Bücherwurmloch

Annabelle Hirsch: Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten

„Im Grunde ist es immer das Gleiche: Was man sich nicht vorstellen kann oder sich nicht vorstellen will, wird man in der Archäologie auch nur schwer finden.“

Das schreibt die deutsch-französische Journalistin Annabelle Hirsch im Kapitel über das Hnefatafl-Spiel und die spektakuläre Entdeckung aus dem Jahr 2017: dass nämlich ein Wikinger-Grab, das wegen der Waffen stets einem Mann zugeschrieben war, in Wirklichkeit das Skelett einer weiblichen Kriegerin enthielt. Und das ist nur ein Beispiel von den exakt einhundert, mit denen Annabelle Hirsch unsere Geschichtsschreibung entlarvt und neu ordnet: In diesem hervorragend recherchierten Buch zeigt sie uns Objekte, die wir kennen, und solche, die wir nie gesehen haben. Bei Ersteren wird klar, dass wir nur geglaubt haben, sie zu kennen, bei den anderen, dass sie uns oft absichtlich vorenthalten wurden. Denn im Patriarchat wird nun einmal alles Männliche aufs Podest gestellt, und das, was wir als weiblich konnotieren, fällt in den Schatten. Aber was gibt es da alles zu entdecken! Was gibt es da alles zu lernen und zu verstehen! Es ist ebenso interessant wie tragisch, und am meisten mag ich Annabelle Hirschs Ton, sie schreibt gewitzt und gleichzeitig ernst, mit einem humorvollen Augenzwinkern und trotzdem absolut seriös. Ich liebe, liebe, liebe dieses Buch und werde es in die Riege der besten Sachbücher aufnehmen, die ich kenne. Ich habe mich wochenlang damit beschäftigt und jeden Abend über zwei bis drei Dinge gelesen. Über die Hungermedaille der Suffragetten und die ägyptische Königin Hatschepsut, über den rechten Arm von George Sand und die Fanoos-Lampe, über den ersten androgyn geschnittenen Mantel aus dem Jahr 1923 und einen Klebezettel der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“. Ich weiß jetzt noch mehr über die Pille, den Ursprung des Worts Feminismus und Aretha Franklin. Ich ziehe meinen Hut vor Annabelle Hirsch, es muss Jahre gedauert haben, alle diese Informationen zusammenzutragen – die ja nicht einfach so zugänglich sind, sondern verschüttet liegen unter Jahrhunderten falscher patriarchaler Gewichtung und gezielter Lügen. Gönnt euch dieses Buch, verschenkt es, lest es, öffnet euren Blick für die Perspektive der Frauen, es wird euch enorm bereichern, faszinieren, erstaunen und begeistern, ich verspreche es.

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