Prost Mahlzeit: 1 Stern

Der Wolkenatlas beginnt mit dem Tagebuch eines Reisenden im Jahr 1850, das unvermittelt abbricht und 1931 in den Briefen des jungen Frobisher, der als Assistent eines bekannten Komponisten arbeitet, erwähnt wird. Jahre später wird die Journalistin Luisa Rey in eine wirre und gefährliche Actiongeschichte verwickelt. Der alte Cavendish landet gegen seinen Willen im Altersheim, und in der Zukunft sitzt ein Klon im Gefängnis und soll hingerichtet werden. Wie all diese Geschichten zusammenhängen? Gute Frage. Sie sind durchaus, wie der Klappentext behauptet, miteinander verwoben, allerdings nur sehr locker. Man muss schon genau hinlesen, um die Verbindungen zu erkennen. Aufgebaut ist David Michells Wolkenatlas wie eine Pyramide: Zuerst kommen alle Geschichten hintereinander, nach jener in der Mitte treten alle Protagonisten in umgekehrter Reihenfolge wieder auf, sodass das Buch mit dem Reisetagebuch von 1850 beginnt und endet.

David Mitchell vereint in diesem gewöhnungsbedürftigen Roman nicht nur verschiedene Ideen und Charaktere, sondern auch unterschiedliche Schreibstile. Das alte Tagebuch ist ausufernd und dröge, die Briefe sind gehetzt und arrogant, Luisas Geschichte wirkt wie ein alter Detektiv-Schwarz-Weiß-Film und der Bericht des Klons aus der Zukunft ist zur Gänze in Interviewform gehalten. Das finde ich durchaus originell, aber – ich gebe es zu – auch recht anstrengend. Ich habe eine ganz subjektive Abneigung gegen dieses Abgehackte, Undurchgängige, das keinen angenehmen Lesefluss zulässt. Zudem langweilen mich manche Personen im Buch, wie etwa der alte Cavendish, unendlich. Am interessantesten ist für mich die verrückte und fantasievolle Geschichte des Klons in der Mitte. Ich habe diesen Roman auf Empfehlung von jemandem gelesen, dessen Lieblingsautor David Mitchell ist. Das kann ich nach der Lektüre nicht unbedingt nachvollziehen, denn obwohl er ein wandelbarer Schriftsteller zu sein scheint, kann ich kein herausragendes Merkmal an seiner Schreibe finden. Der Wolkenatlas ist ein bisschen wie jenes Spiel, bei dem man mit dem letzten Buchstaben eines Wortes ein neues Wort bilden muss. Das macht Spaß, ist aber auch nur eine Zeitlang lustig.

Prost Mahlzeit: 1 Stern

So überflüssig wie ein Loch im Kopf
Charlotte lebt im Dänemark des Jahres 1898 und verdient ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht als Teilzeithure. Ihre Brötchen muss sie mit der gefräßigen, vulgären, permanent furzenden Fru Schleswig teilen, die ihr nicht von der Seite weicht, seit Charlotte mit 16 Jahren aus dem Waisenhaus geflüchtet ist. Die beiden bekommen die Chance, bei Fru Krak als Putzfrauen zu arbeiten, und Charlotte plant bereits, Fru Kraks Besitz nach und nach zu Geld zu machen. Doch daraus wird nichts, denn im Keller stößt sie auf eine Zeitmaschine – und wird gegen ihren Willen ins moderne London transportiert. Dort begegnet sie dem verschwundenen Professor Krak und ihrer großen Liebe. Eigentlich will Charlotte ja wieder zurück nach hause – aber das ist alles andere als einfach.

My little dirty book of stolen time ist ein völlig abgedrehtes Buch mit einer hysterischen Protagonistin, die praktisch nur mit Ausrufezeichen kommuniziert: “I am not ready for death, you most cruel of bastards! I insist! Fie upon you, celestial torturer, I cannot & I will not die!” Ja, alle “unds” sind durch & ersetzt, welchen Sinn auch immer das haben soll außer jenen, den Lesefluss zu stören und es den Augen zu erschweren, den Sätzen zu folgen. Was den Inhalt betrifft, so sind die Ereignisse arg an den Haaren herbeigezogen. Nichts gegen Sci-Fi, aber Zeitmaschinen, die man so mir nichts, dir nichts bauen kann, Reisen ins “Great Beyond”, bei denen man durch den Äther schwimmt und hungrig ankommt, sowie Affen, die von ihren Zeitreisen Souvenirs mitbringen – das ist einfach zu viel des Guten. Dazu kommt die extrem pathetische Sprache, und ich frage mich: Wer veröffentlicht so etwas und warum? Und wieso in aller Welt habe ich auf die Empfehlung gehört, diesen Schrott zu lesen? Zum Glück habe ich das Buch billig über ebay bekommen. Fazit: Der Humor dieses wirren und unglaubwürdigen Romans geht an mir völlig verloren, einzig wegen der fetten, unausstehlichen, hässlichen Fru Schleswig gibt es einen halbherzigen Punkt.

3

Prost Mahlzeit: 1 Stern

Weiß und Schwarz und alles dazwischen
Marion lebt in Südafrika und führt erfolgreich ein Reisebüro – und das, obwohl sie selbst das Reisen hasst und es noch nicht einmal schafft, einen Wochenendausflug zu machen. Dazu würde sie ihr Freund Geoff ganz gern überreden, doch Marion weiß nicht einmal, wie ernst ihr die Beziehung zu ihm ist. Sie ist einigermaßen behütet aufgewachsen, ihre Mutter Helen ist an Krebs verstorben, ihr Vater John hat sich in die Einsamkeit zurückgezogen, aus der ihn nur Marions Besuche reißen. Durch ein mysteriöses Foto in der Zeitung wird sie auf die Geschichte ihrer Familie aufmerksam und beginnt gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Brenda zu recherchieren: Waren ihre Eltern wirklich so “weiß” wie gedacht?

Playing in the light wäre im besten Fall ein guter Roman über die Apartheid in Südafrika, über die Rassengesetze und ihre Auswirkungen bis in die heutige Zeit. Ansatzweise ist es auch gelungen, dieses interessante Thema zu bedienen – gesamt gesehen bleibt das Buch allerdings oberflächlich und bedeutungslos. Marion ist eine eigenartige Protagonistin, zu der ich nicht den geringsten Zugang finde. Ihre Handlungen sind sprunghaft, ihr Seelenleben verwirrend. Zoe Wicomb fährt keine gerade Linie, die Ereignisse sind daher für mich manchmal nicht nachzuvollziehen. Da Marion sich an zu wenig aus ihrer Vergangenheit erinnern kann und bei ihrer Suche nicht allzu viele Antworten findet, bleibt das meiste auch am Ende Spekulation. Und selbst wenn ich nicht ganz unwissend bin, was die Apartheid betrifft, fehlt mir doch an der einen oder anderen Stelle eine umfassende Erklärung über die geschichtlichen Hintergründe. Die Geschichte fesselt nicht, der Stil ist zäh und langweilig. Schade ist, dass die Thematik über Menschen, die hellhäutig genug sind, um sich als Weiße auszugeben und die dann ihr Leben in Angst verbringen, viel verspricht, das Buch dieses Versprechen jedoch nicht halten kann. Enttäuschend!

Prost Mahlzeit: 1 Stern

Über den Krieg, Nutten und Satzzeichen
Pierre ist so etwas wie ein Ersatzkind. Auf der Flucht vor dem Krieg finden ihn 1940 der Zuhälter Saint-Jean und seine Huren Roseline, Josette und Fortuna in einem Koffer und tauschen ihn aus gegen das absichtlich gezeugte Baby von Fortuna, mit dem sie Geld erpressen wollten, das aber unglücklicherweise gestorben ist. Fortuna ist blind und hasst die Welt, sie alle haben es nicht einfach, und Pierre gerät in diesen zusammengewürfelten Haufen aus Menschen, der ihm so etwas wird wie eine Familie. “Saint-Jean denkt dass es ganz einfach und scheußlich ist dass es kein Glück ist als Mensch geboren zu werden besser doch gleich als Stein.” Sie erreichen ein winziges Dorf, in dem Saint-Jean das tut, was er kann: ein Puff eröffnen. Wie man ein Kind erzieht, weiß weder er noch eine der Huren, doch Pierre saugt auf, was er wissen muss, lässt sich von seinem gaunerischen Ziehvater inspirieren und lernt außerdem noch viele schräge Gestalten kennen wie den verrückten Pickpock. Und er lernt zu überleben.

Wunder und Legenden aus meinem Land im Krieg birgt eine Überraschung für mich: Dieses Buch zeigt mir, wie wichtig (mir) Satzzeichen sind. Und dass sie durchaus ihre Berechtigung haben. Experimentell mag es sein, was Richard Morgiève da macht, kreativ und originell, und während ich auf den ersten Seiten noch gewillt bin, mich darauf einzulassen, merke ich schnell, dass es wahnsinnig schwierig ist. “Du machst eine Tür auf und hörst dein Herz klopfen den Fußboden knacken du gehst ans Fenster die Welt ist traurig die Welt ist komisch die Welt ist keine Kugel die Welt ist platt oder die Welt ist hoch oder es ist Nacht oder es regnet.” So sind die Sätze in diesem Roman: ebenso philosophisch und schön wie wirr und lang. Sie legen sich wie Stricke um meinen Hals, meine Augen verlieren sich in dieser unendlichen See aus Wörtern, die frei über das Papier schweben dürfen.

Inhaltlich gleicht Wunder und Legenden aus meinem Land im Krieg dem Stil des Autors, ausufernd ist die Handlung manchmal, sehr unklar und mysteriös sind die Metaphern und die Spitznamen für die verschiedenen Charaktere. Ich halte beim Lesen fest an dieser Idee, den kleinen Pierre erzählen zu lassen aus seinem ungewöhnlichen Leben, aber es ist ungemein ermüdend. Ab und zu herrscht hier völliges Chaos zwischen zwei Buchdeckeln, und es ist der Klappentext, der mich rettet, indem er mir preisgibt, was eigentlich passiert. Stellenweise habe ich das Gefühl, als sei Pierre längst erwachsen und ein Gauner geworden, doch am Ende stellt sich heraus, dass er nicht älter sein kann als vier. Dieses Buch ist ein Wahnwitz, eine Herausforderung, ein Wagnis der besonderen Art – wer sich darauf einlässt, kann mit einigen wunderbaren Satzperlen belohnt werden, braucht aber viel Ausdauer.

Wunder und Legenden aus meinem Land im Krieg ist erschienen bei Claassen (ISBN 978-3-546-00433-6, 22,90 Euro).

Prost Mahlzeit: 1 Stern

“Wär ich ein Feuer, verbrennte ich die Welt”
Sie sind scheinbar verschieden: der junge Gregorj, immer auf der Jagd nach einer schönen Frau, dynamisch und erfolgreich, und der ältere Nerbal, dem Alkohol verfallen, desillusioniert und müde. Doch eigentlich sind sie eine Person: Dante Maria Franzetti nämlich. Der preisgekrönte Schweizer Autor hat eine ungewöhnliche Autobiografie geschrieben: In einem fiktiven Zwiegespräch unterhalten sich Greorj und Nerbal über ihrer beider Leben, das dem von Franzetti sehr nahe kommt. Frauen sind ein zentrales Thema, ebenso wie Alkohol und die Schriftstellerei. Die Kindheit in der Schweiz wird in ein heimeliges, aber auch beängstigendes Licht getaucht, das Totenglöcklein läutet gar so oft. Übrig bleibt am Ende nur die Hoffnung, nie so zu werden, wie man längst geworden ist.

Mit den Frauen ist ein nachdenkliches, ein irritierendes und ein höchst aufreibendes Buch. Anfangs wundert man sich, wer die beiden Männerfiguren eigentlich sind, die da so über räumliche Hindernisse hinweg miteinander in Dialog treten, denn die Erkenntnis, dass es sich vermutlich um erfundene innere Stimmen des Autors handelt, kommt erst nach etwa einem Drittel des Buchs. Es wird dem Leser viel Aufmerksamkeit abverlangt, denn “ich” kann in diesem Roman jeder sein, Nerbal meistens, der Autor oft. Plötzlich distanziert er sich von seinem Werk, hebt sich heraus, berichtet, dass er gerade im Café sitzt und diese Zeilen formuliert: “Ich aber, der ich an euch arbeite und über euch schreibe, Nerbal und Gregorj, sitze im Restaurant Alle tre Poste in Rom …” Ich muss gestehen, dass diese Einschübe mich immer wieder aus der Lesebahn geworfen haben, vielleicht bin ich dafür zu unflexibel, vielleicht haben in meinen Augen Gregorj und Nerbal dadurch ihre Daseinsberechtigung verloren.

Es gab immer viele Frauen in Gregorjs/Nerbals/Dantes Leben, sie haben ihn verführt, ihn getröstet, ihn unterstützt und sich von ihm benutzen lassen. Mit den Frauen ist daher in indirekter Weise ein Buch über die Begleiterinnen eines Mannes, der augenscheinlich ein – trotz aller Hinweise auf Ausschweifungen – beschauliches Dasein führt. Die Kost ist schwer, der Stil recht abgehoben und philosophisch, die Sätze sehr lang. Die Dreiteilung in der Figurenzeichnung hat etwas Schizophrenes, mit dem ich nicht gut zurechtkomme. Ich wünschte mir klarere Verhältnisse, eine nachzuvollziehende Handlung, eine Prämisse. Zudem gerate ich in Versuchung, anmaßend zu fragen, ob Dante Maria Franzettis Person und Erlebnisse interessant genug sind für ein Buch. Beantworten lässt sich das vielleicht mit seiner eigenen Formulierung: “Jedes Buch geht zu Ende, und dann legt man es weg und vergisst es.”

Mit den Frauen ist erschienen im Haymon Verlag (ISBN 978-3-85218-565-1, 19,90 Euro).

Prost Mahlzeit: 1 Stern

Genie oder Wahnsinn?
Sam Leiser war drei Jahre alt, als er mit seinem Vater Yehuda und dem geheimnisvollen Meyer vor dem Holocaust nach Amerika flüchtete. Dort wurde aus Yehuda der berühmte Autor Jonathan Still, “Erfinder einer der bekanntesten Detektivgestalten der Neuzeit”. Jahre später lebt Sam in Paris und übersetzt des Vaters Werke ins Deutsche, stets auf der Suche nach geheimen Botschaften, die nur er deuten könnte. Getrennt von seiner großen Liebe Letitia, verliebt er sich in seine Spanischlehrerin Elizabeth und bekommt Besuch von seiner 12-jährigen, pubertierenden und den Aufstand probenden Tochter Ashy, die für ein Jahr bei ihm bleiben und den Schritt ins Erwachsenenleben schaffen soll. Die zahlreichen düsteren Gestalten, die die Türschwelle von Sam heimsuchen, und sein egozentrischer Charakter sind bei diesem Vorhaben aber nicht unbedingt hilfreich.

Der Vogel, der spazieren ging ist eine Mischung aus moderner Fiktion und “film noir” zum Lesen. Zwar fehlt das zentrale Motiv dieses Filmgenres – ein Mord – , doch die teilweise kriminellen Machenschaften der Romanfiguren sind davon nicht weit entfernt. Wer wem an den Kragen will und warum eigentlich – das ist eine Frage, die bis zum Schluss ungeklärt bleibt. Die Atmosphäre erinnert stark an jene alten Detektivgeschichten, die Sams Vater schrieb – vermutlich eine bewusste Anlehnung an diese Sparte. Allerdings fehlt es an einer klaren Struktur, Figuren kommen und gehen, verfolgen jemanden, brechen ein und stehlen, verlieben sich, sterben. Elizabeths Vater spielt eine merkwürdige Schlüsselrolle, und als Yehuda mit der Gangsterverwandtschaft in Paris eintrifft, gerät die Lage – und die Handlung im Roman – vollständig außer Kontrolle. Es ist ein wirrer Reigen an Gestalten, die Martin Kluger auftreten lässt, die Hintergründe sind überraschend dunkel, obwohl eigentlich kaum etwas Verachtenswertes passiert. Ein großes Ganzes kann ich inhaltlich nicht erkennen, ich folge den einzelnen plastischen Szenen wie in einem klassischen Schwarz-Weiß-Film, bei dem man schon ganz genau aufpassen muss, um den Faden nicht zu verlieren.

Gut gelungen sind die Einschübe jüdischer Kultur und jüdischen Humors, besonders für Tochter Ashy sind die Wurzeln der Familie von Bedeutung. Grundsätzlich aber kommt die Komik, von der andere Rezensenten schwärmen, nicht bei mir an. Stilistisch gesehen ist Der Vogel, der spazieren ging ein undurchgängiger Mix aus klaren, schönen Formulierungen wie “Lebst du allein, ist die Küche der einsamste Ort der Welt” und überstrapazierten, komplizierten Sätzen, die dem Leser schnell die Geduld rauben, ein Beispiel: “Ihr edles Ringen mit Gott, ihre Sehnsucht nach Innigkeit und Hingabe, das frühe Sich-Versenken in den Quijote, der das Reich Gestalten-mischender Möglichkeit viel ungetrübter aufmischte als Goethe: alles profanisiert von einem gescheiterten Chauvinisten mit violetten Augen, der sich einbildete, ihr leiblicher Vater zu sein und, wenn mich nicht alles täuschte, scharf auf sie war.” Ich kann mich daher lange nicht entscheiden, ob ich dieses Buch nun mag oder nicht, ich schwanke von Seite zu Seite und hoffe auf einen Knalleffekt am Ende, auf des Rätsels Lösung, auf ein zufriedenes Nicken meinerseits – das aber leider ausgeblieben ist.

Der Vogel, der spazieren ging ist erschienen bei Dumont (ISBN 978-3-8321-7998-4, 19,90 Euro).

Prost Mahlzeit: 1 Stern

Ungewöhnlich und verwirrend
Ins neue Jahr hinein feiert Janus seinen Geburtstag im verschneiten Berlin. Viele Freunde sind gekommen, auch Jackie, in die Janus verliebt ist, die sich ihm jedoch immer wieder entzieht. Und einer fehlt: Janus’ Bruder Bobby. Er ist verschwunden, untergetaucht, in der Welt unterwegs. Regelmäßig meldet er sich über seinen Blog “Finale Hysterie” und berichtet aus Las Vegas und anderen schillernden Orten, die er besucht. Der Grund seines Weggangs ist unklar, sein Verleger wütend. Dann geht auch Janus auf Reisen, jeden Monat meldet er sich aus einem anderen Land, England, Frankreich, Nepal, Amerika. Und als Bobby ihn braucht, fliegt Janus schließlich zu ihm.

Unter diesem Einfluss ist ein höchst merkwürdiges Buch über ein mittelaltes Brüderpaar, das sich gern abheben möchte von den Durchschnittsmenschen, das philosophieren will und das Leben deuten. Beide sind von der Welt angeödet und denken – jeder auf seine Weise – viel nach, was sich in kryptischen Sätzen und scheinbar weisen Erkenntnissen niederschlägt. “Ein neuer Tag, guten Morgen, wie schrecklich”, heißt es dann, und: “Menschliche Gehirne sind seltsam” oder: “Wie kann es dazu kommen, dass Menschen bereit sind, ihr Leben gegen ihr eigenes Land zu richten? So vertieft in ihre Ideologie, dass es keinen Ausweg mehr gibt, bis gestorben werden muss. Was sind die Gründe? Zerrüttete Familienverhältnisse, mangelnde Vaterliebe, Überliebe der Mutter? Werde, was du bist.”

In einer wilden, unstrukturierten Reihenfolge stellt Henning Kober Sätze aneinander, die nichts miteinander zu tun haben, Textkohärenz gibt es kaum. Das erschwert es ungemein, der Geschichte zu folgen – wobei eigentlich gar keine nacherzählbare Geschichte zu erkennen ist. Vielmehr ist dieser Roman eine lange Perlenschnur aus schillernden Metaphern wie “Seine Augen sind große, blühende Planeten” und völlig abgeschliffenen Gedankengängen, die nichts mehr hergeben. Aufgepeppt wird das Ganze mit viel Alkohol und einer ordentlichen Prise Drogen. Ein Sinn dahinter oder gar ein roter Faden ist nicht greifbar, der Stil erinnert fast an ein sehr exaltiertes Tagebuch eines von sich übermäßig eingenommenen Schreibers. Die Dialoge sind überraschend öde, und als die Perspektive zwischen den zwei Brüdern gegen Ende hin immer schneller, teilweise mitten im Abschnitt, wechselt, nimmt auch die Verwirrung zu. Dies ist eindeutig ein Buch, bei dem man sich als Leser unweigerlich fragt, ob man vielleicht zu beschränkt ist, um dem Autor in die beschriebenen melancholischen Gefilde zu folgen. Mir ist es jedenfalls nicht gelungen.

Unter diesem Einfluss ist erschienen im S. Fischer Verlag (ISBN 978-3100402189, 18,90 Euro).

Prost Mahlzeit: 1 Stern

Der Lebensweg eines Franzosen
Es ist eine grausame und tragische Geschichte, die der sechzehnjährige Paul erzählt bekommt: Einst, kurz nach dem Krieg, ging ein Vater mit seinen zwei kleinen Kindern in den Wald und erwürgte sie. Dieser Wald befindet sich in Deutschland, in Kehlstein, wo der Franzose Paul den Sommer des Jahres 1963 bei seinem Brieffreund Thomas verbringt. Er ist fast genauso alt wie der Frieden – und die Deutschen haben die Kriegsgeschehnisse noch lange nicht verwunden. Niemand spricht über das, was im Wald geschah, nur die junge und faszinierende Außenseiterin Clara weiht Paul ein. Ihr verfällt er, von ihr kommt er Zeit seines Lebens nicht richtig los. Und auch später, als er Karriere macht und eine Familie gründet, begegnet ihm Clara immer wieder – und die Geschichte von damals verfolgt ihn …

Ich mag keine Rufzeichen. Als Werbetexterin sind sie ohnehin meine erklärten Feinde, und in der Literatur haben sie meiner Meinung nach wenig bis gar nichts verloren. Vielleicht noch in der direkten Rede, wenn jemand schreit, aber nicht im Fließtext. Formulierungen wie “Ein irgendwie künstlerisch veranlagter Typ, versponnen und leicht abgehoben, ein echter Franzose eben!” stoßen daher bei mir auf Ablehnung. Das ist mir zu viel Pathos, zu viel geschwollene Brust, zu viel erhobener Zeigefinger. Aber nicht nur sprachlich gesehen ist Schlaf nun selig und süß anstrengend, auch der Inhalt hat es in sich: Zwei Männer waren im Krieg, sie haben Juden sterben sehen, sie sind nicht mehr dieselben. Einer der beiden bringt später seine Kinder um. Was genau ihn dazu bewogen hat, muss man sich als Leser mühsam zusammenreimen. Denn eigentlich geht es dann in der Folge viel mehr um Protagonist Paul, der kapitelweise und mit sehr großen Zeitsprüngen dazwischen alt wird. Wer also das ganze Buch über auf die Auflösung des Geheimnisses wartet, wird enttäuscht.

Mit Die kleine Kartäuserin hat Pierre Péju mich begeistert. Und ich hätte es dabei belassen sollen … Denn Schlaf nun selig und süß kann diesem wunderbaren Roman nicht das Wasser reichen. Die Geschichte ist flach und uninteressant, die Charaktere fast schon eigenschaftslos. Und dann der Krieg, der als “Entschuldigung” eingebracht wird, als allseits bekanntes und oft verwendetes Motiv, um Unmenschliches zu rechtfertigen – das ist mir einfach zu banal. Ignorieren.

Prost Mahlzeit: 1 Stern

Abgedreht und anstrengend
Michael Boone, genannt Butcher Bones, ist ein berühmter Maler – und ein Arschloch. Er ist arrogant und egoistisch. Bei seiner Scheidung verliert er alles, er darf seinen Sohn nicht mehr sehen, und weil er an einige seiner wertvollen Bilder kommen will, wird er eingesperrt. Nach der Haftstrafe bietet ihm einer seiner Sammler eine neue Perspektive: Er soll ein Haus, das dieser Sammler bald verkaufen will, instandhalten und potenzielle Interessenten herumführen. Mit ihm zieht Michaels Bruder Hugh: gigantisch fett, aggressiv und zurückgeblieben. Und dann taucht auch noch eine Frau auf: Amanda, verheiratet mit dem Enkel des berühmten Leibovitz. Als ein Gemälde von Leibovitz verschwindet, steckt Michael schon wieder mitten im Ärger.

Peter Carey hat schon acht Bücher geschrieben, wurde mit Preisen überhäuft und scheint ein viel gelesener Autor zu sein. Mir behagt sein Ton jedoch gar nicht: Wie Michael bzw. Hugh abwechselnd erzählen, ist mir in der Tonalität zu angepisst, gehässig und vulgär. Das Rätsel um den gestohlenen Leibovitz ist völlig unspannend, die Einschübe des minderbemittelten Bruders sind wahnsinnig anstrengend. Einen Pluspunkt gibt es für das gut recherchierte und eingebundene Theoriewissen über Malerei, Sammlerinteressen, Techniken und berühmte Pinselschwinger. Ansonsten kann ich diesem ausgesprochen langweiligen Buch leider gar nichts abgewinnen.

Prost Mahlzeit: 1 Stern

Sarkasmus auf Italienisch
Bepy Sonnino war ein Lebemann, ein Frauenheld, ein Charmeur, ein Gauner. Als römischer Jude überlebte er den Holocaust und häufte durch Gier und Rücksichtslosigkeit ein Vermögen an – das er wieder verlor. Er stürzte seine Familie ins Unglück und wurde von ihr dennoch bis zum Schluss auf ein Podest gestellt. Gestorben ist er an Prostatakrebs, denn eine Operation verweigerte er – weil er dadurch impotent hätte werden können. Und für Bepy war ein guter Fick das Wichtigste. Erzählt wird die Geschichte von Bepys Enkel Daniel, einem erfolglosen 30-jährigen Doktor der Literatur, Strumpfhosenfetischist und Single. Er hat seit seiner späten Jugend eine Obsession für die schöne Gaia. Und von Bepy hat er in erster Linie eine unsympathische Arroganz geerbt, die ihn im Leben scheitern lässt.

Mit bösen Absichten ist ein italienischer Roman über italienische Eigenschaften: Selbstverherrlichung, Machotum und eine übertriebene Gewichtung der Familienehre. Die Figuren im Roman sind rassistisch, intolerant und frauenfeindlich. Kein Wunder, dass die Kritiker das Buch als “schonungslos ehrlich” und “herrlich perfide” feierten, Piperno gewann zudem die wichtigsten italienischen Literaturpreise. Nur lässt der Autor seinen Protagonisten meiner Meinung nach allzu oft gegen die typischen Feindbilder wettern und nutzt den Deckmantel der Ironie gefährlich ab. Das klingt dann beispielsweise so: “Und man muss bedenken, dass die Schwulen wie die Juden und die Neger sind: Es ist schön, die Idee zu lieben, die sie repräsentieren, es ist schön, zu wissen, dass es sie gibt, aber es ist absolut anstößig, mit ihnen zu verkehren.” Da steckt natürlich – wie in vielen anderen Formulierungen – ein Körnchen Wahrheit. Der überzogene Sarkasmus geht aber stellenweise nach hinten los. Es ist halt auch sehr einfach, sich über die alten Tabus zu mokieren. Lockt das denn tatsächlich noch jemanden hinter dem Ofen hervor?!

Das ist jedoch nicht mein Hauptproblem mit Mit bösen Absichten. Vielmehr geht die Geschichte ins Leere. Bepy als vermeintliche Hauptfigur bleibt eine Statue, ein Symbol, oberflächlich und leer. Daniel selbst ist ein langweiliger und sinnloser Mensch. Eine Handlung gibt es nicht. So besteht das Buch im Endeffekt aus einer Aneinanderreihung von vermeintlich bösen Ansichten, intellektuellen Einwürfen und abgehobenen Ideen über die Menschheit. Eine chronologische Reihenfolge der Ereignisse herrscht nicht vor, das Skelett des Romans wird nicht mit Inhalt gefüllt. Es passiert herzlich wenig, vielmehr werden die einzelnen Familienmitglieder kurz vorgestellt – immer in Verbindung mit ihren äußerst bedenklichen Meinungen über Juden, Schwule und Neger (ja, schön, eine vielfache Verwendung eines Tabuworts macht offensichtlich einen literarischen Erfolg, deshalb kommt auch oft Ficken vor). David mag sowieso niemanden, schon gar nicht sich selbst. Der Stil ist extrem exaltiert und geschwollen, es gibt viele Klammern, die Anrede wechselt immer wieder unvermittelt in die Du-Form, die Zeit springt beliebig hin und her. Ach, langer Rede kurzer Sinn: nicht gut!