Bücherwurmloch

IMG_45761. Ich bin zuständig. Und zwar für: gesunde Kindergartenjause, vollgekackte Windeln, sauberes Gewand, Rotznasen, Schnittwunden, Hunger, saubere Haut, Gute-Nacht-Geschichten, Höhlen aus Decken und Polstern, verrückte Plastilinfiguren, saubere Zähne, Huuunger, Spielplatzdates und, und, und.

2. Wenn ich nicht zuständig bin, muss ich arbeiten. Das sind die Tage, an denen ich niemanden tragen muss und allein aufs Klo gehen kann. Dafür warten Kundentermine, Brainstormings, Headlines, Imagefolder, Websites und Manuskripte.

3. Dazwischen muss ich einkaufen, Wäsche waschen, putzen, aufräumen, kochen, bügeln, einen Weg durchs Spielezimmer bahnen, bügeln, noch mehr aufräumen, Freunde trösten, Freunde treffen, Geschenke besorgen und meiner Mama am Telefon zuhören.

4. Die Ausführungen von eins bis drei zeigen: Ich habe keine Zeit. Und zwar nicht so wie früher, als man das halt so gesagt (und auch gedacht) hat. Sondern wirklich nicht. Ich muss manchmal so viel erledigen und es wurlt derart in meinem Kopf, dass es TILT macht und mein Körper wie erstarrt stehenbleibt, weil er nicht weiß, wo er anfangen soll. Hätte ich einen Mamablog, könnte ich über eins bis drei schreiben und euch Geschichten erzählen wie jene, dass sich Kind 2 gestern in den Obstsalat gesetzt hat. Aber nein! Es mussten ja Bücher sein.

4. Kleine Kinder sind laut. Und anstrengend. Und fordernd. Ich stehle mir die Zeit zum Lesen, zwacke sie minutenweise ab, mittags mal 30 Minuten, abends noch schnell eine Stunde. Meine Zwerge schlafen leider beschissen schlecht, und Kind 2 steht abends gern bis zu 17 Mal auf, bis endlich Ruhe ist. Ein Leseabend auf der Couch: Fehlanzeige. Bloggen: ebenso.

5. Ich kann keine Lesungen besuchen, nicht zu Autorentreffen in andere Städte reisen und heuer auch nicht auf eine zweite Buchmesse fahren: Der logistische (und finanzielle) Aufwand ist einfach zu groß. Deshalb bin ich mit meinem Blog weniger präsent, schlechter vernetzt und kann all diese Inhalte auch nicht anbieten.

6. Ich kann keine Artikel schreiben, die viel Rechercheaufwand verlangen, keine Interviews machen, in die ich viel Zeit investieren muss, mich nicht übermäßig an den Facebook-Bloggergruppen oder an Booksentence beteiligen. Ich kann mich nicht als Buchpreis-Blogger anbieten, keine Debatten führen und keine Themen aufgreifen, die die Branche bewegen – mir fehlen schlicht und ergreifend die Kapazitäten. All das verlinke ich maximal auf Facebook und schiele neidisch zu meinen Bloggerkollegen, die um ein Vielfaches engagierter sind als ich.

7. Unter dem Zeitmangel leidet die Qualität. Ich lasse Kind 2 manchmal eine halbe Stunde Barbapapas schauen, um eine Besprechung schreiben zu können. Oder ich nutze den Leerlauf zwischen zwei Terminen in meinem Büro. Ich muss dabei sehr effizient sein und wahnsinnig schnell. Ich habe keine Zeit, um zweimal über eine Formulierung nachzudenken oder nochmal an allem zu feilen. So, wie es rauskommt, so steht es dann da. In einem Mamablog wäre das witzig. Bei Büchern ist es das nicht.

Aber: Ich liebe nun mal Bücher. Es hilft nix. Ich will bloggen. Deshalb ist es nur fast unmöglich, aber nicht ganz. Ich mache es möglich, irgendwie. Und: Es wird besser werden. Irgendwann werden beide in den Kindergarten gehen, später selbst lesen können und sich bei Bedarf was aus dem Kühlschrank nehmen. Bis dahin halte ich einfach durch. Und wische Obstsalat vom nackten Popsch.

Gut und sättigend: 3 Sterne

„I live in a strange place in the world. I live in the space in between people”
Budo ist ein erfundener Freund, und er ist schon seit fünf Jahren am Leben. Das ist ein hohes Alter in der Welt der imaginären Freunde, von denen manche nur ein paar Tage oder Wochen leben – solange sie eben von dem Kind benötigt werden, das sich den Freund erdacht hat. Budo ist der Freund von Max, und der braucht ihn sehr. Denn das Leben ist ein bisschen schwierig für Max, weil er mit Menschen nicht gut umgehen kann, weil er sie oft nicht versteht und spezielle Lernhilfen braucht. Und weil niemand ihn mag. Budo hatte das Glück, dass Max ihn sich wie einen Menschen vorgestellt hat, denn oft sehen die imaginären Freunde aus wie ein Kuscheltier oder ein Löffel, und ihnen fehlen wichtige Gliedmaßen. Inzwischen kennt er sich aus in der Welt der Menschen und weiß, dass nur Max ihn sehen und hören kann. Das stört ihn für gewöhnlich nicht, doch es wird zum Problem, als Max in große Gefahr gerät und nur Budo weiß, was ihm zugestoßen ist. Denn er kann es niemandem sagen und muss seinen ganzen Grips aufwenden, um Max zu helfen …

Matthew Green hat eine sehr traurige, abenteuerliche und amüsante Geschichte über einen kleinen Jungen geschrieben, den es gar nicht gibt. Budo kann die Welt nur betrachten und nicht an ihren Geschehnissen teilhaben. Anfangs verstand er nicht, warum niemand mit ihm sprach, wünschte sich liebevolle Eltern und hatte Angst davor, wieder zu verschwinden, sobald Max ihn nicht mehr brauchen würde. Was er mittlerweile über das Leben als imaginärer Freund weiß, gibt er an Kollegen weiter, wenn er zufällig welche trifft, damit sie nicht so einsam sind. Budo ist klüger als Max und hilft ihm durch den Alltag, der für Max so viele Hürden hat. Max‘ Eltern sind oft überfordert, weil sie gern einen normalen Jungen hätten und nicht wissen, wie sie Max unterstützen können. Er mag keine Berührungen und ist in allem ein bisschen langsamer als die anderen. Deshalb wird er zum Ziel von Gewalt – und nur Budo kann ihn retten, muss dafür jedoch ein großes Opfer bringen.

Matthew Green hat sich sehr bemüht, mit der Stimme eines Jungen zu erzählen und dabei glaubwürdig zu sein. Das ist ihm so gut gelungen, dass mir der Roman zum Großteil zu kindlich ist. Die Sätze sind extrem einfach, es gibt sehr viele Wiederholungen, und auch wenn es nur logisch ist, dass der Autor sich an das Niveau eines Kindes halten muss, ist das für mich bei der Lektüre ganz einfach zu wenig Herausforderung. Budo bringt mich zum Lächeln, und seine Geschichte ist rührend, wäre aber vom Inhalt her im Kinderbuchsektor besser aufgehoben gewesen. Sehr nett und märchenhaft, aber trotzdem unglaubwürdig ist zudem, dass Max mit Budos Hilfe vom lernschwachen Jungen zum mutigen Superheld wird, was dem Buch ein actionreiches Ende beschert und Spaß beim Lesen macht, aber auch ein wenig dämlich ist. Natürlich konnte ich nicht anders, als Max und Budo ins Herz zu schließen, weil sie so unbedarft, chaotisch und liebesbedürftig daherkommen. Gekauft habe ich das Buch wegen des tollen Titels und weil der Klappentext den Autor mit Mark Haddon und Emma Donoghue vergleicht. An beide reicht er jedoch nicht heran.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
mir gefällt die Schrift, ansonsten finde ich das Cover langweilig.
… fürs Hirn: die Kraft der Fantasie – und der schöne Blickwinkel, der sich durch die Erzählung eines imaginären Kindes ergibt.
… fürs Herz: die ganze Geschichte ist herzerwärmend.
… fürs Gedächtnis: wie liebevoll der Autor mit seinen kleinen Figuren umgegangen ist.