Für Gourmets: 5 Sterne

Düffel„Das wirkliche Leben macht keine Ausnahmen“
Wasser! Wasser. Lebensrettend kann es sein – und tödlich. Heiß, klar, brausend, reißend, still. Wasser ist unser Element, wir sind Wasser. Und in all seinen Facetten taucht es auf in den elf – der Titel verrät es – Wassererzählungen von John von Düffel. Manchmal blubbert es sich in den Mittelpunkt, manchmal muss ich es suchen, der plätschernden Fährte folgen, aber es ist immer da. In der Geschichte eines Schwimmers, der in der bitterkalten Ostsee trainiert, im Telefonmonolog eines Vaters, der mit seiner pubertierenden Tochter eine Kreuzfahrt unternimmt, in der Erzählung über eine Schwangere, die ihr ungeborenes Kind verliert, genauso wie im Dialog zweier Schwimmerinnen über die ungewöhnliche Aufgabe, möglichst ästhetisch zwei Stunden lang im Pool eines reichen Architekten Bahnen zu ziehen – nackt. Mal müssen Menschen sich verabschieden, mal finden sie zusammen, mal denken sie wehmütig an die Vergangenheit, mal leiden sie an ihrer Gegenwart. Und immer spielt es auf irgendeine Weise eine Rolle: das Wasser.

Klirrend kalt ist John von Düffels erste Story „Ostsee“, so kalt, dass ich geschockt bin, die Augen aufreiße, keine Luft mehr bekomme und am Ende nur denke: Wow. Ich glaube, das ist die beste Kurzgeschichte, die ich bisher gelesen habe. Weil sie so schneidend ist, so klar, so einfach und doch so vielschichtig. Ich bin derart geflasht, dass ich mich einen Moment lang gar nicht traue, weiterzulesen. Was kann da noch kommen, was tut dieser Autor mir an, der mich mit der ersten Geschichte gleich aufspießt? Was schüttet er über mir aus mit diesen elf ums Wasser gruppierten Geschichten? Pures Menschsein. Abschiednehmen und Verzeihen, Liebe, Hoffnung, das lähmende Gefühl, vom Alltag erstickt zu werden, nicht zu genügen, das ewige Buhlen um Aufmerksamkeit. Amüsant sind die Geschichten, auf eine sehr abgeklärte Weise, ehrlich, abgründig, sehr intelligent. John von Düffel, der als Dramaturg und Professor arbeitet, hat bereits mehrere Romane veröffentlicht, die mit Preisen bedacht wurden. Es wundert mich nicht. Er schreibt meisterhaft. Und das Wasser scheint ihn zu faszinieren, sein erstes Buch 1988 hieß Vom Wasser, er selbst schwimmt leidenschaftlich gern.

„Eine Bläue, die allen Dunst und Nebel, die Wolken und Schwaden in sich aufgesogen und verwandelt hat in einen Reifatem, der die Sonne blass macht, eine gefrorene Scheibe aus Licht.“ Poetisch sind die Wassererzählungen, melancholisch, manchmal verträumt, manchmal knallhart – und immer saugut. Nicht jede Geschichte kann mich begeistern und keine so wie die erste, doch nach der anfänglichen Schrecksekunde springe ich kopfüber in dieses seltsame, aufwühlende Buch, lasse die Emotionen über mir zusammenschlagen, tauche ein in die wunderbare Sprache, höre es sprudeln, gurgeln, zischen. John von Düffel hat verschiedenste Themen und unterschiedliche Erzählstile gewählt, sodass jede Story einzigartig und unverkennbar funkelt. Ich mag das, und ich mag es so sehr, dass ich nicht will, dass dieses Buch endet. Leider tut es das doch. Aber wenn ich Glück habe, schreibt John von Düffel noch so eins für mich. Ich würde es lesen, und wer mich kennt mit meiner merkwürdigen Angewohnheit, nie mehr als ein Buch vom selben Schriftsteller zu lesen, weiß, dass DAS das größte Kompliment meinerseits ist. Holt euch dieses Buch, lest es, lest es!

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Wassererzählungen von John von Düffel ist erschienen im Dumont Verlag (ISBN 978-3-8321-9744-5, 256 Seiten, 19,99 Euro).

Was ihr tun könnt:
Die begeisterte und wunderbare Rezension der Klappentexterin lesen.
Ein Video über und mit John von Düffel anschauen.
Das Buch bei ocelot.de bestellen.

Andere gute Bücher, in denen Wasser eine Rolle spielt:
Marco Balzano: Damals, am Meer
Per Petterson: Im Kielwasser
Margaret Mazzantini: Das Meer am Morgen