Bücherwurmloch

Leif Randt: Allegro Pastell

„Seither hatte er seine innere Persönlichkeit zunehmend im Vorwurfston sprechen gehört“
Tanja hat ein Buch geschrieben, das ihr zu ausreichend Ruhm verholfen hat, Jerome designt Websites. Sie lebt in Berlin, er wohnt im ehemaligen Bungalow seiner Eltern im Maintal. Die beiden sehen sich ab und an, schreiben sich zwischendrin Messages in einem unaufgeregten Rhythmus, denn:

„Jerome und Tanja hatten keine Policies der Informationsvergabe vereinbart.“

Tanja ist Ende zwanzig, Jerome ein wenig älter. Sie gehen gern aus, sie genießen mit einer aufgeräumten Selbstverständlichkeit Drogentrips, Restaurantbesuche, Sex. Sie gehören einer Generation an, die viel über sich nachdenkt, sie haben ein gutes Gefühl für sich selbst, sie wissen, was sie mögen und was nicht, darüber sprechen sie mit Vorliebe. Sie setzen sich in Beziehung zur Welt, vergleichen sich mit anderen und mit dem eigenen Ich von früher.

„Jerome mochte den Gedanken, dass er sich selbst gegebenenfalls unerträglich finden würde, könnte er sich hier in der U4 von außen sehen.“

Die große Liebe ist das zwischen Tanja und Jerome vermutlich nicht, oder sagen wir so: An die große Liebe glauben Tanja und Jerome vermutlich nicht. Es gibt viele mögliche Partner, viele mögliche Lebensentwürfe. Sie wollen sich nicht festlegen. Sie sind ungeduldig, intolerant, sie wollen es mühelos. In dem Moment, in dem etwas nicht reibungslos ist, geben sie den Kontakt auf. Sie verlieren einander, und im Verlieren liegt ein süßer Schmerz, der ebenso kuratiert wirkt wie alles andere. Sie agieren stets verhalten, als stammten alle ihre Gefühle aus der zweiten Reihe.

„Fair wäre gewesen, einfach zu tolerieren, dass andere Menschen andere Bedürfnisse hatten, Tanja hingegen unterstellte denjenigen, die verglichen mit ihr entweder mehr Lust hatten oder deutlich gehemmter waren, ein tiefer liegendes Problem. Als wäre sie, Tanja Arnheim, die einzig emotional gesunde Person auf der Welt.“

Tanja und Jerome sind arrogant. Man möchte ihnen, während man dieses Buch liest, ins Gesicht schlagen, weil sie so nerven. Sie sind zögerlich, weinerlich, von sich überzeugt, bindungsunfähig, weiß, privilegiert. Man hat den Eindruck, dass sie keine Ahnung haben, was wahre Probleme sind. Damit hat Leif Randt geradezu meisterhaft aufgezeigt, wie diese Generation (zum Teil, man kann natürlich nicht pauschalisieren) tickt, wie sie sich selbst sieht. Große Gesten der Liebe gibt es nicht mehr. Stattdessen viel Gleichgültigkeit. Das Leben, Freundschaften, Beziehungen, sind eher etwas, das ihnen zustößt, während sie damit beschäftigt sind, über Entscheidungen nachzudenken, die sie letztlich nicht treffen. In einem ganz eigenen Sound, jeder Satz durchkomponiert bis ins kleinste Detail, erzählt Leif Randt von Menschen, die so auf sich konzentriert sind, dass andere zu reinen Statisten verkommen. Was ihnen hinterher bleibt, ist Reue. Aber auch die ist ihnen letztlich gleichgültig.

„Es stimmte schon, sie war selten hingerissen von Werken bildender oder darstellender Kunst, und von Literatur schon gar nicht. Aber sie sah darin kein Problem, im Gegenteil, es beruhigte sie viel eher, dass nichts wirklich toll war. Das wirklich gelungene Artefakt – vielleicht ein Video, wahrscheinlich ein Buch –, das würde sie, Tanja, eines Tages selbst herstellen.“

Allegro Pastell von Leif Randt ist erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

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