Bücherwurmloch

Kübra Gümüşay: Sprache und Sein

„Irgendwo dazwischen – zwischen Sprache und Sein – sind Sie gefangen“

Kübra Gümüşay trägt ein Kopftuch. Sie ist Muslimin. Sie ist jeden Tag der Diskriminierung ausgesetzt, von der wir nur theoretisch wissen, die die meisten von uns nie persönlich erleben.

„Kaum ein Missstand ist plötzlich da. Meist bahnt er sich an, über Jahre. Nicht alle sehen Gräben, die er durch unsere Gesellschaft zieht, denn häufig geschieht das an Orten, die Privilegierte nicht erleben, so dass sie Probleme erst erkennen, wenn sie selbst betroffen sind. Die Erfahrungen der anderen, ihr Wissen, ist weniger wert.“

Jetzt hat Kübra Gümüşay, die sich mit Feminismus, Rassismus und Netzkultur auseinandersetzt, ein kluges, sinnvolles, wichtiges Buch über Sprache geschrieben. Über Sprache in Bezug auf Minderheiten, auf Frauen, auf Andersgläubige, auf Geflüchtete und all jene, die im Kreuzfeuer der Medien stehen.

„Menschen so zu bezeichnen, wie sie bezeichnet werden wollen, ist keine Frage von Höflichkeit, auch kein Symbol politischer Korrektheit oder einer progressiven Haltung – es ist einfach eine Frage des menschlichen Anstands.“

Mich hat Sprache und Sein in erster Linie daran erinnert, warum ich vor 18 Jahren Linguistik studiert habe. Wieso ich mich mit Sprache in der Politik und in der Werbung beschäftigt habe, weshalb mich Sprachwandel und Etymologie so fasziniert haben. Weil Sprache unendlich mächtig ist. Ich wollte alles lernen über dieses Mittel, uns auszudrücken, einander anzunähern und einander auszugrenzen.

„Sprache kann auch ein Werkzeug sein. Sie kann uns in der Dunkelheit der Nacht die helle Reflexion des Mondlichtes sehen lassen. Sprache kann unsere Welt begrenzen – aber auch unendlich weit öffnen.“

Überrascht hat mich an diesem Buch, dass es so freundlich und friedvoll ist. Kübra Gümüşay hat nicht zugelassen, dass der Hass, der ihr entgegenschlägt, in ihr wurzelt. Sie hat übersichtlich dargestellt, woher die Probleme rühren, sie argumentiert und entwaffnet und dann bietet sie Lösungen. Sie schreibt nicht wütend, nicht emotional, sie bleibt sachlich und hoffnungsvoll. Das hat mich beeindruckt, denn ich bin nicht hoffnungsvoll. Der Haken an der Sache ist jedoch: Dieses Buch werden nur Menschen lesen, die ohnehin sensibel sind. Menschen wie ich, die viel über Sprache wissen. Menschen, die schon auf einem guten Weg sind und es noch besser machen möchten. Es wird jene nicht erreichen, auf die es eigentlich ankäme: jene, die den Hass pflanzen und schüren, die schreiende Headlines schreiben, die anderen verbale Gewalt antun. Sie sind es, die Kübra Gümüşays Worte lesen sollten. Die ihren Verstand öffnen sollten und ihr Herz. Damit der Hass endlich nicht mehr Normalität ist.

Sprache und Sein von Kübra Gümüşay ist erschienen bei Hanser.

 

 

 

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