Netter Versuch: 2 Sterne

MunroKurzgeschichten ohne Pfiff
Ab und zu lasse ich mich überzeugen, etwas zu lesen, von dem ich eigentlich denke, dass ich es nicht mag: in diesem Fall Kurzgeschichten. Und leider hat die vielgelobte Alice Munro meine Abneigung bestätigt und verstärkt. Ich hab mir von ihr viel – womöglich zu viel – erwartet, da sie mir bereits mehrfach empfohlen wurde. Aber schon bei der ersten Geschichte bin ich enttäuscht und weiß, dass Munro und ich keine Freundinnen werden. Ihr Stil ist mir zu platt, große Ereignisse werde banal dargestellt und auch in sprachlicher Hinsicht ist Tricks nicht gerade ein Highlight.

Alle Geschichten haben eine Frau im Mittelpunkt – einer davon, Juliet, folgen wir über mehrere Sequenzen, zwischen denen viele Jahre liegen. Wohin die kurzen Episoden führen und was sie mir eigentlich sagen sollen, kann ich nicht ergründen. Ebenso schwer fällt es mir, mich mit diesen verschiedenen Frauen zu identifizieren. Alice Munro schreibt angenehme Geschichten, die mir aber viel zu wenig Tiefe haben. Ich stelle erneut fest, dass mir auch hier fehlt, was mir bei Kurzgeschichten immer fehlt: Die Charaktere sind zu unklar gezeichnet, die Ereignisse hängen in der Luft ohne Verankerung in der Vergangenheit und/oder Zukunft.

Munros Stil ist zudem nicht unbedingt altmodisch, aber doch etwas umständlich. Formulierungen wie “sie hatte nicht die Traute” oder “ihr Speiseplan war ausreichend nahrhaft” finde ich extrem gestelzt (hier könnte der Schwarze Peter aber auch bei der Übersetzerin liegen). Insgesamt finden sich einige interessante Aspekte und originelle Settings in diesen Kurzgeschichten, aber ich bin nicht überzeugt – ich könnte jetzt, nach nur zwei Wochen, nicht einmal eine einzige Geschichte nacherzählen. Sie sind mir nicht im Gedächtnis geblieben.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

MaraiÜber die Freundschaft, die Liebe und das Leben
Es sind die großen Themen, mit denen sich der ungarische Schriftsteller 1942 in seinem Roman Die Glut auseinandergesetzt hat: Es geht um die Freundschaft zwischen zwei Männern, um Verlust und Verrat. Seit 41 Jahren wartet Henrik darauf, dass Konrad zurückkehrt – dieser ist am 2. Juli 1899 überstürzt nach einem gemeinsamen Abendessen aufgebrochen und aus Henriks Leben verschwunden. Seit Jahrzehnten fragt er sich nun, was geschehen ist – und welche Rolle seine Frau Krisztina dabei gespielt hat.

Ein halbes Leben vergeht, bis die ehemals besten Freunde einander wiedersehen – die Monarchie ist zerbrochen, das 200 Jahre alte Schloss von Henrik ist zerfallen, ein Krieg hat begonnen und wieder geendet. Nun endlich erhält Henrik Antworten auf seine Fragen – und berichtet uns in einem langen, aber nicht langatmigen Monolog vom Wesen der Freundschaft. Sándor Márai, der sich im Alter von 89 Jahren das Leben genommen hat, war ein meisterhafter Beobachter. Schon in Wandlungen einer Ehe hat er mich mit seinen pointierten und scharf gezeichneten Analysen der Welt begeistert.

Die Glut ist ein lebenskluges, nachdenkliches und wahres Buch, das eine klischeehafte Situation, wie es sie tausendfach gegeben hat und gibt (“Zwischen zwei Menschen, zwischen einer Frau und einem Mann, sind das Warum und das Wie sowieso immer beklagenswert gleich”), bis ins Detail durchleuchtet und als schillerndes Kaleidoskop präsentiert – voller trauriger, tiefgründiger und lesenswerter Gedanken. Es ist ein Tag, ein Ereignis, ein Gefühl, das eine ganze Zukunft beeinflusst und dazu führt, dass ein Mensch 41 Jahre lang darauf wartet, sterben zu können. Márai beschreibt diesen Seelenzustand ohne Pathos, aber mit Stil.

Gut und sättigend: 3 Sterne

EnquistAmor Omnia Vincit – die Liebe überwindet alles
Nach 16 Jahren in der Nervenheilanstalt wird die berühmte Hysterikerin Blanche Wittmann entlassen – und findet eine Anstellung bei Marie Curie. Gemeinsam arbeiten sie mit Pechblende und isolieren Radium. Beide bezahlen dafür mit ihrem Leben. Blanche schreibt in einem Buch aus drei Teilen über “Radium, Tod, Kunst und Liebe”. Sie will in ihren drei Notizbüchern “die wissenschaftliche und zugleich sinnliche Erklärung für das der Liebe innewohnende Wesen” finden.

Per Olov Enquist hat einen Roman – oder ist es eine Art Dokumentation? – geschrieben über zwei Frauen der Geschichte, eine davon merkwürdig entrückt, die andere nobelpreisgewürdigt, aber skandalgeschüttelt. Sein mehr als eigenwilliger Stil ist nicht übermäßig reizvoll, denn es gibt keinen roten Faden – die Reihenfolge der Ereignisse ist völlig willkürlich. Bereits auf den ersten Seiten erzählt er alles, was passieren wird – und dann wiederholt er es beständig. Somit weiß man bereits zu Beginn, wie es ausgehen wird – und hätte er nicht einige zauberhafte Sätze in seine wirren Beschreibungen gestreut, ich hätte nicht mehr weiterlesen mögen.

Das Buch von Blanche und Marie nervt und fasziniert mich zugleich. Was Fiktion ist und was Realität, bleibt unklar. Enquist ist zu wunderbaren Formulierungen wie “Liebe kann entstehen, wenn jemand sein Dunkel mit dem anderen teilt” fähig, kann anscheinend aber keine logisch zusammenhängende Geschichte aufbauen (und auch keine Beistriche setzen – das kann aber auch die Schuld des Übersetzers sein). Was also bleibt am Ende? Jede Menge Verwirrung, aber schön formuliert.

Netter Versuch: 2 Sterne

NothombWie ein Mensch seine Nachbarn bis aufs Blut reizen kann
Alles beginnt so idyllisch: Émile und Juliette sind beide 65 Jahre alt, seit ihrer Volksschulzeit zusammen und freuen sich, endlich in Pension gehen und in ein kleines Haus auf dem Land ziehen zu können. Doch dann taucht der griesgrämige Nachbar auf – und zwar jeden Tag um 16 Uhr. Was wie ein vermeintlich höflicher Besuch wirkt, wächst sich schnell zum Albtraum aus für das alte Ehepaar: mit keiner Methode ist dieser aufdringliche Mensch abzuschütteln.

Amélie Nothomb legt mit diesem Buch eine interessante und sehr amüsante Studie darüber vor, wie Menschen angesichts von verblüffender Unhöflichkeit reagieren – und beschreibt geradezu mit schelmischer Freude, wie für Émile und Juliette alles auseinanderbricht. Ihr Stil erinnert mich an Roald Dahl und seine zynischen Geschichten mit ihrem typischen grotesken Humor. Der Professor berichtet vom kleinen Grauen im Alltag – und davon, wie plötzlich alles komplett aus dem Ruder laufen kann. Dies ist ein kleines Büchlein zum Schmunzeln, das man in zwei bis drei Stunden ausgelesen hat, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Netter Versuch: 2 Sterne

ShakespeareStürmische, aber dennoch öde Zeiten in Tasmanien
Alex und Merridy lernen sich in Wellington Point kennen – einem Kaff an der Küste von Tasmanien. Sie sind jung, verlieben sich und heiraten. Merridy zieht zu Alex auf die Farm und sie beginnen ihr gemeinsames Leben. Doch schon bald merken sie, dass so einiges ausbleibt: das erwünschte Kind und das erhoffte Glück. Das Land ist ebenso karg wie ihre Ehe – bis ein gewaltiger Sturm alles (zumindest kurzzeitig) ändert, weil er einen Schiffbrüchigen anspült, der ein bisschen Leben in die Bude bringt.

Unter einem Sturm, den der Titel verspricht und den der Klappentext zum vermeintlichen Höhepunkt des Buchs macht, stelle ich mir etwas anderes vor als diesen Roman: mit unsympathischen Protagonisten, einer Landschaft wie aus einem Rosamunde-Pichler-Film (kein Tippfehler, ein Gag) und Ereignissen so zäh und langweilig wie der Schlamm am Ufer des Meeres reißt mich dieser Sturm nicht gerade vom Hocker. Hier weht eher ein laues Lüftchen. Denn auch der Schiffbrüchige, der laut U4-Text das fehlende Kind ersetzen soll, bringt nicht den erwarteten Aufschwung. Leider erinnert mich die eine oder andere Beschreibung des Liebes- und Farmerlebens gar zu sehr an niveaulose Frauenliteratur.

Zwar bin ich von der Sprache stellenweise recht überzeugt, vom Inhalt jedoch weniger. Während einige Metaphern geradezu auf der Zunge zergehen, sind andere Ausdrücke eher merkwürdig: zumindest verspüre ich sehr selten “ein Zucken in der Gebärmutter”. Alles in allem fehlen mir Leidenschaft und Relevanz der Geschichte, ohne die man gut leben kann.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

ParksScharfzüngig, sarkastisch und bitter
Cleaver ist Mitte fünfzig, erfolgreicher Journalist und Vater von vier Kindern. Kurz nachdem er, der für die BBC in London arbeitet, den amerikanischen Präsidenten interviewt und somit den Höhepunkt seiner Karriere erlebt hat, bricht er auf in die Einsamkeit: in ein abgelegenes Dorf in Südtirol, das auf den Winter wartet – ohne Gepäck und ohne Begleitung. Hier kennt ihn niemand und das ist gut, denn: “a man who is going to live on a mountain hut has no use for a reputation”. Was er dort sucht, ist Cleaver selbst nicht ganz klar: Er muss sich mit dem Buch auseinandersetzen, das sein ältester Sohn geschrieben und das ihn bis ins Mark verletzt hat.

In drei Schichten erzählt Tim Parks meisterhaft die Geschichte des fettleibigen Schwerenöters Cleaver, der sich selbst in die Isolation zwingt: da ist zum einen der Journalist und sein Ruhm, in dessen Schatten die Kinder stehen, dann gibt es zum anderen das Buch des Sohnes, das zynisch und fies den Vater zerfleischt, und schließlich sind da die Einwohner des Südtiroler Dorfs, die Cleaver nicht verstehen kann und die ihn doch so neugierig machen. Dieser Teil war besonders interessant für mich, weil auch ich ein Bergkind bin – und weil Parks im englischen Original viel Deutsch einbaut.

Cleaver ist ein richtig kluges, gut durchdachtes und überraschend amüsantes Buch. Mit beißender Schärfe und originellen Kommentaren erzählt Tim Parks von einem, der nur an sich selbst denkt, der seine Frau betrügt und seine Kinder verletzt, und der dann – konfrontiert mit dem, was er getan hat – aus der Bahn fällt. Wie Cleaver im Schnee, ohne Handy und mit zu wenig Lebensmittel gegen den eigenen Hochmut kämpft, ist richtig lesenswert.

Netter Versuch: 2 Sterne

DahlVon einem, der immer draußen steht
Vilgot ist 11 Jahre alt und allein. Seine Eltern schließen ihn aus und so muss er sich mit sich selbst beschäftigen. Er hat keinen Platz in der Familie – und deshalb ist es nur logisch, dass ihm etwas Schlimmes passiert. Viele Jahre später lebt er auf einem Bauernhof mit einem angeketteten Elefanten, der über die Umwege eines Zirkusses zu ihm gekommen ist. Der Elefant ist einsam, krank und traurig – genau wie Vilgot. Dieser Mann ist einer von jenen, die, wenn man sie sieht, so verloren und verrückt wirken, dass man ein bisschen Angst vor ihnen hat.

Auf dem Weg zu einem Freund ist die Geschichte über einen Jungen, der verloren geht und verletzt wird. Während einige Sätze wunderschön sind und ich an und für sich so verquere Geschichten mag, ist mir dieses Buch im Endeffekt leider doch zu verwirrend und unausgegoren. Während Vilgot als erwachsener Mann in der Ich-Form erzählt, wird über Vilgot als Kind in der dritten Person berichtet – die Zeit wechselt ebenfalls wild zwischen Vergangenheit und Gegenwart, teilweise mitten im Satz. Da verschiedene kurze Geschichten angerissen werden, fehlt der rote Faden. Ich komme deshalb nicht in die Handlung hinein, vielmehr stehe ich außen und wundere mich. Ich hätte mir mehr Einblicke in die Charaktere gewünscht, mehr Informationen über die Ereignisse.

Trotz all dieser Kritikpunkte beschäftigt mich dieses Buch und ich würde – obwohl ich es für mich persönlich eher schlecht bewerte – nicht sagen, dass man es nicht lesen sollte. Es ist mit Sicherheit ein sehr trauriger und abgedrehter Roman, der dem einen oder anderen vielleicht gefällt. Mit mir und Vilgot hat es leider nicht geklappt.

Bücherwurmloch

4 WochenLeseschmaus auf Italienisch
Welcome back für mich selbst! Nach vier Wochen in Rom, Verona und Florenz bin ich mit jeder Menge verdautem Lesestoff im Gepäck zurückgekehrt. War ganz schön schwer, der Koffer … aber ich hab die jeweils anwesenden Männer verpflichtet, ihn für mich zu heben, hehe. Es standen verschiedenste Genüsse auf dem Speiseplan: einige haben gemundet, andere waren geschmacklos, wieder andere hinterließen einen bitteren Nachgeschmack.
Vorhang auf für die zehn Bücher der letzten vier Wochen!

Bücherwurmloch

Sono in Italia per quattro settimane … juhu!
Die nächsten vier Wochen wird sich hier im Bücherwurmloch von meiner Seite aus nicht viel rühren – auch wenn mein Lesehunger natürlich ungebremst bleibt. Ich bin auf Sprachreise in Italien … und werde hoffentlich zum Lesen, aber sicher nicht zum Bloggen kommen. Dafür sollte ich dann mit genügend verspeisten Büchern im Koffer wieder zurückkehren. Bis dahin – lest euch die Augen wund und genießt es!

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

HansenVom Anderssein und Ausgestoßenwerden
Evas Geburt beginnt unter keinem guten Vorzeichen: Und das ist bezeichnend für den weiteren Verlauf ihres Lebens. Sie wird mit langen, feinen Haaren am ganzen Körper geboren, die nicht – wie der Vater hofft – ausfallen, sie sind überall, im Gesicht, an den Händen, am Rücken, am Bauch. Ihre ersten Jahre verbringt Eva in großer Einsamkeit, nur manchmal wird sie aufgespießt von neugierigen Blicken. Das Alleinsein ist schlimm – aber als sie endlich in Kontakt mit Menschen und anderen Kindern kommt, da wird es noch viel schlimmer.

In Das Löwenmädchen erzählt Erik Fosnes Hansen eine Geschichte über eine Außenseiterin, die von der Gesellschaft keine Chance bekommt, sich zu integrieren. Wunderbare Elemente verwebt Hansen zu einem dichten Netz, in dem die kleine haarige Eva, das Löwenmädchen, gefangen ist. Sie hat viele Talente, Wünsche und Sehnsüchte, aber die Realität schiebt ihr immer wieder einen eisernen Riegel vor. Das Löwenmädchen ist ein Buch über Ausgrenzung und Hoffnungslosigkeit, Alleinsein und die groteske Faszination der Menschen an “Missgeburten”. Manche Formulierungen muss ich drei Mal lesen, so schön sind sie – zum Beispiel: “Sie legte ihre Lippen auf seine und begann, sein Lächeln aufzuessen.”

Am Anfang dauert es lange, bis ich in dieses Buch hineinfinde, mich irritieren die verwirrenden Stellen, die Fragen, die dazwischen eingeworfen werden – vermutlich von Eva selbst, die das Geschehen aus der Distanz und später zu beobachten scheint. Der Autor wechselt häufig die Perspektive, er lässt Eva in der Ich-Form erzählen und springt dann wieder in die dritte Person – das mag vielleicht einen Grund haben, den ich nicht erkennen kann, aber ich bin für solche Späße nicht zu haben. Womöglich bin ich ein unflexibler Leser, aber es gefällt mir einfach nicht. Das ist allerdings der einzige Schwachpunkt dieses ansonsten lesenswerten und soghaften Romans.  Während mich die Geschichte zu Beginn nicht so richtig fesseln kann, lässt sie mich am Ende nicht mehr los und ich muss immer wieder daran denken. Definitiv ein Roman, den man – ausnahmsweise – einmal nicht so schnell vergisst.