Gut und sättigend: 3 Sterne

LevineEine verbotene Freundschaft in Zeiten der Rassentrennung
Die 12-jährige Marlee ist nicht stumm, redet aber so gut wie nichts: In der Schule schweigt sie, gibt keine Antworten, auch wenn sie alles weiß, und sogar ihrer Familie gegenüber äußert sie sich einsilbig. Das ändert sich langsam, als ein neues Mädchen an die Schule kommt und Marlee aus der Reserve lockt: Liz wird ihre erste richtige Freundin. Dass der Unterricht überhaupt stattfindet, ist ein kleines Wunder, denn in diesem Herbst 1958 kämpfen in Little Rock, Arkansas, zwei Parteien gegeneinander: die „segregationists“, die für die Rassentrennung sind, und die „integrationists“, die den Schwarzen mehr Rechte einräumen würden. Die „black people“ dürfen immerhin schon im selben Bus fahren wie die „white people“, doch als 1957 neun schwarze Jugendliche die Highschool besuchen wollten, gab es einen gewalttätigen Aufstand. Die Schule von Marlees Schwester Judy ist geschlossen, sie wird zur Großmutter geschickt, und Marlee verliert ihre Verbündete. Umso mehr klammert sie sich an Liz – die jedoch plötzlich aus der Schule verschwindet. Ein überraschendes Geheimnis wird gelüftet: Liz ist eine sehr hellhäutige Schwarze, die durch ihren Schwindel nicht nur ihren Platz an der Schule verliert, sondern in Lebensgefahr gerät. Auch Marlees Familie wird von hasserfüllten Weißen bedroht. Und während sich die Gemüter immer weiter erhitzen, weigern zwei kleine Mädchen sich, die Rassengesetze hinzunehmen. Marlee ist zwar schüchtern – aber sehr mutig.

Kristin Levine, deren Familie aus der Nähe von Little Rock stammt, hat ein historisches Ereignis – die Geschichte der „Little Rock Nine“ – zum Hintergrund ihres fiktionalen Romans gemacht. Ein Buch mit einem kindlich-jugendlichen Protagonisten zu lesen, ist für mich jedes Mal ein Wagnis, zu oft empfinde ich die Charaktere als altklug und künstlich auf erwachsen getrimmt. Im vorliegenden Fall hat die Autorin einen passenden jungen Erzählton gewählt, der The lions of Little Rock einen Jugendbuch-Touch verleiht. Die Probleme, mit denen der Roman sich befasst, sind aber alles andere als kindisch: Wir schreiben das Jahr 1958, schwarze Mitmenschen gelten immer noch als Menschen zweiter Klasse, die Hausangestellte von Marlees Eltern darf bei der Arbeit nicht einmal ein Glas Wasser trinken. Wer schwarz ist oder sich mit Afroamerikanern öffentlich zeigt, wird angefeindet. Marlee sieht sich Hass und Gewalt gegenüber, aber sie ist nicht gewillt, ihre Freundschaft zu Liz aufzugeben. Zwar finde ich die Story an manchen Stellen ein wenig pathetisch, doch ich kann mir durchaus vorstellen, dass es vielleicht genau so war – dass vereinzelt Menschen und Familien Widerstand leisteten, dass sie sich verbündeten, aus persönlichen Gründen heraus, um für Gerechtigkeit einzustehen. Dafür ist The lions of Little Rock ein wunderbares, liebevoll erzähltes Beispiel.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
das Cover ist schrecklich, es lässt das Buch wie eine Schmonzette wirken, die es nicht ist.
… fürs Hirn: das Wissen, dass all dies genau so geschehen ist, dass viele Menschen gestorben sind im Kampf um die Gleichberechtigung zwischen Schwarz und Weiß. Die Wikipedia-Darstellung der Geschichte der “Little Rock Nine” könnt ihr hier nachlesen.
… fürs Herz: natürlich Marlee und Liz.
… fürs Gedächtnis: dieser Teil der amerikanischen Geschichte.

Gut und sättigend: 3 Sterne

„I live in a strange place in the world. I live in the space in between people”
Budo ist ein erfundener Freund, und er ist schon seit fünf Jahren am Leben. Das ist ein hohes Alter in der Welt der imaginären Freunde, von denen manche nur ein paar Tage oder Wochen leben – solange sie eben von dem Kind benötigt werden, das sich den Freund erdacht hat. Budo ist der Freund von Max, und der braucht ihn sehr. Denn das Leben ist ein bisschen schwierig für Max, weil er mit Menschen nicht gut umgehen kann, weil er sie oft nicht versteht und spezielle Lernhilfen braucht. Und weil niemand ihn mag. Budo hatte das Glück, dass Max ihn sich wie einen Menschen vorgestellt hat, denn oft sehen die imaginären Freunde aus wie ein Kuscheltier oder ein Löffel, und ihnen fehlen wichtige Gliedmaßen. Inzwischen kennt er sich aus in der Welt der Menschen und weiß, dass nur Max ihn sehen und hören kann. Das stört ihn für gewöhnlich nicht, doch es wird zum Problem, als Max in große Gefahr gerät und nur Budo weiß, was ihm zugestoßen ist. Denn er kann es niemandem sagen und muss seinen ganzen Grips aufwenden, um Max zu helfen …

Matthew Green hat eine sehr traurige, abenteuerliche und amüsante Geschichte über einen kleinen Jungen geschrieben, den es gar nicht gibt. Budo kann die Welt nur betrachten und nicht an ihren Geschehnissen teilhaben. Anfangs verstand er nicht, warum niemand mit ihm sprach, wünschte sich liebevolle Eltern und hatte Angst davor, wieder zu verschwinden, sobald Max ihn nicht mehr brauchen würde. Was er mittlerweile über das Leben als imaginärer Freund weiß, gibt er an Kollegen weiter, wenn er zufällig welche trifft, damit sie nicht so einsam sind. Budo ist klüger als Max und hilft ihm durch den Alltag, der für Max so viele Hürden hat. Max‘ Eltern sind oft überfordert, weil sie gern einen normalen Jungen hätten und nicht wissen, wie sie Max unterstützen können. Er mag keine Berührungen und ist in allem ein bisschen langsamer als die anderen. Deshalb wird er zum Ziel von Gewalt – und nur Budo kann ihn retten, muss dafür jedoch ein großes Opfer bringen.

Matthew Green hat sich sehr bemüht, mit der Stimme eines Jungen zu erzählen und dabei glaubwürdig zu sein. Das ist ihm so gut gelungen, dass mir der Roman zum Großteil zu kindlich ist. Die Sätze sind extrem einfach, es gibt sehr viele Wiederholungen, und auch wenn es nur logisch ist, dass der Autor sich an das Niveau eines Kindes halten muss, ist das für mich bei der Lektüre ganz einfach zu wenig Herausforderung. Budo bringt mich zum Lächeln, und seine Geschichte ist rührend, wäre aber vom Inhalt her im Kinderbuchsektor besser aufgehoben gewesen. Sehr nett und märchenhaft, aber trotzdem unglaubwürdig ist zudem, dass Max mit Budos Hilfe vom lernschwachen Jungen zum mutigen Superheld wird, was dem Buch ein actionreiches Ende beschert und Spaß beim Lesen macht, aber auch ein wenig dämlich ist. Natürlich konnte ich nicht anders, als Max und Budo ins Herz zu schließen, weil sie so unbedarft, chaotisch und liebesbedürftig daherkommen. Gekauft habe ich das Buch wegen des tollen Titels und weil der Klappentext den Autor mit Mark Haddon und Emma Donoghue vergleicht. An beide reicht er jedoch nicht heran.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
mir gefällt die Schrift, ansonsten finde ich das Cover langweilig.
… fürs Hirn: die Kraft der Fantasie – und der schöne Blickwinkel, der sich durch die Erzählung eines imaginären Kindes ergibt.
… fürs Herz: die ganze Geschichte ist herzerwärmend.
… fürs Gedächtnis: wie liebevoll der Autor mit seinen kleinen Figuren umgegangen ist.