Gut und sättigend: 3 Sterne

Interessante Einblicke in grausige Taten
Von einem Arzt erzählt Ferdinand von Schirach, der seine Gattin mit einer Axt im Keller zerhackt. Von einer jungen Frau, die ihren Bruder in der Badewanne ertränkt. Und von neun anderen Menschen, die aus Eifersucht, aus Rache, aus Neid ein Verbrechen, einen Mord begangen haben. Kurz und klar sind die Geschichten, kein Wort ist zu viel, aber auch keines zu wenig. In einer sehr reduzierten Prosa berichtet der Berliner Anwalt und Strafverteidiger von elf Fällen aus seiner beruflichen Erfahrung. Und bastelt daraus ein kleines Büchlein, das man schnell gelesen hat, aber lange nicht vergisst.

In einer gelungenen Mischung aus Fakten und Fantasie lässt Ferdinand von Schirach die Ereignisse lebendig werden, die zu einem Mord oder einem Überfall geführt haben. Und obwohl er Dinge, Menschen, Gefühle und Umstände beschreibt, von denen er nichts wissen kann, glaubt man ihm als Leser, dass es sich genau so zugetragen hat. Die Fälle, so heißt es, sind wahr. Und Schirachs Buch hat eine regelrechte Begeisterungswelle ausgelöst: Er befriedigt damit auf literarische Weise die stets vorhandene Sensationsgeilheit der Menschen. Verbrechen vermittelt einen Einblick in das Innenleben von Straftätern und man darf sich als Leser ohne Scham wie ein Voyeur fühlen. Wer etwas getan hat, steht weniger im Vordergrund als das Motiv: Warum ist dieser Mord geschehen, was hat dazu geführt? Trotz urteilsfreier Teilnahmslosigkeit scheint der Strafverteidiger in jede Geschichte eine Prise Verständnis einzustreuen: Hier hat jemand etwas verbrochen, aber eigentlich hatte er doch keine andere Wahl …

Verbrechen zu lesen, ist ein bisschen wie eine dieser Fernsehsendungen à la “Autopsie” anzuschauen – nur viel niveauvoller. Nicht jeder Täter ist einfach nur böse und muss bestraft werden. Vielmehr arbeitet Ferdinand von Schirach in einem klugen Balanceakt heraus, was wir alle längst wissen: dass es nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch noch sehr viel Grau gibt im Leben. Er hat eine Ahnung von dem, was er beschreibt, er bringt die blutigen Details zu Papier, lässt Menschen den Verstand verlieren und Gewalt hervorbrechen wie ein Sommergewitter. Es wundert mich nicht, dass dieses Buch so viele positive Reaktionen bekommen hat: Es ist gut geschrieben, es ist interessant und man gruselt sich so schön.

Gut und sättigend: 3 Sterne

Herrlich böse
Krissie ist Sozialarbeiterin – und eine Schlampe. Sie geht mit jedem ins Bett, der ihr auch nur ansatzweise gefällt. Das führt dazu, dass Krissie von einem Teneriffa-Urlaub mit einem Embryo im Bauch zurückkommt, der beim Toilettensex mit einem Fremden entstanden ist. Krissie ist geschockt, aber noch mehr trifft die plötzliche Schwangerschaft ihre beste Freundin Sarah: Sie versucht schon seit Jahren, mit ihrem Mann, dem gutaussehenden Arzt Kyle, ein Baby zu bekommen. Mittlerweile ist Sarah von ihren Eierstöcken besessen und die Ehe am Ende. Als Baby Robbie geboren wird, ist Krissie heillos überfordert: Nichts klappt, wie es soll, und sie erlebt nun von der anderen Seite, was es bedeutet, wenn das Jugendamt auf eine Mutter aufmerksam wird. Zur Ablenkung und Erholung beschließen Sarah, Kyle und Krissie, gemeinsam durch Schottlands Berge zu wandern. Was wie eine gute Idee klingt, wird jedoch zum mörderischen Reinfall: Nicht alle werden lebend von diesem Ausflug zurückkehren …

Ich muss gestehen, dass ich von selbst nie zu Dead Lovely gegriffen hätte, mir das Buch aber habe empfehlen lassen. Ich bin kein großer Fan von Suspense – weil es in den meisten Fällen, seien wir ehrlich, nicht gut gemacht ist. Ganz anders bei Helen Fitzgerald: Sie erzählt mit Witz und Tempo. Gleich zu Beginn stattet sie ihre Charaktere mit einer gehörigen Portion Frust, Neid und unterdrückter Wut aus – um diese explosive Mischung dann im geeigneten Moment hochgehen zu lassen. Dann, wenn es dunkel ist, und keiner die Schreie hört, natürlich. Eifersucht, Misstrauen und unerfüllte Wünsche zermürben die drei Protagonisten und treiben sie zum Äußersten. Zwar ist der Perspektivenwechsel für mich gewöhnungsbedürftig – Krissie erzählt meistens in der Ich-Form, aber nicht immer – aber verkraftbar, da sich am Ende alles zusammenfügt. Die Autorin hat ein rasantes und sehr amüsantes Buch hingelegt, das alle Erwartungen an einen spannenden Roman erfüllt und es trotzdem noch schafft, nicht allzu vorhersehbar zu sein. Ein Schwachpunkt ist in meinen Augen der Grund für die Ereignisse, der hätte weniger klischeehaft und origineller ausfallen müssen. Dennoch bietet Dead Lovely, das auf Deutsch unter dem Titel Furchtbar lieb erschienen ist, gute Unterhaltung – und legt einem beim Lesen ins Gesicht, was man auf Englisch “smirk” nennt.