Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Ein ergreifendes Buch frei von Pathos
“Mein Vater starb nur wenige Wochen nach meiner Geburt. Mir blieb nichts als ein Foto.” Jahrelang steht es auf der Kommode, dieses Foto, bis dem jugendlichen Erzähler plötzlich ein Detail auffällt, das er bislang übersehen hat: die Uhr, die der nie gekannte Vater am Handgelenk trägt. Wo ist sie jetzt? Es ist ihm auf einmal ein Bedürfnis, diese Uhr zu finden, sie zu besitzen. “Ich war siebzehn, es war ein Mittwochnachmittag, es ist lange her.” Und so macht er sich auf die Suche: nach der Uhr, nach Antworten auf die vielen offenen Fragen, denen die Mutter seit Jahren ausweicht, nach der eigenen Identität. Das Ziel ist Paris, es ist Sommer, unser Held ist 17, und wenn er nach hause zurückkehrt, wird er erwachsen sein – und endlich wissen, was damals mit seinem Vater geschehen ist.

In Zur falschen Zeit richtet der preisgekrönte Autor Alain Claude Sulzer das Scheinwerferlicht auf einen jungen Mann, der, um sich aufmachen zu können in sein eigenes Leben, erst ergründen muss, wo seine Wurzeln liegen. In einem tragfähigen, dicht gewebten Schreibstil berichtet Alain Claude Sulzer von einer Suche, in deren Verlauf unerwartete Geheimnisse an die Oberfläche drängen, und er lässt uns eintauchen in die 1950er-Jahre, in denen es schwer war, vermutlich schwerer noch als heute, anders zu sein als die Mehrheit. Bedächtig und doch pointiert sind die Sätze dieses Schriftstellers, der es perfekt versteht, dem Leser schon früh ein Gefühl für die Hintergründe zu geben, ohne sie allzu offensichtlich darzulegen. Lange muss man zwischen den Zeilen lesen, bis der Verdacht, den man hatte, bestätigt wird. Das ist fesselnd und verlangt jene Aufmerksamkeit, die diesem Roman gebührt. Atmosphärisch sind die Sätze, rhythmisch die Beschreibungen: “Die Luft, die nach Heizöl roch, war vom erregten Ticken unzähliger großer und kleiner Uhren durchwirkt, die unvermittelt in verschiedenen Tonlagen und Lautstärken immer wieder halbe, ganze oder Viertelstunden schlugen.”

Zur falschen Zeit ist ein kluges Buch, das ein tragisches Thema aufgreift, aber nie um Mitleid heischt. Kurz irritiert hat mich, dass Emil, der Vater, erst sehr spät auf Seite 97 eine eigene Perspektive bekommt – in der Folge trägt seine Sicht der Dinge aber dazu bei, der Geschichte mehr Tiefgang zu verleihen. Leise klingt die Traurigkeit durch den ganzen Roman, der jedoch nicht sentimental wird. Sehr flüssig zu lesen, rundum gelungen!

Zur falschen Zeit ist erschienen im Galiani Verlag Berlin (ISBN 978-3-86971-019-8, 18,95 Euro).

Gut und sättigend: 3 Sterne

Das Leben ist ein Abenteuer
So war das nicht geplant: Als der junge Adrian aus Belgien in New York ankommt, ist er allein, ohne seine Eltern und seinen Zwillingsbruder Alexander. Er kennt niemanden in dieser großen Stadt, die schon im Jahr 1910 solche Ausmaße besitzt, dass ein Junge in ihr verloren gehen kann. Doch Adrian hat Glück: Nachdem man ihm seine letzten Habseligkeiten gestohlen hat, findet er einen Job in einer Hotelküche und einen Freund, den sympathischen Jack, der Adrian bei sich wohnen lässt. Doch bald stellt Adrian fest, dass seine Gefühle für Jack über reine Freundschaft hinausgehen – und das stürzt ihn in Hilflosigkeit und Verwirrung.

Eine Welt dazwischen erzählt von einem Jungen, der ohne Vorwarnung auf sich allein gestellt ist in einem Land, in das er gar nicht wollte, dessen Sprache er nicht beherrscht und wo er fast umkommt vor Einsamkeit. Adrian fühlt sich ohne seinen Zwillingsbruder Alexander wie ein halber Mensch, und er spart jeden Cent, um seinem Bruder irgendwann eine neue Schifffahrkarte kaufen zu können. Doch als er Jack kennenlernt, verschieben sich seine Prioritäten, er entdeckt schöne Seiten an der verhassten Stadt New York, er lernt Englisch, lebt sich ein und findet sich immer besser zurecht. Und dann entdeckt er ein Geheimnis in ihm selbst, das mit viel Gefühl und Zuneigung zu tun hat – er verliebt sich in Jack, und das schockiert ihn zutiefst, denn Homosexuelle haben zu jener Zeit keinen guten Stand, gleichgeschlechtliche Liebe ist per Gesetz verboten. Scham und Angst machen Adrian schwer zu schaffen – und wie er lernt, damit umzugehen, schildert Aline Sax auf eindringliche und einfühlsame Weise.

Aline Sax hat das Thema Homosexualität und Coming-out in einen ungewöhnlichen Rahmen gestellt: New York im Jahr 1910, Ziel Abertausender Immigranten, ein wahrer Meltingpot an Nationaliäten und Weltanschauungen. Ich finde sowohl die Themenwahl als auch diese Kombination mit einer klassischen Einwanderergeschichte sehr interessant und originell. Ihr Held Adrian ist ein schüchterner, ratloser junger Mann, der von einem Tag auf den anderen erwachsen werden und eine Antwort auf die Frage finden muss, wie er leben will. Dass Eine Welt dazwischen ein Jugendbuch ist, wusste ich zu Beginn nicht, und man merkt es auch nur, wenn man aufmerksam darauf achtet. Mit anderen Worten: Dies ist ein sehr erwachsenes, kluges Jugendbuch, das die Herausforderung schildert, mit dem eigenen Anderssein klarzukommen und mutig zu sein. Ein gut erzähltes Einzelschicksal, das Einblick gibt in die Gefühlswelt eines homosexuellen Jugendlichen.

Für Gourmets: 5 Sterne

Ein stimmungsvolles Buch über eine raue Gegend
Der Krieg hat Jannis als Waisen zurückgelassen, und Paul hat ihn zu seiner Familie nach Vidtoft direkt an der Grenze zu Dänemark geschickt, wo Jannis bei Pauls Frau Kirsten und Sohn Nils bleiben darf. Er hilft bei der Arbeit im Gasthaus Grenzkrug und wartet wie die anderen auf Pauls Rückkehr. Der wird eines Tages ausgespuckt vom Krieg, halbwegs unversehrt, und zwischen ihm und Jannis entsteht eine besondere, enge Beziehung, die sich vor allem durch die gemeinsame Leidenschaft für das Watt und seine versunkenen Geheimnisse auszeichnet: Schon lange träumt Paul davon, im Schlamm nach den Resten der mystischen Stadt Rungholdt zu suchen, und gemeinsam versuchen Jannis und Paul, dem Meer in den wenigen Stunden, in denen es bei Ebbe möglich ist, Fundstücke aus einer längst vergangenen Zeit abzuringen. Wenig begeistert davon ist Kirsten, die sich mit dem Gasthaus im Stich gelassen fühlt. Und als Jahrzehnte später Schnee von nie gekanntem Ausmaß über Vidtoft niederfällt, kommt zwischen allen Beteiligten endlich zur Sprache, was immer ungesagt blieb.

Schneetage ist ein unglaublich atmosphärisches Buch. Jan Christophersen porträtiert eine Landschaft, die mir fremd ist, er zeichnet das Leben am Rande des Festlandes ab, dort, wo das Meer sich unerbittlich und mit der Ruhe derer, die ewig Zeit haben, Stück für Stück ausdehnt und dem Menschen wieder abnimmt, was er sich aufgebaut hat. Das Watt ist faszinierend, nicht zuletzt aufgrund der Suche von Paul und Jannis nach Überbleibseln aus der Vergangenheit, die beweisen, dass hier einmal Leben war, das inzwischen weggespült wurde und unwiderbringlich verloren ist. Paul steigert sich in diese Suche hinein und verliert sich darin, der elternlose Jannis folgt ihm und bewundert ihn, erkennt aber durchaus auch die Gefahr für die ganze Familie. Im Buch wechselt die Gegenwart, die Schneekatastrophe in den 1970er-Jahren, mit der Vergangenheit, der Zeit gleich nach dem Krieg, als Jannis noch ein Kind war. Misstrauen herrschte damals an dieser gottverlassenen Grenze zwischen Deutschland und Dänemark, die Wunden waren noch frisch, von Verrat und Opportunismus war die Rede, die Nachbarn trauten einander nicht mehr. Und in dieser Zeit bemühten sich Kirsten und Paul, wieder Schwung in die Geschäfte im Gasthaus zu bringen, neu zu beginnen.

Es mag sein, dass Schneetage auf manche Leser langweilig wirkt, denn man muss sich einfinden in diese ganz eigene Stimmung, die stark geprägt ist von der unwirtlichen Umgebung und von den Naturgewalten. Dies ist ein Roman über alles, was verloren geht, und die fast schon panische Suche nach etwas, das bleibt. Um Zusammenhalt geht es, um Familie, um das Vatersein, aber auch um die Bedeutungslosigkeit des Menschen im Angesicht der Zeit. Ich bin begeistert von diesem vielschichtigen Buch, das mit einem würdevollen Schluss aufwartet, vermisse es, als ich es ausgelesen habe, und merke, dass es noch lange nachwirkt: Das ist das größte Kompliment überhaupt.

Netter Versuch: 2 Sterne

Die Türkei in Aufruhr
Am 1. Mai 1977 gerät der 18-jährige Eiche mitten hinein in die Unruhen: “Schlägereien und Schusswechsel zwischen Faschisten, revolutionären Studenten und der Polizei waren an der Tagesordnung.” Eine junge Frau namens Zuhal rettet Eiche aus der Gefahr, und als sich ihre Wege später erneut kreuzen, kommt Eiche mit dem revolutionären Gedankengut in Kontakt. Er lebt sehr behütet, er geht in ein Internat und plant, seine Freundin Ayfer zu heiraten. Doch durch die Berührung mit der Politik und die Anziehungskraft, die Zuhal auf ihn ausübt, nimmt sein Leben eine Wende: Eiche und Ayfer trennen sich, er beginnt ein Literaturstudium. Aber während Zuhal ernst macht, in den Untergrund geht, sich den Terroristen anschließt und Menschen tötet, kann Eiche sich nicht dazu überwinden, die Theorie vom freien Leben in die Praxis umzusetzen, er glaubt nicht an die Gewalt. Und so kann es für ihn und Zuhal niemals einen gemeinsamen Weg geben.

Zwei Beweggründe hatte ich, mir dieses Buch zu kaufen: Zum einen hatte ich eine sehr positive Rezension gelesen, zum anderen wusste bzw. weiß ich sehr wenig über die Türkei in den 1970er- und 1980er-Jahren und dachte, das könnte interessant werden. Das war es prinzipiell auch, allerdings sollte man wohl dennoch in Grundzügen über den geschichtlichen Hintergrund der Ereignisse Bescheid wissen, um sie zu verstehen. Schwarzer Himmel, schwarzes Meer ist ein sehr unstrukturiertes Buch, der Autor folgt seinem Protagonisten Eiche und dem Ziel seiner Sehnsüchte, der Aktivistin Zuhal, mal mehr, mal weniger nah, er lässt die Jahre vergehen, die Handlung verläuft enttäuschenderweise irgendwie im Sand. Da es – obwohl sie das Zweierpaar dieses Romans sind – nur wenige Überschneidungen zwischen Eiche und Zuhal gibt und ihr Erleben parallel geschildert wird, wartet man als Leser ständig auf einen großen Knall, ein Aufeinanderprallen, eine Lösung. Ab Seite 160 kommt auch Zuhal plötzlich selbst zu Wort, zuvor hat sie keine eigene Perspektive – dieser unerwartete Wechsel hat mich sehr irritiert. Ich hätte mir mehr Berührungspunkte zwischen den beiden Helden gewünscht, man kann in ihrem Fall ja nicht einmal von Sehnsucht oder gar Liebe sprechen.

Izzet Celasin war ins einer Jugend selbst politisch aktiv und hat einige Zeit im Gefängnis verbracht. In diesem Roman beschreibt er die Nöte und Pläne der türkischen Jugend von dazumals, die auf der Suche war nach der ultimativ gültigen Weltansicht. Während Eiche seltsam unentschlossen bleibt und nie richtig Stellung bezieht, wirkt Zuhal wie eine gar zu hochstilisierte Symbolfigur ohne eigene Persönlichkeit, die klischeehafte Terroristin, die nicht davor zurückschreckt, für ihre Ziele zu töten oder selbst in den Tod zu gehen. Alles in allem ein Buch über eine aufregende Epoche in der Geschichte der Türkei, dessen Handlung jedoch wegen vieler zäher Schwachstellen zu wünschen übrig lässt. Ein wenig versöhnlich stimmt mich der passende, wenn auch pathetische Schluss.

Gut und sättigend: 3 Sterne

Wenn die Fremde zur Heimat wird
Es gefällt ihnen schon seit Jahren sehr gut in Sent im Unterengadin: Angelika, ihr Mann und die Kinder machen dort regelmäßig Skiurlaub. Doch dann taucht plötzlich die Idee auf, die Zelte in Deutschland abzubrechen und in das kleine Dorf zu übersiedeln. Gemeinsam mit ihrem Mann und dem jüngsten Sohn zieht Angelika nach Sent, die beiden älteren Kinder bleiben im Heimatland und studieren dort. Wie nun sich einrichten in den Bergen, wie einen Platz finden unter den Einheimischen, die ein festes Gefüge sind, nicht zuletzt wegen der fremden rätoromanischen Sprache? Davon berichtet die Schriftstellerin in einer Art Tagebuch über die Zeitspanne von einem Jahr. Sie sucht nach einer Möglichkeit, heimisch zu werden an einem Ort, den sie bereits kennt – aber nur als Besucherin. Und es ist schön, ihr dabei zuzusehen, wie es ihr immer mehr gelingt, einen Zugang zu finden zu dem Land und zu den Leuten.

“Das Romanische ist ein unsichtbares Sprachschild des Dorfes. Eine hauchfeine Grenze gegen die Touristen, aber auch gegen die Zuwanderer. Es ist wie im Märchen. Du mußt das Wort kennen, wenn du den Felsen öffnen willst.” Während ihr Sohn und ihr Mann sich die Sprache recht schnell aneignen, setzt Angelika Overath sich ganz bewusst damit auseinander, macht sich Gedanken um Wortbedeutungen und beginnt, Gedichte auf Rätoromanisch zu schreiben. Die Sprache macht diesen Teil der Schweiz, das Unterengadin, zu etwas Besonderem, und die Einheimischen sind sich dessen bewusst. Das Romanische zeichnet Sent genauso aus wie der Schnee, der zu allen Jahreszeiten und in verschiedenen Formen eine Rolle spielt, der das Landschaftsbild dominiert und die Touristen anlockt. Angelika Overath ist eine Außenstehende, die aber freundlich aufgenommen wird. Es scheint, als rückten die Dorfbewohner ein wenig zusammen, um Platz zu machen für die neue Familie.

Bücher wie Alle Farben des Schnees sind ausgesprochen selten auf meiner Leseliste zu finden, denn bei autobiografischen Berichten langweile ich mich schnell. Doch Angelika Overath gelingt es, mich mit feinsinnigen Beobachtungen für eine mir völlig unbekannte Region zu begeistern: “Mit dem Hund gehen. Nasse Wiesen. Ein Rot beginnt aufzusteigen. Submarine Höhe. Wir laufen wie auf einem Riff, Wicken, als wogten sie unter Wasser, Fluten der Gräser. Über dem Tal ziehen Nebelschwaden die Bergrücken entlang. Die Gipfel sind weiß.” Der persönliche Bezug, der mein Interesse weckt, ist auch schnell gefunden: Ich bin selbst in einem Bergdorf aufgewachsen, in dem die Tage ohne Schnee gezählt sind, und auch wenn mein Dialekt nicht mit dem Rätoromanischen vergleichbar ist, so kenne ich doch diese Auseinanderdividierung in jene, die ihn beherrschen, und jene, die fremd sind. Zudem macht es mir beim Lesen Spaß, ein wenig über das Romanische zu rätseln und zu versuchen, es auf Basis meiner Italienischkenntnisse zu knacken. Was natürlich überhaupt nicht gelingt.

Angelika Overath hat sich geöffnet für dieses Buch und zeigt, dass es durchaus möglich ist, den Ferienort zur Heimat zu machen. Alle Farben des Schnees ist so ruhig wie gleichmäßiger Atem, ein ungewöhnliches, seltsam positives Buch, das Einblick gibt in Geschichte und Kultur einer abgeschiedenen Gegend, in der die Menschen Brauchtum aufrechterhalten und ihre Besonderheit kultivieren. Sehr lesenswert!

Alle Farben des Schnees ist erschienen im Luchterhand Verlag (ISBN 978-3-630-87340-4, 18,99 Euro).

Geschmacklos: 0 Sterne

Guter Klappentext, schlechtes Buch
Declan ist der einzige männliche Teilnehmer einer Schreibgruppe am Trinity College in Dublin, die anderen vier Möchtegern-Schriftsteller sind Frauen. Er verehrt den Autor Glynn, der den Kurs leitet, sich aber erst nach einem Monat dazu bequemt, überhaupt an der Universität aufzutauchen. Er ist eine nationale Berühmtheit und jeder Ire hat das Gefühl, Glynn schreibe nur über ihn, so sehr berühren seine Bücher die Menschen. Es sind die 1980er-Jahre, es wird viel politisiert, Declan sucht seinen Weg zwischen Unruhen und einer möglichen Karriere als Autor. Seine Schreibersuche zeugen allerdings nicht von Talent. Mit der hübschen Guinevere führt er eine kurze Beziehung, die jedoch schnell an komplizierten Missverständnissen scheitert.

All names have been changed ist laut Klappentext ein Roman über eine “darkly exhilarating journey” und über “group dynamic”, ich kann davon jedoch nichts finden, denn die vermeintliche Reise führt nirgendwohin, und eine interessante Gruppendynamik existiert in meinen Augen nicht. Was sehr schade ist. Inhaltlich ist dieser Roman – überraschenderweise das dritte Buch der Autorin – völlig blutleer, die ganze Geschichte verläuft im Sand und ich kann weder Widerhaken noch einen Sinn in dem Ganzen erkennen. Der Protagonist Declan stellt den irischen Autor Glynn auf ein Podest, verehrt und umschwärmt ihn – doch als Leser bekommt man nicht einmal eine Kostprobe von dessen angeblich ach so tollen Büchern. Im Gegenteil, Glynn bleibt eine sehr geheimnisvolle, undurchsichtige Person, dessen Erscheinen nicht, wie gehofft, irgendwelche Ereignisse ins Rollen bringt. Die Erwartungen werden zu Beginn des Romans natürlich hochgeschaukelt – und dann enttäuscht, denn Glynn ist ein uninteressanter, unsympathischer Mann, der seinen Schülern nichts Erwähnenswertes beibringt und sich auch sonst durch nichts Besonderes auszeichnet. Die Autorin gibt keinen detaillierteren Einblick in das Innenleben von Glynn, er ist ein alternder Held, aber nicht kauzig genug, um die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wird, zu verdienen. Die Beziehungen zwischen Declan und den vier Mitstudentinnen bleiben ebenfalls undurchsichtig bzw. entwickeln sich nicht weiter. Außerdem fehlt mir in All names have been changed der greifbare Irland-Bezug, die politischen Hintergründe bleiben schwammig und oberflächlich, ich hatte mir mehr Rebellion und Action erwartet. Der Roman schwebt halt- und richtungslos auf einer Welle der Buchstaben dahin und langweile mich furchtbar – deshalb gibt es zum ersten Mal seit Langem 0 Punkte. Dass die Kritiker davon so begeistert sind, kann ich nicht nachvollziehen. Für mich ein kompletter Flop.

 1

Netter Versuch: 2 Sterne

Eine japanische Komödie in 5 Akten
“Dieser Typ war wirklich nicht reifer als ein fünfjähriges Kind.” Die Rede ist von Dr. Irabu, der als Psychiater arbeitet und seine Klienten mit ungewöhnlichen Ideen überrascht und – manchmal – von ihren Marotten heilt. Statt einem Trapezkünstler bei seinen Problemen zu helfen, schwingt er, der dicke, kleine Mann, sich selbst auf dem Trapez durchs Zirkuszelt, und mit einem verzweifelten Baseballer, der nicht mehr treffen kann, schlägt er Bälle im Garten und amüsiert sich königlich. Er hört nie zu, benimmt sich wie ein Kind, und hat eine seltsame Vorliebe für Spritzen – allerdings nur, wenn sie seinen Patienten in den Arm gejagt werden. Ab und zu sind seine Methoden erfolgreich, und dann wirken sie raffiniert, meistens scheinen sie jedoch so hilfreich zu sein wie ein Loch im Kopf.

Die seltsamen Methoden des Dr. Irabu ist ein heiteres kleines Buch mit einer verrückten und erfindungsreichen Hauptfigur, die sich nicht um Konventionen schert und ständig nur Spaß haben möchte. Mit einem seriösen Arzt hat Dr. Irabu nicht das Geringste gemeinsam. Trotzdem kommen seine Patienten wieder, sie können sich gar nicht wehren: “Dieses Sprechzimmer war wie ein Riesenrad: Wenn man einmal drinnen saß, war man ihm eine Umdrehung lang ausgeliefert.” Hideo Okuda bietet mit diesem Roman, der aus fünf Geschichten mit jeweils einem neuen Klienten besteht, intelligente Unterhaltung, angereichert mit viel Humor, originellen Einfällen und typisch japanischer Zurückhaltung. Wer sich ein paar unbeschwerte Lesestunden wünscht, ist mit Dr. Irabu bestens bedient, zu viel Gehalt oder Tiefgang darf man sich jedoch nicht erwarten. Die Lektüre hinterlässt zarte Schmunzelfalten und den Gedanken, sich doch öfter mal wieder zu verhalten wie ein Lausbub – dann ist das Leben einfach lustiger.

Bücherwurmloch

Lesen auf Englisch, Rezensieren auf Deutsch
Beim Herumstöbern in anderen Bücherblogs ist mir aufgefallen, dass Challenges sehr beliebt sind: Dabei beschließt man, sich mit einem bestimmten Genre auseinanderzusetzen, eine bestimmte Anzahl von Seiten zu lesen oder in einer Fremdsprache. Nun habe ich auch eine Challenge entdeckt, bei der ich mitmachen möchte: auf Englisch lesen! Jeden Monat ein Buch, 12 also insgesamt, bei mir werden es sicher mehr. Schließlich lese ich gern Bücher im Original – weil sie oft besser sind als die Übersetzung und auch günstiger als das deutsche Hardcover … 😉 In diesem Sinne: Let’s get started!

Gut und sättigend: 3 Sterne

Der Tod ist tot!
Die Salzburger Festspiele gehen in die nächste Runde – und zwar mit einem handfesten Skandal: Auf der Jedermann-Bühne vor dem wuchtigen Dom liegt ein erdolchter Toter. Es ist niemand anderes als der Tod selbst, gespielt von Hans Dieter Hackner. Kommissar Martin Merana macht fortan nicht nur die sommerliche Hitze zu schaffen, die schwül über Salzburg liegt, sondern auch die Heimlichtuerei der Schauspieler und PR-Menschen, die Sensationsgeilheit der Medien und das Rätsel um diesen theatralischen Mord. Gemeinsam mit seinen Kollegen wühlt er sich hinein in die Hintergründe der Festspiele und in so manches private Drama hinter den Kulissen.

Herrlich böse und sarkastisch geht der Salzburger ORF-Journalist Manfred Baumann mit seiner Stadt ins Gericht: “An Toten haben die Salzburger Aasgeier wenig Interesse. Tote geben nichts her. Kaufen keine Souvenirs. Essen keine Pommes frites. Zahlen keinen Eintritt. Tote interessieren die Salzburger Aasgeier nur, wenn sie so berühmt sind, dass man ihr Bild auf Marzipankugeln und Likörflaschen kleben kann.” Und aus genau diesem Grund amüsiere ich mich mit diesem Krimi, obwohl ich sonst einen großen Bogen um Krimis mache: Selbst Salzburgerin, macht es mir Spaß, ein Buch zu lesen, das dort spielt, wo ich mich auskenne, wo ich lebe und mir meine Meinung bilde. Aber auch für Nicht-Österreicher dürfte dieser spannende Roman mit der würzigen Prise Lokalkolorit interessant sein, schließlich sind die Festspiele ein international bekanntes Spektakel.

Die Ausgangsidee, ausgerechnet den Tod tot auf die Jedermann-Bühne zu legen, finde ich genial. Jedermanntod ist ein klassischer Whodunnit in alter Agatha-Christie-Manier: Jede Menge Verdächtige, jede Menge Motive, aber nur einer war’s. Der Lösung kann man auf die Schliche kommen, sie ist aber nicht allzu offensichtlich – die perfekte Mixtur. Auch die österreichische Sprache gibt dem Buch eine interessante und originelle Färbung. Mit Kommissar Merana hat Manfred Baumann einen sympathischen Schnüffler geschaffen, der sich mit Sicherheit noch durch einen Fortsetzungen rätseln wird. Dieser Roman ist wie ein Tatort zum Lesen: spannend, unterhaltsam und mit einem schlüssigen Ende – genau wie ein Krimi sein muss. Außerdem, das muss ich noch hinzufügen, ist das Cover sehr gelungen.