„Ellen war Zigaretten holen gegangen und kam nicht wieder“
Eine Frau hat ein kleines Mädchen und macht zum ersten Mal einen Ausflug über Nacht mit dem Mann, für den sie ihren Partner verlassen hat. Ein Ehepaar will im Ausland ein Kind adoptieren, aber der Vater findet keinen Zugang zu dem Sohn, den er mit nach Norwegen nehmen soll. Eine Frau versteht erst viele Jahre später, dass etwas, das ihr passiert ist, eigentlich eine Vergewaltigung war. Und eine andere Frau kann nicht verwinden, dass ihre Mitbewohnerin eine Beziehung eingeht und aus der gemeinsamen Wohnung auszieht. Die Kurzgeschichten von Marie Aubert sind prägnant, seltsam und genau so, wie ich sie mag: nicht gefällig, ausgezeichnet beobachtet und einen Tick zu früh zu Ende. Ein paar der Ausgangsideen – wie der potenzielle Vater, der damit hadert, ausgerechnet dieses eine Kind adoptieren zu sollen – finde ich sehr originell, auch die verschiedenen Blicke auf Monogamie, Ehe und Affärensituationen haben mir gefallen. Beispielsweise erzählt eine Frau, wie verliebt sie ist in einen Mann, der sich gerade scheiden hat lassen und wie es sich für sie anfühlt, wenn er wegen der Kinder bei seiner Ex-Frau ist.
Marie Aubert hat mich mit ihrem Roman Erwachsene Menschen für sich gewonnen, weil er herrlich bitter und böse war. Diese Erzählungen gingen dem Roman eigentlich voraus und waren ihr literarisches Debüt, mit dem sie sehr erfolgreich war, was mich grübeln lässt, ob das hierzulande so ungeliebte Genre Short Storys, von dem man Debütant:innen in Verlagen ständig abrät, in Skandinavien auf mehr positive Resonanz stößt, wenn es sogar die Karriere einer Autorin begründen kann. Nichtsdestotrotz ist das Lob in meinen Augen verdient, die Kurzgeschichten von Marie Aubert sind überaus flüssig zu lesen, voller ungewöhnlicher Gedanken und kleiner Überraschungsmomente.
Kann ich mit zu dir? von Marie Aubert ist erschienen bei Rowohlt.