Die Geschichte einer homosexuellen Liebe
“Mach, dass der Sommer nie ein Ende hat, mach, dass Oliver nie fortgeht, mach, dass die Musik in dieser Endlosschleife in alle Ewigkeit weiterspielt, es ist sehr wenig, worum ich bitte, und ich schwöre, dass ich mir nicht mehr wünschen werde.” Elio ist 17 und verbringt den Sommer wie jedes Jahr mit seinen Eltern auf ihrem Anwesen in Italien, der diesjährige Sommergast ist der 24-jährige Oliver, der an der Universität arbeitet und über Heraklit schreibt. Dieser junge, arrogant wirkende Mann löst in Elio, der bereits sexuelle Erfahrungen mit Mädchen gemacht hat, überraschende Empfindungen aus: “Was ich mir statt dessen wünschte, von dem Moment an, in dem er aus dem Taxi stieg, bis zu unserem Abschied in Rom, war das, was alle Menschen sich voneinander wünschen.” In ihm brennt plötzlich ein Verlangen, dem er nichts entgegensetzen kann, und so beginnt ein Spiel zwischen Elio und Oliver, sie buhlen um die Aufmerksamkeit des anderen, reden aneinander vorbei, sehnen sich nacheinander und können es sich doch nicht sagen. Erst als der Sommer beinahe zu Ende ist, verlieren sie endlich ihre Hemmungen: “Alles Störende war beseitigt, sekundenlang schien der Altersunterschied aufgehoben, wir waren einfach zwei Männer, die sich küssten, und selbst das wurde immer bedeutungsloser, wir hörten auf, zwei Männer zu sein, waren nur noch zwei Menschen.”
André Aciman hat mit Ruf mich bei deinem Namen einen sehr einfühlsamen und kunstvollen Roman über eine homosexuelle Sommerliebe geschrieben. Meisterhaft schildert er dabei die Verwirrung, die diese Liebe in den beiden jungen Männern auslöst, die nicht unbedingt oder nicht nur homosexuell sind, sich aber magisch voneinander angezogen fühlen. Sehr detailreich widmet sich der Autor dem Hin und Her zwischen seinen beiden Protagonisten, dem Geplänkel, dem Geflirte – das ist amüsant, bewegend und ein bisschen zäh zugleich. Es dauert seine Zeit, bis die beiden sich einander nähern können, obwohl man als Leser von Beginn an weiß, dass es geschehen wird. Viel Unsicherheit liegt in der Luft, die permanent erotisch aufgeladen ist. Jeder Blick hat eine Bedeutung, jede Berührung ist elektrisierend. Das zu vermitteln, ist André Aciman perfekt gelungen.
Sex zwischen Männern ist vielleicht nicht mehr ein so starkes Tabuthema wie einst, dennoch ist es schwierig, bei (homo)erotischen Beschreibungen nicht ins Lächerliche zu verfallen, alles zuzulassen, nichts als ekelhaft zu stigmatisieren. André Aciman hat sich herangetraut an dieses Thema – und es bravourös gemeistert. Seine Sätze sind manchmal etwas lang, der Stil ist ausufernd, grundsätzlich aber liegt viel Zuneigung in den Formulierungen. Und da Elios Vater Hochschulprofessor ist und seinen Sohn zu einem Intelligenzbolzen herangezogen hat, der in seinen Sommerferien Haydn transkribiert, kann man durch die pointierten Dialoge in diesem Buch auch noch etwas lernen. Schön ist der Ausklang, denn das Buch endet nicht mit jenem Sommer, der so unvergesslich bleibt für Elio und Oliver. Lesen!