Außer Konkurrenz, Gut und sättigend: 3 Sterne

IMG_8947„Besonders erregend ist das Küssen in der Schlange der Zahnklinik“
Ich rede oft und viel über Sex. Ich bin absolut schamlos und ziemlich tabubefreit. Man könnte auch sagen, ich sei vulgär. Aber: Ich lese nie über Sex. Keine erotische Literatur – zumindest nicht absichtlich und bewusst, es kann natürlich sein, dass in einem Buch mal gevögelt wird. Dann fand ich allerdings den Titel von Marinotschka, du bist so zärtlich irgendwie cool. Und hab mir gedacht: Warum nicht, probierst du eben mal was Neues aus. Jetzt ist es so, dass ich das Buch gelesen habe. Und ja, es geht um Sex. Es geht sogar ausschließlich um Sex. Bloß gibt es keine zusammenhängende Geschichte – und deshalb fällt’s mir eher schwer, euch Bericht zu erstatten über den Inhalt. Und immer, wenn das der Fall ist, lasse ich das Buch selbst sprechen. Aber eins noch vorweg: Die russische Autorin Marina Lioubaskina schreibt witzig, rührend und einigermaßen tabulos, völlig bunt zusammengewürfelt; sie unterbricht die Erzählfragmente immer und immer wieder, um Lyrische Exkurse – L. E. genannt – einzufügen, und hat stets einen sarkastischen Unterton. Ich hab nicht die geringste Ahnung, was sie mir mit all dem sagen will. Vielleicht einfach nur, dass es Sex gibt auf dieser Welt – und dass der eben manchmal gut und manchmal schlecht ist. Das klingt dann so:

„Er hat mich mit der Peitsche geschlagen, obwohl wir das nicht vereinbart hatten. Ich bin nicht masochistisch veranlagt. Na, vielleicht ein ganz kleines bisschen. Aber das heißt noch lange nicht, dass irgendein Dahergelaufener sich einfach so erlauben kann, mich mit der Peitsche zu bearbeiten. Elender Mistkerl, blödes fettes Schwein!“

„Nastja, du hast recht, wenn man die Härchen um die Brustwarzen herum ausreißt, statt sie abzurasieren, kommen sie nicht so schnell wieder.“

„Paschka vögelte mich immer in fremden Wohnungen, auf fremden Betten, fremden Sofas, Klappsesseln, ausziehbaren Couches, bezogen mit bereits benutzter Bettwäsche, manchmal einfach auf dem Boden, auf einem staubigen, mit Krümeln übersäten Teppich. Im Sozialismus war das so üblich.“

„Drängen und Dringen in mich hinein, sein Finger holt die Feuchtigkeit aus meinem Inneren hervor und tränkt mit dieser Feuchtigkeit den erregten zentralen Punkt meiner weiblichen Existenz, Wogen, Wogen bis zur Erschöpfung, meine Hand weicht zurück und dringt voller Kraft, mit der gesamten Handfläche zur feuchten Quelle vor, gleitet durch die Spalte der nachgebenden Felsen-Beine, mehr! mehr! mehr! MEHR! MEHR! MEHR! MEHR! MEHR!“

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Marinotschka, du bist so zärtlich von Marina Lioubaskina ist erschienen im konkursbuch Verlag (ISBN 978-3-88769-676-4, 256 Seiten, 14,90 Euro).

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Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

IMG_8463„Vielleicht kann man sich an jeden gewöhnen und ihn dafür lieben, dass er einen erträgt“
„Dieses Konzept der Ehe darf man doch mal überdenken, oder? Was spricht dagegen, dass die Person, mit der ich nicht verwandt bin, ein wenig Spaß hat? Gehört sie mir, weil wir ein Papier unterschrieben haben? (…) Bedeutet die Ehe nicht zwangsläufig das Ende aller Gefühle?“ Das fragt sich der gescheiterte Theaterregisseur Rasmus, und zwar aus einem konkreten Grund: weil seine Frau Chloe einen anderen fickt. Die beiden sind schon lange ein Paar, zusammengewachsen, aneinandergeklebt, symbiotisch. Der Sex zwischen ihnen war nie gut, weil Chloe zu den Frauen gehört, die nicht sagen können, was sie im Bett wollen – zumal sie es auch gar nicht so genau wissen. Rasmus fühlt sich seiner schönen Frau unterlegen, und aus Angst, ihr nicht zu genügen, kann er genau das eben nicht. Unter Drogeneinfluss erlebt Chloe eine Massage mit Happy End und verwechselt in ihrem ausgehungerten Zustand den chemischen Hormonrausch mit Verliebtheit. Dass es keine ist, kann sie natürlich erst herausfinden, wenn sie oft genug mit dem langhaarigen Masseur gevögelt hat. Das tut sie auch. Zuhause in ihrer Wohnung. Mit dem desperaten Rasmus daneben, der immer mehr verkümmert: „Ich habe angefangen zu onanieren. Das war mir immer ein Trost, es lenkt mich ab, stellt ein Gefühl her, wo Leere ist. Ich onaniere und denke an Chloe, und das leise Wimmern wird immer mehr zu einem Schluchzen. Etwas Erbärmlicheres als ein Mann, der sich bei der Vorstellung der Frau, die ihn nicht will, einen runterholt, fällt mir nicht ein.“

„Der Mensch ist für die Monogamie nicht geschaffen“, sagt meine Freundin immer. Ist ja quasi wider die Natur! Aber was tun, wenn man dann eben mal verheiratet ist und gefangen in den Zwängen von Gesellschaft und Moral? Sybille Berg hat eine Ehe auf den OP-Tisch gewuchtet und seziert sie mit chirurgischer Genauigkeit, ohne Narkose. Ihre beiden Protagonisten legen abwechselnd ihre Sicht der Dinge dar: das berufliche Scheitern von Rasmus, die mangelnde Leidenschaft, die Eifersucht. Schicht um Schicht entblättert und entblößt die deutsche Autorin einen Mann und eine Frau, zeigt ihre Triebe, ihre Ängste, ihre Sehnsüchte, ihre Körperlichkeit. Ich habe nie zuvor etwas von Sybille Berg gelesen, aber mir war freilich bekannt, dass sie sehr spitz, pointiert und klug schreibt – und dass sie polarisiert. Das hat sich für mich mit ihrem jüngsten Roman bestätigt, der obendrein herrlich sarkastisch ist. Jeder, der schon eine längere Beziehung geführt hat, wird sich darin wiederfinden. Garantiert! Selbst wenn er es sich vielleicht nicht eingestehen will. Ein großartiges, schonungsloses, unbedingt zu lesendes Buch!

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Der Tag, an dem meine Frau einen Mann fand von Sibylle Berg ist erschienen bei den Hanser Literaturverlagen (ISBN  978-3-446-24760-4, 256 Seiten, 20,50 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Begeistert hat mich dieses Buch durch seine unglaubliche Wucht der Sprache. Klar, präzise, hemmungs-, scham- und schonungslos. Sibylle Berg muss sich nicht erst warmlaufen, sie langt sofort mit der Faust dorthin, wo es weh tut“, schreibt Sonja von lustzulesen.de.
– „Denn die Romane von Sibylle Berg muss man aushalten können! Ihre Figuren fragen sich beständig, warum das Leben so ist, wie es ist, und welchen Sinn das Ganze hat. Man könnte es sich auf dieser Welt schließlich so schön machen – aber man macht es nicht“, erklärt Wolfgang Tischer auf literaturcafe.de.
– Und hier könnt ihr euch den sehr amüsanten Trailer zum Buch anschauen.