storys störte mich die Notwendigkeit, sich immer wieder auf neue Figuren und ein neues Setting einzulassen, zu sprunghaft fand ich das, zu abgehackt, zu anstrengend.
Und dann ist das passiert, was im Leben immer passiert: Es hat sich was verändert. Mit einem und inzwischen zwei kleinen Kindern fehlt mir nämlich jetzt die Zeit zum Lesen. Würde man bei meinem Bücherkonsum nicht vermuten, aber ich lese tatsächlich sehr wenig – ich lese einfach nur wahnsinnig schnell. Aber: Auf der Couch liegen oder im Bus sitzen gibt’s nicht mehr. Sondern eher gestohlene Minuten zwischendurch, wenn ein Zwerg schläft und der andere sein Biene-Maja-Malbuch systematisch mit schwarzer Farbe tüncht, oder in der berühmten Happy Hour für Eltern, jener einen Stunde, in der die Kinder endlich im Bett sind und man selber noch kurz wach bleiben kann, bevor man ins Erschöpfungskoma fällt.

Jetzt habe ich plötzlich das umgekehrte Problem: Ich lese vielleicht über den Tag verteilt eine Stunde, immer wieder mal fünf bis zehn Minuten – und das mit dem Vertiefen, Wegspülen und Einwickeln klappt nicht mehr. Was bietet sich dagegen an? Genau. Kurzgeschichten. Also habe ich 2011 angefangen, diese mir bis dahin unsympathische Erzählkategorie genauer unter die Lupe zu nehmen. Der erste Titel war passenderweise Alles auf Anfang von David Benioff das ich gleich sehr gut fand. Auch Zoran Živković konnte mich mit seinen skurrilen Geschichten überzeugen. Die alte Abneigung hielt sich aber trotzdem noch hartnäckig und ich ging Short Storys weiterhin bewusst aus dem Weg. Ich wollte noch nicht so ganz glauben, dass das was werden könnte mit uns.

2012 versuchte Miroslav Penkow sein Glück und konnte ebenfalls bei mir landen. Auch die Kurzgeschichten von Svenja Heiss, die ich im Urlaub in Kopenhagen gelesen habe, mochte ich. Darauf folgte der Titel Liebe von Molly MacCloskey, der schon in die richtige Richtung wies – aber ich wollte mich noch immer nicht erobern lassen. Deshalb gab es 2013 eine komplette Kurzgeschichtenpause. Und dann? Habe ich meinen Widerstand endlich aufgegeben.

2014 ist noch jung, aber ich habe schon fünf Kurzgeschichtenbände gelesen: Die Ernte von Amy Hempel, Feuer ist eine seltsame Sache von Lisa Elsässer, Wassererzählungen von John von Düffel, Zehnter Dezember von George Saunders und Muldental von Daniela Krien. Spätestens seit John von Düffel und Daniele Krien ist mir klar: In Sachen Short Storys bin ich ein Spätzünder – aber jetzt ist die Leidenschaft dafür umso größer. Beide Bücher hätte ich am liebsten inhaliert. Immer in den gestohlenen zehn Minuten zwischendurch. Ich bin regelrecht berauscht. Frisch verliebt! Und ihr wisst ja, wie das ist: Man muss dann immer grinsen und jedem davon erzählen. Deshalb nochmal ganz laut: Mariki liest und liebt jetzt Short Storys!

Und ihr so? Lest ihr Kurzgeschichten oder macht ihr einen Bogen darum? Ich bin gespannt auf eure Erfahrungsberichte. Und vor allem: Was muss ich als Kurzgeschichtenneuling unbedingt lesen, habt ihr Tipps?

0 Comments to “Liebe auf den zweiten Blick”

  1. Deine Überlegungen kann ich sehr gut nachvollziehen. Mir fehlt abends zur elterlichen Happy Hour auch meist die Energie für lange Lesephasen. Ich hoffe sehr, dass sich das irgendwann wieder gibt. Meine Mutter schwärmt ja von ihrer intensiven Lesezeit, seitdem die Kinder aus dem Haus sind. Bis es bei mir soweit ist, greife ich wohl auch immer häufiger mal zu kurzen Büchern und Kurzgeschichten. Es gibt auch da viel zu entdecken 🙂

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    1. Mariki Author

      Oh, vielen Dank für deinen Kommentar – ich freu mich, dass ich nicht die Einzige bin. Und bestimmt wird sich das wieder ändern! Auch wenn es noch lang dauern wird, bis die Kinder aus dem Haus sind … 😉

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      1. Ja und es ist doch auch schön mit den kleinen Monstern. Übrigens zähle ich auch Bilderbücher zu den Kurzgeschichten 😉
        Ich kann die Kurzgeschichten von Truman Capote empfehlen. Hab einen schönen Abend!
        Mareike

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  2. Liebe Mariki,

    ich habe mir lange schwer getan mit Kurzgeschichten und Erzählbänden, weil es mir doch ähnlich geht wie dir: ich möchte mich in eine Geschicke versenken können, am liebsten über hunderte von Seiten.
    Es gibt ein paar Autoren, von denen ich gerne Kurzgeschichten lese – empfehlen kann ich dir James Salter und vor allen Dingen Tobias Wolff.

    Liebe Grüße
    Mara

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  3. Frolleinmueller

    Ich liebe Kurzgeschichten, bin ja aber ohnehin literarischer Allesfresser. Clemens Meyer “Die Nacht, die Lichter” habe ich förmlich gefressen. Zuletzt gelesen habe ich “Die Schwestern Vane” von Nabokov, sprachliche Perlen, eine schöne Abwechslung zu dem Fast Food, das ich nebenbei inhaliere 🙂

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  4. Hallo Mariki, falls du was mit Stephen King anfangen kannst empfehle ich dir das Buch “Full Dark, No Stars” (hab grad den dt. Titel nicht im Kopf). Da sind in meinen Augen ganz starke kurzgeschichten. Mir geht es so woe dir, bis auf King habe ich noch keine Kurzgeschichten angefasst. Sollte ich vielleicht mal überdenken, wenn auch bald das zweite Mäusl da ist. Deine Tipps sind jedenfalls schon auf meine Wunschliste gelandet (vor allem 10.Dezember reizt mich). Liebe Grüße

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    1. Mariki Author

      Oh, Stephen King, ich weiß nicht… Da hatte ich mit 13 eine ganz heiße Phase 😉 Allerdings keine Kurzgeschichten.
      Kommst du denn mit Kind noch dazu, dich in Romane zu vertiefen?

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      1. Gib Stevie eine Chance 😉 seit seinem Unfall um 2000 rum hat sich sein Stil enorm gewandelt und habe ihn eigentlich erst seit da richtig schätzen gelernt. Kann dir da “Der Anschlag” wärmstens empfehlen zum wieder kennen lernen 🙂
        Mit einem Kind schaffe ich es zur Zeit recht gut, in Romane zu finden und mich darin zu vertiefen. Hängt natürlich auch vom Buch selbst ab und ich lese meist abends vorm schlagen gehen, was erstaunlich gut funktioniert. Bin jedenfalls gespannt, wie es mit 2 Kids dann wird.

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          1. In etwa. 2 Geschichten sind mit Mysteryelementen versetzt und bei zweien speist sich der Horror aus der Situation heraus. Was King in diesen Geschichten aber gut gelingt ist, die Charakterisierung der Hauptfiguren und so wie er das heute macht, hat er das früher nicht hinbekommen. Ich fand die Geschichten beklemmend gut.
            Also wenn das zweite nach dem Ersten kommt, dann muss ich wohl auch auf Kurzgeschichten zurück greifen 😉

  5. Mir gefällt die Kurzgeschichtensammlung “Monster” von Benjamin Maack im Moment sehr gut. Die Geschichten sind aber zum Teil sehr düster und unheimlich.
    Auch “Über die Liebe und den Hass” von Rachida Lamrabet und “Liebesperlen” von Marina Leky sind sehr lesenswert. Erstere beschäftigt sich mit Fremdenfeindlichkeit in den Niederlanden und letztere ist überaus humorvoll.

    LG, Katarina 🙂

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    1. Mariki Author

      Oh, hoppla – tatsächlich hab ich Lamrabet schon gelesen! Aber in meiner Aufzählung vergessen… Das war wirklich sehr gut.
      Von “Monster” hab ich schon gehört, und von Marina Leky kenn ich diesen schrägen Roman… Ich wusste gar nicht, dass sie auch Kurzgeschichten schreibt. Danke!

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  6. Auch für mich sind Kurzgeschichten eher eine Ausnahme. Aber vielleicht komm ich ja noch an den von dir beschriebenen Punkt 😉 Und dann weiß ich ja, wo ich suchen muss – bei dir. Bin gespannt, was du noch alles entdeckst.

    Liebe Grüße von der Bücherliebhaberin

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  7. Mir ist das früher auch so gegangen, daß ich die Kurzgeschichtenbände nicht gelesen habe, weil zu kurz und kein richtiger Roman und bei einigen habe ich es getan, weil ich dachte, es wäre einer und war dann sehr enttäuscht, als die Geschichte schon zu Ende war und was anderes kam. Inzwischen haben sich aber soviele Bände, darunter zwei von der Alice Munro bei mir angesammelt, daß ich sie lese, aber das Liebste ist mir wahrscheinlich der lange Roman

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  8. Huhu,
    auch ich habe lange Zeit von vorneherein alle Kurzgeschichten abgelehnt. Mir erging es ähnlich wie dir, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass mich eine Short Story je so fesseln könnte wie ein Roman. Bis zum letzten Jahr. Zwei Kurse in amerikanischer Literatur an der Uni haben mich belehrt.
    Wer hätte gedacht, dass AutorInnen, wenn sie ein Mindestmaß an Talent besitzen, so viel Signifikanz in ein paar Seiten unterbringen können? Ich bin unendlich dankbar für diese Erfahrung, denn hätte mich beispielsweise “Where Are You Going, Where Have You Been” von Joyce Carol Oates nicht so begeistert, ich hätte sie wohl nie als Autorin für mich entdeckt. Ich hätte nie gelernt, wie viel Inhalt unter der Oberfläche in Hemingways Werken schlummert (die sogenannte Eisberg-Theorie). Es hätte vermutlich noch Jahre gedauert, bis ich mich entschieden hätte, William Faulkner eine Chance zu geben. Ich konnte einfach nicht fassen, wie viel Spaß mir die Arbeit an diesen kurzen Texten machte.
    Da du ausdrücklich um Empfehlungen gebeten hast, hinterlasse ich dir die Adresse eines Beitrag in meinem eigenen Blog, in dem ich die Kurzgeschichten meiner Kurse aufgelistet habe, die mich besonders faszinierten. Alle Short Stories sind verlinkt, sodass du sie ganz einfach im Netz lesen oder dir ausdrucken kannst. 🙂

    http://wortmagieblog.wordpress.com/2014/05/20/28-01-2014-kurzgeschichten/

    Viele liebe Grüße,
    Wortmagieblog aka Elli

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