Bücherwurmloch

IMG_7892Wie Sie hier sehen, sehen Sie nichts. Das ist mein Nachttischerl, das neben meinem Bett steht, und es ist leer. Schaut nicht spektakulär aus, ich weiß, aber: Das bedeutet, dass ich alle Bücher, die da drauflagen, weggelesen habe. Seit ich vor Kurzem diesen Beitrag über mein momentanes Leseverhalten und meine Probleme damit geschrieben habe, habe ich ein bisschen was geändert. Weil ich nichts davon halte, nur rumzujammern, wenn es um Dinge geht, die man ändern KANN. Auf die äußeren Umstände habe ich keinen Einfluss, ich habe beruflich mit Lesen und Schreiben zu tun, ich habe zwei Kinder, die fordernde Zeitfresser sind, aber das mit der Ablenkung, das kann ich vielleicht in den Griff bekommen. Ich habe deshalb mit dem Parallellesen aufgehört, weil es mich anstrengt, unruhig macht, irgendwie auch verwirrt. Wenn da mehrere Bücher liegen, die ich alle angefangen habe, die alle meine Aufmerksamkeit wollen, führt es dazu, dass ich mich auf gar keins mehr richtig konzentrieren kann. Außerdem lasse ich keine Serien mehr auf dem Tablet laufen, während ich lese, was ich vorher in meinem Multitasking-Wahn durchaus gemacht habe (manchmal noch mit dem Handy in der Hand, imagine the madness). Eigentlich schaue ich im Moment überhaupt keine Serien mehr. Das werde ich bestimmt nicht beibehalten, ich will Netflix nicht verteufeln, ich finde viele Stoffe dort sehr interessant, neu und originell, aber: Das Lesen ist mir wichtig, so wichtig, dass ich ihm wieder mehr Platz einräumen muss bzw. möchte.

Auch der andere Zeitfresser, das Handy, bleibt in einem anderen Zimmer. Das fällt mir insofern schwer, weil ich am Abend meist endlich Zeit habe, um Nachrichten zu beantworten und Storys anzuschauen, aber auch hier gilt: Prioritäten setzen. Und ich bin nun mal in erster Linie ein Bücherwurm. Ich werde mit Sicherheit weiterhin extrem kritisch bleiben, das lässt sich nicht abstellen. Ich werde immer noch Bücher abbrechen, vielleicht sogar schneller als zuvor, weil ich ja kein zweites anfangen will, wenn mich das erste nicht packt, ich werde mich langweilen und nur querlesen. Das macht jedoch nichts, denn ich werde trotzdem noch jene Perlen finden, für die sich das Ganze lohnt.

Ein Buch hat es gegeben vor ein paar Tagen, das mich ganz unerwartet aus meiner Leselethargie gerissen hat, ein englisches Buch, von dem ich das gar nicht gedacht hätte. Ich habe danach gegriffen, weil es manchmal hilft, die ausgetretenen Pfade zu verlassen, ein fremdsprachiges Buch zu lesen oder was Seichtes, irgendwas, das man sonst nicht oft liest, und siehe da, es hat funktioniert. Ich war von den ersten Seiten an total gefesselt und nach wenigen Stunden mit dem Roman durch: We were liars von E. Lockhart. Auch noch ein Jugendbuch bzw. für young adults, was ich sonst nicht mal mit der Kneifzange angreife. Stattdessen fand ich das Buch großartig und dachte: Schau, Mariki, du kannst es noch!

Bücherwurmloch

IMG_7858Eigentlich, müsst ihr wissen, ist mein Buch schon sehr lange nicht mehr in meiner Hand, seit über einem Jahr, um genau zu sein. Das liegt daran, dass die Verlage ihre Programmplätze natürlich weit im Voraus besetzen, für Dunkelgrün fast schwarz war im Frühjahr 2018 einer frei. Das war weit weg damals, jetzt ist es das nicht mehr. Jetzt ist der Moment gekommen. Da das Manuskript bereits so lange fertig war, ist es uns gelungen, sehr früh ein Leseexemplar auf den Weg zu bringen, mit dem wir Ende Dezember den Buchhandel, die Presse und meine Blogger versorgt haben. Das ist der Grund, warum ihr es schon überall gesehen habt – und trotzdem noch zweieinhalb Monate warten musstet, bis es erscheint. Aber DAS WARTEN HAT EIN ENDE! Ab heute ist Dunkelgrün fast schwarz überall erhältlich (und ihr wisst ja, im lokalen Buchhandel kaufen, ist am besten, gell)!

IMG_7803Was ich heute sagen möchte und muss, ist: Danke. In den letzten Wochen hat mich eine derart besondere Welle der Wertschätzung überrollt, dass ich völlig überrascht bin. Ich habe mich Ende Oktober nach langem Überlegen doch bei Instagram angemeldet, obwohl ich viele Vorbehalte gegen diese Plattform hatte – und bin sehr froh darüber. Ich dachte, dort gebe es nur oberflächliches Influencer-Lifestyle-Food-Models-Getue (und das gibt es bestimmt auch, aber ich bekomme nichts davon mit, weil ich mich in einem illustren Kreis von Gleichgesinnten bewege), und war verblüfft vom freundlichen Umgang und dem motivierenden Feedback. Außerdem hätte ich sonst verpasst, wie schön viele Blogger #dunkelgrünfastschwarz inszeniert haben. Als absolute Bereicherung empfinde ich auch den direkten Kontakt und den Austausch über meinen Roman – dafür liebe ich das Internet. So viele Leute haben mir geschrieben, nicht nur Blogger auf Instagram, auch Buchhändler via Mail oder Facebook. Ich weiß es sehr zu schätzen, wenn jemand sich die Mühe macht,  mir seine Gedanken mitzuteilen, mir Rückmeldung zu geben. Wunderbare positive Kommentare habe ich erhalten, zu meinen Lesungsterminen, zu meinen Berichten über Neuigkeiten. Allein das hat mich sehr bestärkt und motiviert.

Meinem großartigen Verlag gebührt ebenfalls ein Danke, für all das Engagement, das Fingerspitzengefühl, das Herzblut. Ich fühle mich bei der Frankfurter Verlagsanstalt sehr gut aufgehoben, bin wahnsinnig stolz, dass ich mich zu ihren Autorinnen zählen darf, und freue mich auf alles, was da kommen mag. Natürlich kann es sein, dass das Buch und ich nun einfach sang- und klanglos in der Masse der Neuerscheinungen untergehen. Wir wissen alle, wie kurzlebig Bücher heute sind, wie schnell sie von denen, die nachkommen, begraben werden. Aber vielleicht hab ich ja Glück, jenes Quäntchen Glück, das den Unterschied macht.

IMG_7901Heute also gehen Dunkelgrün fast schwarz und ich auf die Reise. Das Buch erscheint, ich steige morgen in den Zug nach Berlin, zu meiner Premiere bei ocelot. Am Donnerstag lese ich in München bei den Wortspielen, nächste Woche im Literaturhaus Salzburg und bei der Leipziger Buchmesse. Uns beide erwarten spannende Zeiten mit vielen Erlebnissen, Begegnungen, neuen Erfahrungen. Wir setzen uns der Kritik von euch allen aus, das Buch und ich, und wagen uns sehr weit aus unserer Komfortzone heraus. Und das ist ja das Beste, was man im Leben tun kann. Auf geht’s!

Bücherwurmloch

FlasarMilena Michiko Flašar: Herr Katō spielt Familie
„Ohne Schmerz gibt es keine Erinnerung“
Herr Katō ist in Pension, und er kann sich noch so sehr einreden, dass er Pläne hat – das Radio reparieren, laufen gehen, vielleicht nach Paris fahren mit seiner Frau, vielleicht –, in Wahrheit ist ihm schrecklich langweilig. Das ändert sich, als er eines Tages die junge Mie trifft. Sie spielt gegen Geld das, was verlangt wird, zum Beispiel eine Tochter, eine Schwester, eine Cousine, lässt sich buchen für Hochzeiten und Beerdigungen, für kurze Treffen, die anderen aus verschiedenen Gründen wichtig sind. Sie erzählt Herrn Katō von ihrer Agentur und bietet ihm einen Job an, den er natürlich, eh klar, fad wie ihm ist, annimmt. Zu kurz währt jedoch dieses Glück, und richtig bereichernd ist es nicht, die allgemeine Langeweile überwiegt, das ewig gleiche Zusammenleben mit seiner Frau, die Abwesenheit seiner Kinder, die, längst erwachsen geworden, kaum noch Kontakt halten, die große Fadesse des Lebens. Genau so erging es mir mit diesem Buch. Es kann gut sein, dass es mich in der falschen Phase erwischt hat, in jener der Ablenkung und des Lese-Überdrusses, als ich etwas Mitreißendes gebraucht hätte. Dabei habe ich Sie nannten ihn Krawatte von Milena Michiko Flašar geliebt! Und ich habe nichts gegen ruhige, zurückhaltende Bücher, im Gegenteil, ich fand Herr Origami großartig, genauso wie die Romane von Yoko Ogawa. Aber dieses hier? Ich weiß nicht. Ich habe mich gemeinsam mit Herrn Katō in seinem Leben sehr gelangweilt.

Herr Katō spielt Familie von Milena Michiko Flašar ist erschienen im Wagenbach Verlag (ISBN 978-3-8031-3292-5, 176 Seiten, 20 Euro).

IMG_7913Katie Kitamura: A separation
Christopher ist verschwunden, und seine Frau soll ihn suchen. Das wäre nicht so ungewöhnlich, wären die beiden nicht seit Längerem getrennt und fast schon geschieden, was nur niemand weiß. Christophers Mutter fordert die namenlose Protagonistin auf, nach Griechenland zu reisen, wo er sich aufhalten soll, und sie tut es. Sie lebt mit einem neuen Mann zusammen, hat ihren untreuen Gatten verlassen, alles ist noch unklar, keine Papiere unterschrieben. Sie kommt im Hotel an, und Christopher ist nicht da. Also tut sie erst einmal nichts, was sehr langweilig ist, und dann kommt des Rätsels Lösung eh schon ans Licht, ohne dass sie was tut, was auch langweilig ist. Ich habe mir viel von Katie Kitamura erwartet, deren Name seit einer Weile immer wieder dort auftaucht, wo von den Guten die Rede ist, die mit vielen Preisen bedacht wurde und deren Romane auch auf Deutsch erschienen sind. Letztlich war A separation aber eine herbe Enttäuschung, eine ganz und gar uninteressante Geschichte ohne einen einzigen Höhepunkt, ohne Konflikt, ohne Botschaft, die ich hätte hören können. Vielleicht habe ich mich für das falsche ihrer Bücher entschieden, die anderen werde ich jetzt jedoch sicher nicht mehr lesen.

Trennung von Katie Kitamura ist auf Deutsch erschienen bei Hanser (ISBN  978-3-446-25445-9, 256 Seiten, 22 Euro).

 

 

Bücherwurmloch

Bildschirmfoto 2017-10-22 um 14.03.57Ich habe in letzter Zeit viele Stunden damit zugebracht, Leseproben zu sichten, Manuskripte zu lesen, konstruktives Feedback zu geben, zu überlegen, mit welchem Roman ich ins Rennen gehen könnte, zu grübeln und noch mehr zu grübeln. Das Problem ist, dass ich in manchen Manuskripten Potenzial sehe, sie aber einfach noch nicht so weit sind. Sie sind wie Rohentwürfe, wie erste Skizzen, die noch viel Arbeit brauchen, nicht im Lektorat, nein, sondern in ihrer Konzeption, ihrem Aufbau, ihrer Balance. Da fehlen ganze Perspektiven, da sind Figuren in ihrer Gesamtheit in Frage zu stellen, weil sie nicht funktionieren, lauter Dinge, die man nicht in kurzer Zeit bereinigen kann. Genau das haben wir aber beim Blogbuster: wenig Zeit. Was schade ist, aber nicht zu ändern, und deshalb ist meine Entscheidung gefallen: Ich werde mit gar keinem Roman teilnehmen. Das Blogbuster-Finale findet 2018 ohne mich statt.

Ich weiß, dass meine Autoren enttäuscht sind, und ich bin es auch. Es ist frustrierend, wenn man so viel Arbeit und Zeit investiert und am Ende nichts dabei herauskommt, das gilt in dem Fall für uns alle. Ich kann es aber auch nicht vertreten, mit einem Manuskript ins Rennen zu gehen, wenn ich zu hundert Prozent sicher bin, dass es sofort wieder rausfliegt. Wie könnte ich dem Autor falsche Hoffnungen machen und uns beiden verlorene Liebesmüh bereiten? Wie könnte ich die Werbetrommel rühren für ein Buch, von dem ich nicht überzeugt bin? Wie soll ich etwas als gut verkaufen, wenn es nicht gut ist? Das mache ich nicht, dafür bin ich zu ehrlich und zu geradlinig, selbst wenn es nun bedeutet, dass für mich alles umsonst war.

Aber well, shit happens, das ist nicht das Ende der Welt, und ich bin sicher, dass auch ohne mich ein Spitzenbuch bei Kein & Aber erscheinen wird. Welches das sein wird, darauf bin ich schon sehr gespannt, und wünsche den anderen Kandidaten viel Glück!

Bücherwurmloch

thumb_IMG_6320_1024Liest du noch oder switcht du schon?
Hätte man mich vor zehn Jahren gefragt, hätte ich gesagt, dass ich ein sehr ungeduldiger Mensch bin. Doch dann hab ich Kinder bekommen, und es hat sich herausgestellt: Das ist nicht wahr. Ich bin unendlich geduldig. Ich kann 67 Mal „Bitte zieh dich an“ sagen und immer noch freundlich bleiben, ich kann 36 Mal hintereinander das Titellied von Frozen ertragen, ohne auszurasten, ich beantworte absurde Warum-Fragen, ich höre zu, ich koche Lieblingsspeisen, die dann an dem Tag doch keiner mag, ich wache in Fiebernächten an den Betten, wieder und wieder. Sicher flippe ich ab und zu auch aus und schreie rum, aber es dauert erstaunlich lange, bis das passiert.

Hätte man mich vor zehn Jahren gefragt, hätte ich gesagt, dass ich ein sehr geduldiger Leser bin. Was habe ich die dicken Schinken geliebt! Die Schmöker, die ausufernden Geschichten. Ich habe nie ein Buch abgebrochen, ich hab mich durchgebissen, auch wenn es mir nicht gefiel. Ich hatte ja Zeit, ich hab studiert und nebenbei gearbeitet, aber die Abende gehörten mir und die Wochenenden auch, ich wusste ja nicht, dass das später nie wieder so sein würde. Dass mich später beim Anblick der vielen Instagram-Posts mit Captions wie „Endlich Lesezeit“ oder „So gemütlich, wenn es draußen regnet und ich drinnen im Bett lesen kann“ der Neid in den Nacken beißen würde, weil man mit Kindern kein Wochenende hat und Lesezeit auch kaum.

Jetzt ist alles umgekehrt. Ich bin zwar eine geduldige Mama, aber ein ungeduldiger Leser. So ungeduldig bin ich, dass ich mich im Moment frage, warum ich überhaupt noch lese. Hat das denn noch einen Sinn? Ehrlich, an einem solchen Punkt war ich noch nie, auch wenn das Thema für mich nicht neu ist und ich hier vor 1,5 Jahren schon mal drüber geschrieben habe. Ich finde 70 Prozent aller Bücher, die ich in die Hand nehme, langweilig. 20 Prozent sind okay. Und zehn Prozent reißen mich so richtig vom Hocker. Immer öfter breche ich Bücher ab. Ist es das alles wert? Vergeude ich da nicht Lebenszeit, die ich besser investieren könnte?

Diese Ungeduld hat fünf Gründe:

  1. Ich bin übersättigt. Manchmal denke ich, ich habe alles, was es gibt, schon mal gelesen. Das ist natürlich Blödsinn, vor allem wegen der zigtausend Neuerscheinungen jedes Jahr, aber es fühlt sich so an. Die meisten Settings und Konstellationen sind mir schon mal untergekommen, bei manchen Formulierungen kommt mir das Kotzen, so satt habe ich sie. Ja, das ist ein Luxusproblem. Eines, das mit den achtzig bis hundert Büchern, die ich jährlich lese, von Jahr zu Jahr schlimmer wird.
  2. Ich bin der schrecklichste Leser, den ein Buch haben kann, weil ich das auch beruflich mache: lesen und schreiben. Mein Anspruch ist zu hoch. Ein Bücherwurm bin ich seit 26 Jahren, eine freie Lektorin seit fast zwölf, und ich habe in meinem Leben schon Hunderte Bücher redigiert. Wenn ich dann lese, privat, zum Vergnügen, lässt sich die Stimme in meinem Hinterkopf nicht abstellen, die sagt: Da hätte man straffen können, das ist nicht ausbalanciert, das hätte man nicht auserzählen müssen … und so weiter. Was rein subjektiv und total unnötig ist, unsympathisch und verschroben, wer bin ich, meinen eigenen Maßstab an diese Romane anzulegen? Ein Buch kann und muss nicht perfekt sein, auch mein eigenes Buch ist alles andere als perfekt. Aber ich lasse einem Roman nichts mehr durchgehen, ich habe jegliche Geduld mit Unstimmigkeiten und Unsauberkeiten verloren, ich ertrage das alles nicht mehr. Ich bin wie ein Dauersingle mit dem Tinder-Syndrom, der sich nicht mehr festlegen kann und will, weil das alles den eigenen Ansprüchen nicht genügt, weil es da draußen sicher noch was Besseres gibt. Ein Supernerd bin ich, ein Grantler, und das ist mir selbst unerträglich, ich will nicht so sein. Nicht umsonst hab ich die letzten Bücher hier im Blog nur kurz angebraten, ich halte mein Gemotze schon selbst nicht mehr aus.
  3. Ich habe keine Zeit mehr. Mein Tag ist derart ausgefüllt, dass ich immer nur knapp am klassischen Berufstätige-Mutter-Burn-out vorbeischramme und bloß lachen kann, wenn Vorschläge kommen wie „Versuchen Sie es wenigstens mal mit zehn Minuten nur für sich“. Da hat ein Buch es schwer mit mir. Es muss mich packen und begeistern, damit ich die spärlichen Minuten, die ich fürs Lesen zusammenkratzen kann, in es investieren will. Wenn es das nicht tut, ist es raus.
  4. Ich weiß nicht mehr, wie man stillsitzt. Absurd, nicht wahr? Ich bin rastlos und ruhelos, ich stehe permanent unter Strom. Dass ich mal an einem Tag eine halbe Stunde auf der Couch sitze, das kommt nicht vor. Entweder arbeite ich, und dann schon mal zwölf Stunden am Stück, weil ich Deadlines einhalten muss und nicht jeden Tag zur Verfügung stehe, oder ich bin mit den Kindern unterwegs, kaufe ein, koche, räume auf, helfe bei der Hausübung, trage Wäscheberge ab und lese vor. Mir bleibt abends ein Zeitfenster von 1,5 bis zwei Stunden, bevor ich völlig erschöpft einschlafe. Nachts wecken die Kinder mich mehrmals, und oft bleibe ich dann wach, weil es in meinem Kopf rattert, was ich noch besorgen muss, was ich erledigen muss, wie es bei dem Roman, an dem ich schreibe, weitergehen könnte, welche Headlines ich für den Job morgen finden könnte, und dann muss ich um 6 Uhr aufstehen, auch am Wochenende. Ich bin deshalb ständig müde, eine Hürde, die ein Buch erst mal überwinden muss. Ich bin außerdem derart daran gewöhnt, dass Dutzende Multitasking-Tabs in meinem Kopf geöffnet sind, dass ich es kaum noch schaffe, nur eine einzige Sache zu machen, nämlich lesen. Tausend andere wichtige Dinge fallen mir dann ein, die ich organisieren muss, und mit meiner Konzentration ist es nicht weit her. Wie kann ein Buch derart viele Hindernisse aus dem Weg räumen, wie kann es so interessant, herausfordernd und spannend sein, dass ich ihm, und nur ihm meine Aufmerksamkeit schenke? Richtig. Das kann es nicht.
  5. Die Konkurrenz ist groß. Und damit meine ich nicht nur die ungelesenen Bücher, die mir vom Regal aus zurufen: Nimm mich, nimm mich, ich bin viel besser, versuch es mit mir! Weshalb ich neuerdings plötzlich andauernd drei, vier Titel parallel lese, was ich früher nie getan hätte. Ein paar Seiten, mhm aha, na gut, dann das nächste. Dieses Verhalten gefällt mir nicht, weil nur noch switche. Denn neben diesen „Konkurrenztiteln“ gibt es außerdem Netflix und sauviele Serien, die mir zuflüstern: Lass das anstrengende Lesen, wir berieseln dich, wir eröffnen dir neue Welten, wir sind originell und anders, komm schon. Jaha, und dann gibt es noch mein Handy, das irgendwo rumliegt und mich lockt mit: Guck doch mal, was deine Freunde so treiben, vielleicht hat jemand eine nette Story gemacht, oh, und du wolltest doch deiner Familie auf WhatsApp zurückschreiben … Die Möglichkeiten zur Ablenkung sind groß und permanent vorhanden. Ich lese immer noch viel, aber ich stelle auch an mir das fest, was ein Problem unserer Zeit zu sein scheint: Wir verweilen nicht mehr, wir hetzen weiter, greifen zum nächsten Buch/Film/Zeitvertreib. Ich will das nicht. Nur weiß ich grade nicht, wie ich es ändern kann.

IMG_6391Die eigentliche Frage lautet also nicht unbedingt: Habe ich das Lesen verlernt?, sondern vielmehr: Habe ich das genussvolle Lesen verlernt, das ruhige, langsame Lesen, habe ich verlernt, mich einem Buch voll und ganz zu widmen, ihm – und nur ihm – meine Aufmerksamkeit zu schenken und zwar so viel davon, wie es eben braucht? Ja. Definitiv. Ich muss gestehen, dass ich schon lange nicht mehr bzw. nur noch sehr selten auf diese Art lese – nur dann, wenn ein Buch mich richtig packt. Das Buch, bei dem das zuletzt der Fall war, habe ich Anfang November gelesen. Seither habe ich mich wieder durch einen Haufen Romane gelangweilt, manche waren okay, andere haben mich genervt, angerührt hat mich kaum eins, und wir reden immerhin von 24 Büchern. Das ist ätzend. Sehr, sehr ätzend.

Und was tue ich jetzt? Weitersuchen, mich durch all die öde Lektüre quälen auf der Suche nach den wenigen Perlen, die mir kurze Momente der Freude bereiten? Mir selbst klare Regeln auferlegen, an welchen Tagen ich lese, wann ich eine Serie schaue und wann ich das Handy in die Hand nehme? Keine Rezensionsexemplare mehr anfordern, damit ich wenigstens nicht mehr unter dem Druck stehe, etwas zu all diesen Büchern schreiben zu müssen? Einfach warten, bis meine Kinder größer sind und als Teenager grummelnd in ihren Zimmern verschwinden, sodass ich wieder viel Lesezeit habe? Mir selbst Hoffnung machen, dass das jetzt eben die stressigste Phase meines Lebens ist, weil die Kinder klein sind, dass es nie wieder so anstrengend sein wird wie in diesen Jahren? Letztlich wird es wohl eine Kombination aus allem, denn irgendeine Lösung für dieses Dilemma muss ich finden. Lesepausen hab ich schon einige eingelegt, das hat nicht geholfen. Aber das Lesen ganz aufgeben, das kann ich nicht.

Bücherwurmloch

IMG_7653Nur noch wenige Tage bis zur Entscheidung über die Longlist!
Sieben Manuskripte habe ich zur Gänze angefordert, fünf davon hab ich bereits gelesen … und alle fünf sind wieder ausgeschieden. Das lag in keinem einzigen Fall daran, dass der Autor nicht schreiben kann, absolut nicht. Ich habe alle fünf Geschichten mit großem Interesse gelesen. Da waren Jugendliche dabei, die durch Berlin streunen auf der Suche nach Antworten auf die großen Fragen, da gab es einen Mann, der Visionen hat und sehen kann, ob jemand krank ist oder bald stirbt, ich habe eine Frau kennengelernt, die auf einer Party einen Mann trifft, mit dem sie gern die Nacht verbringen würde, fiele er nicht plötzlich aus dem Fenster, ich habe an mehreren amüsanten Schlendergängen teilgenommen und dem Verfall einer Ehe nach dreißig Jahren zugesehen.

Ich habe jedes Manuskript sehr aufmerksam gelesen, und ja, ich weiß, dass das Rohfassungen sind, die noch Bearbeitung brauchen, ich schreibe selbst, ich kenne meine eigenen Rohfassungen. Doch für den Blogbuster entscheidend ist die Frage: Ist das ein Roman, der zwar noch ein scharfes Lektorat benötigt, ansonsten aber fertig ist? Der funktioniert, durchdacht und stringent ist, mit Handlungssträngen, die zusammenlaufen, mit einem stimmigen Ende? Das war bei all diesen fünf Manuskripten, aus unterschiedlichen Gründen, nicht der Fall. Manches lief ins Leere, anderes war schlicht noch zu unfertig, mit 130 oder 160 knappen Seiten eher die Skizze eines Romans, und es fehlt noch zu viel, um damit ins Rennen zu gehen. Auch das umgekehrte Problem tritt auf, dass ein Entwurf viel zu lang ist, seitenweise Dialoge über Dialoge enthält, dass er um die Hälfte gekürzt werden könnte, weil er noch viel zu erklärend und zu wenig subtil ist.

Ich kenne das Gefühl, wenn man sein Manuskript an jemanden schickt und bangend auf das Urteil wartet, ich kenne es bestens. Deshalb habe ich mir bei jedem Autor Zeit für ein ausführliches Feedback genommen. Mir ist klar, dass es trotzdem hart ist, wenn man gesagt bekommt: Das ist gut, aber noch nicht gut genug. Andererseits bin ich ein Verfechter von konstruktiver Kritik, weil ich glaube, dass sie einen weiterbringt, wenn man das Ego beiseiteschiebt und sich wirklich damit auseinandersetzt. Ich musste selbst schon krasse Rückmeldungen aushalten, und mein Buch ist dadurch besser geworden. Ich bin sehr erleichtert, dass auch meine Autoren durch die Bank positiv reagiert haben: Ich weiß das sehr zu schätzen, habe ich als Antwort bekommen, Ich bedanke mich herzlich für dein Engagement und: Vielen Dank für den angenehmen, freundlichen Kontakt. Darüber freue ich mich vor allem deshalb, weil meine Mails schon sehr direkt waren mit einer konkreten Aufzählung der Kritikpunkte, weil ich, wie ihr wisst, nicht um den heißen Brei herumrede und weil man sowas leicht in den falschen Hals bekommen kann. Deshalb auch von meiner Seite: Vielen Dank an euch fünf, dass ihr cool geblieben seid und so professionell reagiert habt. Ich wünsche euch von Herzen viel Erfolg für eure Projekte, ihr werdet euren Weg machen!

Für mich bedeutet das aber nun, dass ich nur noch zwei verbliebene Manuskripte habe. Die werde ich heute und morgen lesen, dann wird meine Entscheidung fallen, mit welchem Roman ich beim Blogbuster antrete bzw. ob ich überhaupt antrete. Denn ich werde nur mitmachen, wenn mich ein Manuskript tatsächlich völlig überzeugt, wie es letztes Jahr mit Heike Dukens Rabenkinder der Fall war. Drückt mir die Daumen!

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Bücherwurmloch

Bildschirmfoto 2017-10-22 um 14.03.57Was ist eigentlich los beim Blogbuster? Allerhand, Leute! Die Einreichfrist ist vorbei, jetzt geht es ans Eingemachte. Erst mal vielen Dank an alle, die mir ihre Leseproben haben zukommen lassen, ich danke euch vor allem für euer Vertrauen. Ich habe eure Werke sorgfältig gelesen und mich dann entschieden. Das Gute ist: Wer durch meinen Filter gefallen ist, ist noch lange nicht raus. Wir haben einen Pool, in den wir solche Leseproben legen und auf den alle Blogger zugreifen können. Das bedeutet: Was mich nicht ganz überzeugt hat, bekommt vielleicht bei einem anderen Blogger eine wohlverdiente Chance. Im letzten Jahr waren da durchaus Kandidaten dabei, die es dann auf die Shortlist geschafft haben.

Sieben Manuskripte haben mich neugierig gemacht und ich habe die Autoren gebeten, mir die guten Stücke zu schicken, denn die Leseprobe umfasst ja nur 30 Seiten. Nun möchte ich sehen: Hält der Roman, was der Anfang verspricht? Trägt die Geschichte über all die Seiten? Und fügen sich die Fäden am Ende zusammen? Sieben Manuskripte werden demnach in den nächsten Wochen von mir auf Herz und Nieren geprüft, bis Ende Februar muss mein Favorit feststehen.

Ganz unterschiedliche Geschichten sind es auch diesmal: Ich habe ein Kind, das bei einem Unfall stirbt, und das ist eigentlich ein No-Go für mich, weil ich sowas nicht ertrage, aber es ist so gut geschrieben, dass ich dem Roman trotzdem eine Chance geben wollte. Ich habe auch Heiteres, Komisches, von dem ich noch nicht recht weiß, wo es hinführt, ich habe ein Buch, das zugleich ein Theaterstück ist, außerdem habe ich crackrauchende Hühner und eine Frau, die ihre Stasi-Akte anfordert und eifersüchtig ist, weil ihre Schwester mit jenem Mann zusammen ist, den sie selbst einst verlassen hat. Ich sag euch was: Das wird sehr, sehr spannend!

Ich freu mich außerordentlich auf die Lektüre und werde berichten.

Bücherwurmloch

IMG_6877Dunkelgrün fast schwarz: Mein Roman, wie er entstand und warum das Lesen für das Schreiben so wichtig ist
Kennt ihr diese Blogposts, in denen Leute euch erzählen, dass ihr nicht aufgeben und eure Träume verfolgen sollt? Die mit #dreamscometrue und #motivation und #nevergiveup? Nerven die euch auch so wie mich? Sehr gut. Das hier ist nämlich so einer. Denn 2018 erfüllt sich für mich ein Traum, und zwar DER Traum meines Lebens. Davon möchte ich euch in diesem sehr persönlichen Ausnahme-Blogpost erzählen. Aber keine Sorge: Um ein Buch geht es auch. Um mein eigenes…

Ihr müsst euch das so vorstellen: Ich bin ein wandelndes Klischee. Als ich acht Jahre alt war, hab ich Michael Endes Unendliche Geschichte gelesen und mit ihm eine Welt betreten, die ich seither nicht mehr verlassen habe, nicht mal für einen Tag, und ich habe auch nie aufgehört, über sie zu staunen: DAS kann man mit Wörtern machen, das kann man erfinden, sich ausdenken, schreiben, kreieren? Ich will das auch. Ich habe unter der Bettdecke gelesen, mit einer Taschenlampe, und mir ganz klassisch die Augen ruiniert – ich bekam eine dicke Brille mit rosafarbener Fassung. Ich habe angefangen, Bücher zu fressen: Die fünf Freunde, Hanni und Nanni, die Knickerbockerbande. Und ich habe angefangen, selbst zu schreiben. In der Volksschule gab es einen Ordner mit ersten Sätzen für Geschichten – da konnten die Schüler, die mit den Aufgaben fertig waren, sich was aussuchen und sich was ausdenken. Irgendwann hab ich den Ordner mit nachhause genommen, außer mir hat sich eh niemand dafür interessiert.

Im Gymnasium sagte die Deutschlehrerin zu mir, ich dürfe nicht so viel schreiben bei der Schularbeit, sie habe keine Lust, das alles zu korrigieren. Aber es war eben schwer, aufzuhören, wenn die Fantasie erst mal losgelassen war. Meine Geschichten waren wild und krude und ohne rechten Sinn, doch das Schöne daran war: Das war mir egal, ich war ja noch ein Kind. Das alles wurde nicht bewertet, noch nicht. Ich schrieb Theaterstücke und Drehbücher für meine Freunde und mich, die wir nachspielten. Und als ich dreizehn war, begann ich mit meinem ersten Buch. Ich tippte es auf der Schreibmaschine und weiß noch heute, wie sich dieses Klappern angehört hat. Mit welch heiligem Stolz ich an die Sache heranging. Das Buch hieß Lena Katzenauge.

Als ich fünfzehn war, mussten wir in der Schule einen englischen Roman lesen und darüber ein Referat halten. Ich wählte The God of small things von Arundhati Roy, und rückblickend kann ich sagen, dass dieses Buch mein Leben in eine ganz bestimmte Richtung geführt hat: Mit ihm wurde ich ein „richtiger“ Leser. Vergessen waren die Kinder- und Jugendbücher, die mich bis dahin begeistert hatten, ich entdeckte die Welt der Literatur. Ich schrieb seitenweise Sätze aus Arundhati Roys Roman ab und kaufte ihn mir von meinem Taschengeld auf Deutsch, um ihn in meiner Sprache nochmal zu lesen. Er verwirrte mich, wühlte mich auf, erschütterte mich. Und das ist es bis heute, was ich von Literatur will. Ich war angefixt, ich brauchte mehr. Ich las Javier Marias, John Irving, Imre Kertesz, José Saramago, meine ersten Erwachsenenbücher. Das Lesen prägt mein Leben. Ich kann mir nicht vorstellen, nicht zu lesen, ich wäre einsam und leer und desorientiert ohne die Literatur.

IMG_6876Immer schwang dabei der Versuch mit, durch das Lesen auch das Schreiben zu ergründen. Wie wird aus Worten Poesie? Wie transportiert man Humor, Sarkasmus, wie legt man Traurigkeit und Melancholie in Sätze? Durch das Lesen bin ich nicht nur als Mensch gewachsen und als Persönlichkeit gereift. Ich bin auch zur Autorin geworden. Denn wenn man etwas lernen will, hilft es immer, sich anzusehen, wie das die Besten machen. Und es dann zu üben. Dieses Üben ist eine Sache für sich: Niemand kann die vielen Stunden zählen, in denen ich um Worte gerungen habe. Niemand kann die schlechten Gedichte zählen, die ich verfasst habe. Die Romananfänge, die in Schubladen verschwunden sind. Und niemand die schiere Menge der Zweifel. Jetzt war ich kein Kind mehr, und die schöne Naivität, die Sicherheit, dass es gut war, was ich da tat, waren weg. Die Realität hatte mich fest im Griff. Was sollte ich tun? Wie konnte ich Schriftstellerin werden, wie davon leben? Wen würde mein Geschreibsel interessieren, wer sollte es veröffentlichen wollen, wer sollte es lesen wollen? Inzwischen wusste ich, dass das alles nicht so einfach war. Und dass es Tausende gab wie mich, die denselben Traum hatten – der nie in Erfüllung ging.

Mein Weg war klar, es musste etwas mit Sprache sein: Ich studierte Linguistik, ging nach München, wollte Lektorin werden, mit Büchern arbeiten. Doch nur das Geschriebene von anderen zu überarbeiten, war mir bald zu wenig, und so absolvierte ich das Textcollege, sammelte Erfahrung in einer Werbeagentur und machte mich als Texterin und Lektorin selbstständig. Mittlerweile bin ich seit zehn Jahren als Texterin, Konzeptionistin und freie Lektorin erfolgreich. Ich schreibe alles, was man schreiben kann, Headlines, Claims, Webtexte, Imagefolder, Treatments für Filme, Magazinartikel, Interviews, PR- und Pressetexte. Das brachte nicht nur das benötigte Geld, es war ebenfalls Übung. Wie schärft man den eigenen Stil? Wie bringt man etwas auf den Punkt, wie hört man auf zu schwafeln? Wie kann man den Leser neugierig machen, ihn reizen, ihn ködern? Ich lernte das, indem ich mich damit beschäftigte. 10.000 Stunden, heißt es in diesen elendigen Selbstmotivationsbüchern, müsse man etwas machen, um es zu beherrschen. Es ist sehr mühsam, besser zu werden. Und man lernt nie aus.

Das war Plan B, und er ging auf. Plan A habe ich aber nie vergessen: Ich wollte einen Roman schreiben. Ich probierte es auch, doch jede einzelne Idee versandete. Ich versuchte mich an einem Krimi, das war nicht meine Welt. Ich schrieb Liebessachen, die mir dann zu seicht waren. Ich versuchte es mit Drama, Melancholie, nichts funktionierte. Ich gab nicht auf. Aber ich produzierte ganz einfach viel Scheiße. Und ich war zum Glück klug genug, zu erkennen, dass das Scheiße war, und sie niemandem zu schicken.

Als mich 2012 der Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag fragte, ob ich ein Buch machen wolle, sagte ich zu, ohne zu wissen, wie mir das gelingen sollte. Ausgerechnet ein Frauenroman? Halleluja, ich las sowas ja nicht mal. Doch siehe da: Ich konnte das. Manche nennen den Roman heute meine Jugendsünde, aber ich geniere mich nicht dafür, er ist gut für sein Genre. Und ich weiß, wie wichtig es war, dass ich dieses Buch geschrieben habe. Denn als ich dann endlich an dem einen Roman saß, an dem, der es werden sollte, dem, der aus mir herausbrach, gab es viele Momente, in denen ich kurz davor war, alles hinzuschmeißen. Du schaffst das nicht, dachte ich, das ist einfach zu viel. Du kannst nicht arbeiten, Kinder haben, ein Buch fertigschreiben, du wirst scheitern, es wird in der Schublade bleiben wie alle anderen. Und dann sagte eine kleine Stimme: Nein. Schau doch, es gibt bereits ein Buch von dir. Du hast schon mal durchgehalten. Und weil dieser Beweis existierte, gelang es mir, weiterzumachen.

IMG_6882Im Herbst 2015 habe ich eine Szene beobachtet, die der Ursprung für alles war. Ich war auf dem Spielplatz und sah ein vierjähriges Kind, das von der Rutsche herunterkam und im Schwung seiner Bewegung mit voller Absicht brutal auf seinen Babybruder trat. Das Kind schaute mich an und wusste, dass ich alles bemerkt hatte. Ich kannte das Kind. Es war ein sogenanntes Arschlochkind. Ich sagte nichts, ich stand nur da, das Kind sah mich an und grinste. Dieser Moment hat mich nicht mehr losgelassen. Jedes Mal, wenn ich meine Sportrunde auf dem Berg absolvierte, dachte ich darüber nach. Das war die einzige Zeit, in der ich nichts anderes tun oder planen oder organisieren musste. Ich lief durch den Wald und fragte mich: Warum sind manche Kinder so, woher kommt das? Liegt das an den Eltern oder ist es angeboren? Und was wird aus ihnen, wenn sie erwachsen sind? Plötzlich formulierte sich eine fiktive Antwort auf diese Frage. Plötzlich tauchten Figuren in meiner Vorstellung auf, plötzlich entstand eine Geschichte. Ich habe eigentlich den gesamten Roman dort oben auf dem Berg geschrieben, im Wald. In meinem Kopf.

Ich hatte nicht viel Zeit, mich hinzusetzen und alles aus meinem Kopf auf Papier zu bringen, ich hatte zwei kleine Kinder, den Arsch voller Aufträge und jeden Tag sieben Millionen Dinge zu erledigen. Aber die Geschichte ging nicht wieder weg, sie machte sich breit und wurde immer mächtiger. Denn mit dem Schreiben ist es so: Man kann nicht darüber bestimmen, man kann es nicht verdrängen, nicht loswerden, nicht abschütteln. Daran musste ich denken, als Tobias Nazemi im Buchrevier (sehr amüsante) Gründe aufgelistet hat, warum er froh ist, kein Schriftsteller zu sein. Das mit dem Schreiben ist etwas, das man sich nicht aussucht, sondern vielmehr etwas, das man nicht verhindern kann. Ich habe nicht viel geschlafen. Ich habe geplottet, ein Storyboard entwickelt, nach den Stimmen der Figuren gesucht, geschrieben, umgeschrieben, neu geschrieben, mit Caterina Kirsten die beste Agentin gefunden. Und ich wusste: Mareike, jetzt oder nie.

Ich habe durchgebissen. Das war nicht immer leicht. Manche Szenen flutschten nur so, andere habe ich mir förmlich aus den Rippen geschnitten. Ich habe von diesem Buch geträumt. Ich habe beim Schreiben geweint. Ich habe mit diesen Figuren gelebt, sie in mein Herz gelassen, mich aufgerieben zwischen dem, was ich jeden Tag tun musste, und dem, was ich tun wollte, nämlich weiterschreiben. Manchmal hatte ich nur zwei, drei Stunden nebe all meinen anderen Pflichten, und ich musste auf Knopfdruck funktionieren. Aber das Gute an dem Weg, den ich gegangen bin, ist: Ich konnte das. Durch das Texten weiß ich, wie man von einer Sekunde auf die andere kreativ ist, durch die Kinder wusste ich, wie man überlebt, ohne zu schlafen. Alles, was ich gelernt und erlebt habe, alles, was ich gelesen und aufgesaugt und erfahren habe, hat sich in mir angesammelt und ich habe es destilliert. Denn auch wenn es zusammengenommen sechs Monate gedauert hat, diesen Roman fertigzustellen, habe ich in Wahrheit zwanzig lange Jahre darauf hingearbeitet. Und das bedeutet im Gegenzug auch: So sehr die Ungeduld mich gequält hat, ich hätte dieses Buch nicht früher schreiben können.

Und nun ist es fertig. Am 5. März 2018 erscheint Dunkelgrün fast schwarz bei der Frankfurter Verlagsanstalt – einem Verlag, den ich schon so lange kenne und schätze. Ich bin wahnsinnig stolz, dass ich mich neben die wunderbaren FVA-Autoren einreihen darf, allen voran Nino Haratischwili und Ruth Cerha, die ich seit Jahren verehre, und ich bin dankbar für die Wertschätzung und den Rückhalt, den ich von Joachim Unseld, Nadya Hartmann und Anne Michaelis erfahren habe. Sie haben sich mit viel Leidenschaft und Fingerspitzengefühl für diesen Roman eingesetzt und mich von Anfang an spüren lassen, dass sie genauso für diese Geschichte brennen wie ich.

IMG_6910Und dann hab ich das Päckchen mit dem Leseexemplar bekommen. Ich hab es aufgemacht und das Buch erst mal nur angeschaut. Ich hatte Gänsehaut. „Hej du“, hab ich mir gedacht, „ich hab mein ganzes Leben auf dich gewartet.“ Und das war nicht einmal übertrieben. Voller Ehrfurcht hab ich es aufgemacht und das schöne Vorsatzpapier gestreichelt, die Seiten vorsichtig umgeblättert, den einen oder anderen Satz gelesen und mich gefreut, ihn da zu finden, an dieser Stelle – in einem echten Buch.

Warum ich euch das alles erzählt habe? Weil ich mir wünsche, dass ihr an euch glaubt. An euer besonderes Talent, an euren Traum. Ganz egal, worin er besteht. Dass ihr, wenn die Angst sich meldet, wenn die Zweifel euch würgen, ruft: Fuck you, fear! Und einfach weitermacht. Weil es niemanden gibt, der euch daran hindern kann, etwas zu erreichen, außer euch selbst. Manchmal kommt man nicht auf direktem Weg dorthin, wo man hinwill, und das macht nichts. Denn jeder längere Weg bringt Erfahrungen mit sich, die euch nützen werden. Und vor allem zeigt jeder zurückgelegte Meter, dass ihr stark seid und mutig. Das neue Jahr wird euch viele neue Chancen bringen. Euch vor Herausforderungen stellen, manche Türen schließen und andere öffnen. Hinter einer davon wartet mein Buch! 😉 Und übrigens: #dreamscometrue #motivation #nevergiveup