Lieblingsfutter

image002_swDaniela Weichenberger, Jahrgang 1976, freiberufliche Werbegrafikerin in Mondsee

Der Schwarm von Frank Schätzing ist eines meiner Lieblingsbücher, weil es ein spannender und vor allem interessanter, exzellent recherchierter Ökothriller ist, der einen durchaus zum Nachdenken bringt, was das Thema Umgang mit unserem schönen Planeten angeht und die Auswirkungen unseres Handelns darauf. Es ist schon einige Jahre her, dass ich es gelesen habe – und seitdem sind einige Dinge (Naturkatastrophen, Vulkanausbrüche etc.) auf der Welt passiert, die mich immer wieder an dieses Buch erinnert haben und an die Frage, ob sich unsere kostbare Natur nicht irgendwann an uns Menschen rächen wird – oder es sogar schon tut, wie man an der Klimaerwärmung, verheerenden Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüchen sehen kann.

Empfehlen möchte ich es jedem, dem die Natur am Herzen liegt und den die Ökothematik interessiert – verpackt in einen spannenden Thriller. Viel Wissenswertes in dem Buch, das einen auch schwer zum Nachdenken bringt, was den Kreislauf Mensch/Natur angeht. Es ist sehr spannend – hat aber auch seine Längen …. was bei gut 1000 Seiten (!) kein Wunder ist – es zahlt sich aber aus, es zu lesen. Eine gute Mischung aus Spannung und Belehrung … und der langsam aufkommende Grusel, dass es aufgrund einiger Naturereignisse eine globale Katastrophe geben könnte (mit dem Bewusstsein, dass so etwas durchaus real werden kann …. das Buch ist ziemlich zeitgleich zu der Zeit erschienen, als der grauenvolle Tsunami 2004 Thailand verwüstete …!) macht einen guten Mix. Das Ende finde ich etwas hollywood-like …

Wenn ich lese, dann bin ich in einer anderen Welt, ich versinke ganz in der Geschichte und kann die Hektik des Alltags total vergessen. Ein Leben ohne Bücher könnte ich mir gar nicht vorstellen. Ich lese wahnsinnig gerne und ich lese mich auch gerne durch verschiedene Genres. Egal, ob ich die Bücher durch Tipps von Freunden, Stöbern auf demFlohmarkt oder durch Suche/Recherche bei Amazon, Thalia und Co. entdecke – das Stöbern und Reinlesen in Buchgeschäften gehört schon zum Lesevergnügen dazu … und es ist eine Freude, meine “Schätze” dann zuhause ins Bücherregal einzusortieren und in eins nach dem anderen regelrecht zu versinken. Wenn ich ein Buch in der Hand hab, dann kann ich es nur schwer weglegen. Von mir aus darf es auch gern richtig viele Seiten haben – denn wenn ich in einer Geschichte mal “drin” bin, dann soll es bitte so lang wie möglich dauern. Wichtig ist mir, dass es einen guten Schreibstil und Spannung hat. Ich mag auch schwarzen Humor oder die Abgründe der Psyche. Nicht viel anfangen kann ich mit wahnsinnig kompliziert geschriebenen Büchern – ich will mich in die Geschichte fallen lassen und nicht jeden Satz dreimal lesen müssen, um ihn zu verstehen, weil er so hochtrabend formuliert ist.

Der Schwarm von Frank Schätzing ist 2004 bei Kiepenheuer und Witsch erschienen und auch im Taschenbuch erhältlich.

Und was ist dein Lieblingsfutter? Wer mitmachen möchte, schickt seine Antworten auf die Fragen oben an office_at_mareikefallwickl.at.

Nicht mein Geschmack

Nix1Fast ein Jahr lang ist in der Kategorie “Nicht mein Geschmack” nichts erschienen. Und ich hab mich auch absolut an meinen Plan gehalten, euch mehr Gold und weniger Schrott zu präsentieren. Welche Bücher es 2014 nicht in den Blog geschafft haben, verrate ich euch Ende des Jahres. In der Zwischenzeit könnt ihr hier ein paar Bilder von Romanen sehen, die mir nicht im Geringsten gefallen haben – und zwar so dermaßen gar nicht, dass ich nicht einmal etwas dazu zu sagen habe. Sie haben micht gelangweilt, konnten mich nicht erreichen, waren mir sprachlich zu exaltiert oder inhaltlich zu bedeutungslos. Dabei handelt es sich durchaus um Werke, die mit viel Lob bedacht wurden und die zum Teil ziemlich bekannt sind. Wie ist das bei euch, kennt ihr eins dieser Bücher? Fandet ihr es auch enttäuschend oder, ganz im Gegenteil, herausragend gut? Und warum? Ich bin gespannt auf eure Meinungen!

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Gut und sättigend: 3 Sterne

KlarIm Wald, im Wald ist’s dunkel und kalt
Da ist ein Wald. Neben dem Wald ist ein Haus. Und in dem Haus ist etwas passiert. In dem Haus war Blut, und in der Garage hat das Fahrrad gefehlt, und dann gab es Geschrei und Schuldzuweisungen. Deshalb wohnt die Pflegetochter Lisa jetzt im Heim. Sie ist möglicherweise verrückt, irgendwie anders, keiner will etwas zu tun haben mit ihr. Den Wald, den gibt es noch. Das Haus, das steht noch daneben. In dem Haus wohnen jetzt Karin und ihr Freund Alexander. Und dann holt Karin ihre Schwester Lisa in das Haus zurück.

Das Debüt Wie im Wald der österreichischen Autorin Elisabeth Klar ist ein verstörendes, unheimliches, mörderisch anstrengendes Buch. Die Schriftstellerin leitet die Literaturwerkstatt Wien und wurde für ihre Erzählungen mit zahlreichen Preisen bedacht. Ihr Stil ist sehr eigen, sie schreibt Sätze wie Fesseln, lange Stricke, die mich an den Wald binden und an das Haus, die mich gefangen nehmen und einsperren in all die angeknacksten Psychen. Niemandem in diesem Roman geht es gut, alle tragen ihr Päckchen, alle misstrauen einander, alle schweigen. Was passiert ist, nun, das ist keine Überraschung, weil was kann schon passieren zwischen Pflegevater und halbwüchsiger Tochter, ja eben, genau. Und das ganze Buch dreht sich um das Nicht-Sprechen darüber, um das Nicht-Erinnern, um die Konkurrenz, die es gab zwischen Karin und ihrem Vater wegen Lisa. Dies ist ein Roman voller Worte, die das Schweigen verdecken sollen, sehr viele Worte sind es, aber das Schweigen hört man trotzdem. Es ist schwierig, ihn zu beschreiben, über ihn zu reden, weil er so vertrackt ist und ihr ihn selber spüren müsst – deshalb soll er selbst ein bisschen zu euch sprechen:

„Vielleicht ist es ja ein Schmetterling gewesen, denke ich, als ich Lisa und Alexander beim Spielen zusehe. Vielleicht sind sie beide Schmetterlinge gewesen, August und Lisa, und waren im Einklang dieser selben schmetterhaften Existenz. Vielleicht gingen ihre Gespräche um nichts und um alles und drehten und flatterten und waren doch nicht richtig möglich. Vielleicht haben sie nur so getan, als würden sie sprechen, haben nur die Lippen geöffnet und geschlossen und waren nicht lauter dabei als ihr eigener Flügelschlag.“

„Wir beide sind von einer Seele, Lisa, das weiß ich ganz genau. Du siehst sie, genau wie ich sie sehe. Dabei haben sie mich nie geschlagen. Aber das Gefühl hab ich gehabt, als ob sie mich ständig erschlagen könnten. Das Gefühl hab ich gehabt, als hätten sie ständig ihre Hand erhoben gehabt zum Schlag. Verbrennen hätte ich können unter ihren Blicken.“

„Wie sich deine Finger in meinen Rücken krallen, nimmt es mir fast die Luft weg. Gleichzeitig ist es notwendig. Verlieren wir uns in diesem Moment, verlieren wir alles, und alles kippt. Und doch. Noch während du meinen Körper so an dich drückst, als wären wir miteinander verwachsen, spüre ich, wie du dich anspannst, dich schon vorbereitest, dich von mir wegzustoßen. Ich spüre alles in dieser Umarmung, denn alles ist in dieser Umarmung enthalten, auch das, wovon wir noch nichts wissen.“

„Und was. Was, wenn wir im Wald spazierengehen. Was, wenn wir aufbrechen, durch den Waldrand brechen wie durch die Wasseroberfläche, das Wasser schlägt über uns zusammen und legt sich in unsere Ohren und auf unseren Mund und auf unsere Haut, kriecht in jede Höhle und dämpft, wie Wasser alles dämpft, kaum hat man ihn betreten, und schließt sich hinter uns.“

„Meine Worte legen sich auf meinen Hals und drücken. Ich halte dich in Händen. Überall sind sie wie Zungen, und er hält mich, und überall um seine Hände herum wuchere ich, und höre nirgendwo auf, in alle Richtungen höre ich nicht auf.“

„Sie kommt zu mir, unter die Decke. Ihre Haut legt sich an meine Haut. Meine Haut hört an ihrer Haut auf. Weil ihre Haut an meiner liegt, muss ich für einen Moment nicht weiter wachsen.“

Elisabeth Klar: Wie im Wald. Residenz Verlag 2014, 272 Seiten, 22,90 Euro. Und hier könnt ihr das Buch bei ocelot.de bestellen.

Gut und sättigend: 3 Sterne

LaneBeklemmender Bericht einer Manipulation
Frances ist nicht mehr ganz jung, alleinstehend, gelangweilt von ihrem Leben, in dem nicht allzu viel passiert: Sie wohnt in London, arbeitet beim Feuilleton einer Zeitung, darf aber keine Rezensionen schreiben, sondern liest nur Korrektur. Ab und an besucht sie ihre Eltern auf dem Land, mit denen sie derart wenig verbindet, dass sie kaum glauben kann, wirklich in ihrem Haus aufgewachsen zu sein. Als Frances kurz nach Weihnachten von einem dieser Besuche nach Hause fährt, sieht sie ein Auto, das über die Böschung gekracht ist und auf der Seite liegt. Frances kann die Frau, die im Auto eingeklemmt ist, nicht sehen, spricht aber mit ihr, bis die Rettungskräfte eintreffen. Später erfährt sie, dass die Frau Alys hieß und verstorben ist. Frances willigt ein, sich mit der Familie zu treffen, um Alys‘ Ehemann, dem Schriftsteller Laurence, sowie den erwachsenen Kindern Teddy und Polly von den letzten Momenten mit Alys zu erzählen. Die Familie ist reich, und Frances würde gern zu dieser Gesellschaftsschicht gehören. Sie freundet sich mit der labilen Polly an, bietet ihr Unterstützung, und kommt langsam ihrem eigentlichen Ziel näher: Laurence.

Alys, always von Harriet Lane ist mir durch eine Empfehlung in der New York Times aufgefallen. Die Geschichte klang spannend – und das ist sie auch. Mit ihrer Protagonistin hat Harriet Lane, die in London lebt und für verschiedene Zeitungen schreibt, eine Frau geschaffen, die zwar in der Ich-Form erzählt, trotzdem aber nicht zu durchschauen ist. Das, was geschieht, ist eine verrückte Mischung aus Zufall und gezielter Manipulation. Frances kann das Zusammentreffen mit Alys nicht steuern, auch nicht Pollys Interesse an ihr oder Laurences aufkeimende Gefühle. Gleichzeitig aber versucht sie sehr wohl, Einfluss auf die Geschehnisse zu nehmen – um sich in die Familie Kytes einzuschleichen. Das ist irgendwie beklemmend, wahnsinnig unsympathisch und dabei doch sehr menschlich. Frances ist ein Chamäleon, und es fasziniert mich, wie gut sie die Menschen beobachtet und einschätzen kann. Sie bedrängt niemanden, ist sehr geduldig und wartet ab, wird immer präsenter, bis sie aus der Familie nicht mehr wegzudenken ist. Alys, always ist die Studie einer unzufriedenen, hohlen, langweiligen Frau, die ihre Chance gekommen sieht – und skrupellos zugreift. Das Buch ist kein Thriller, sondern eher eine subtile, simple Erzählung mit dem einen oder anderen Überraschungseffekt. Lesenswert!

BannerAlys, always von Harriet Lane ist erschienen bei Weidenfeld & Nicolson (ISBN 978-0297865018, 224 Seiten, 9,30 Euro).

Gut und sättigend: 3 Sterne

DonoghueEine Liebe zwischen zwei Frauen
Jude Turner, Anfang zwanzig, lebt in einem verschlafenen Nest in Kanada und leitet ein Heimatmuseum, dessen einzige Mitarbeiterin sie ist. Sie verlässt ihr Städtchen nie und reist ungern mit dem Flugzeug. Als sie es ihrer Mutter zuliebe doch einmal tut, begegnet sie der Stewardess Síle O’Shaughnessy. Die Irin lebt in Dublin, ist Ende dreißig und seit fünf Jahren mit ihrer Freundin zusammen. Per E-Mail und Telefon entspinnt sich zwischen Jude und Síle eine Liebesgeschichte, mit der keine der beiden gerechnet hätte. Bei den gegenseitigen Besuchen merken sie, wie unterschiedlich ihre Lebenswelten sind, und schon bald taucht die Frage auf: Können wir zusammen leben? Und wenn ja – wie und wo?

Emma Donoghue ist lesbisch. Zarte Landung ist lesbisch. Da ich mich bisher absolut gar nicht mit lesbischer Literatur beschäftigt habe, bin ich erst einmal sehr überrascht. Und zwar einfach darüber, dass sie so lesbisch ist. Damit meine ich nicht die Intimitäten zwischen Jude und Síle, sondern die Tatsache, dass das Lesbischsein an sich immer und überall Thema ist. In Hetero-Büchern ist das Hetero-Sein ja meistens überhaupt kein Thema. Warum? Weil wir es als „normal“ und gegeben erachten? Weil man es nicht erklären und betonen muss? Jude und Síle bringen das Lesbischsein permanent zur Sprache: vor sich selbst, vor einander, vor den Freunden. Wie hat alles begonnen, wann haben sie sich geoutet? Wie stehen die Eltern dazu? Mit wie vielen Frauen und Männern haben sie geschlafen und was war besser? Bis zu diesem Buch, das im lesbischen Indie-Verlag Krug & Schadenberg erschienen ist, war mir in meiner offenbar grenzenlosen Ignoranz nur am Rande bewusst, dass es überhaupt lesbische Literatur gibt. Das hat sich nun geändert.

Emma Donoghue dagegen war mir sehr wohl ein Begriff – und zwar wegen ihres erschütternden Romans Room, den ich so gut fand, dass ich in 2011 zu meinem Buch des Jahres ernannt habe. Wenn ich nicht wüsste, dass Room und Zarte Landung von derselben Autorin stammen, ich würde es niemals glauben. Sie unterscheiden sich so stark in Inhalt und Stil voneinander, dass ich mir sicher wäre, sie wurden von zwei verschiedenen Menschen geschrieben. Ein Blick auf Emma Donoghues bisherige Veröffentlichungsliste zeigt, dass sie eine sehr vielseitige Autorin ist. Wo Room brutal, spitz und krass war, zeigt sich Zarte Landung liebevoll, sanft und harmonisch. Das ist allerdings insofern ein Vorteil, als dass mir gar nicht in den Sinn kommt, die beiden Romane zu vergleichen – und meine Nicht-mehr-als-ein-Buch-vom-selben-Autor-Phobie beruhigt wird.

Nun sind Emma Donoghues sorgfältig gezeichnete Figuren Jude und Síle natürlich nicht nur Lesben. Sie sind in erster Linie Menschen. Und so handelt der Roman von einer Liebesgeschichte – einer ganz normalen. Wenn zwei Verliebte zum Paar werden, kollidieren zwei Welten. In Zarte Landung geht es um Gefühle und Erwartungen, um Lebensentwürfe und Verlustängste. Dazwischen wird außerordentlich viel geredet und geschrieben – und zwar über die abstrusesten Themen. Die beiden Frauen spielen in ihren E-Mails mit bekanntem und unbekanntem Wissen, um sich gegenseitig zu beeindrucken. Das ist stellenweise interessant, witzig, flirty, stellenweise langatmig, und ich habe am Ende das Gefühl, dass der Roman nicht so viele Seiten gebraucht hätte, um zu sagen, was er sagen wollte. Zarte Landung ist ein Buch, das im Kopf beim Lesen zugleich wie ein Film abläuft, weil es viele sehr szenisch geschriebene Abschnitte enthält. Alles in allem war dieser Roman für mich schön, sentimental, lustig, dank der Figuren zum Gernhaben ein hitzig-verliebtes Abenteuer und wegen des lesbischen Aspekts – entschuldigt das kleine Wortspiel – eine völlig neue Erfahrung.

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Zarte Landung von Emma Donoghue ist erschienen bei Krug & Schadenberg (ISBN 978-3-930041-90-9, 424 Seiten, 22,90 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Ein Buch voller Wärme, Intelligenz und Leidenschaft“, heißt es bei den Bücherfrauen.
– „Emma Donoghue hierzulande frisch veröffentlichter Roman erzählt eine wunderbare schöne Liebesgeschichte“, befindet Schwulissimo.
– „Dieser Roman ist so wunderbar vielseitig und ausgereift, das er gelesen werden MUSS. Doch wie so oft bei den Büchern, die der Verlag Krug & Schadenberg verlegt, ist auch dieses im Nullkommanichts ausgelesen“, schwärmt femalegold.
– Und hier könnt ihr das Buch bei ocelot.de bestellen.

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Lieblingsfutter

111Jan Schönnenbeck aus Krefeld macht in Import/Export. Manchmal schreibt er auch.

Jeder stirbt für sich allein von Hans Fallada ist mein Lieblingsbuch, weil es eine tieftodtraurige Begebenheit lakonisch und sprachlich brillant aufbereitet. Jemand, der so ein Buch in vier Wochen runterschreibt, muss ein Gott sein.

Empfehlen möchte ich das Buch, weil es den Schrecken der Zeit mit einer Leichtigkeit in die Schattierungen der Menschen im Nationalsozialismus zerlegt.

Wenn ich lese, dann ist das ein Mahlstrom aus Vorstellungskraft und und unmerklichem Umblättern.

Jeder stirbt für sich allein von Hans Fallada, der 1947 verstorben ist, wurde 60 Jahre nach seinem Erscheinen zum internationalen Bestseller. Es ist aktuell im Aufbau Verlag erschienen.

Und was ist dein Lieblingsfutter? Wer mitmachen möchte, schickt seine Antworten auf die Fragen oben an office_at_mareikefallwickl.at.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Nors„So ist das einfach, erschieß deinen besten Freund“
Einer, der vorher im Außenministerium war, wird zum Buddhisten und zum Chef der Hilfsorganisation Informationen von Volk zu Volk. Nur ein guter Mensch wird er leider nicht. Ein Kind, dessen Eltern sich getrennt haben, zieht von der Mutter zum Vater, dessen neue Freundin auch einen Sohn hat. Eine Putzfrau öffnet dem Lieferanten die Tür, der eine viel zu große Tomate wieder abholen soll – und verbringt mit ihm den Rest des Tages. Ein Mann sitzt abends vor dem Computer und beschäftigt sich mit weiblichen Mörderinnen, während seine Freundin schläft. Und einer Frau, deren Mann sie verlassen hat, bleibt nichts außer den Plänen, die sie nie umsetzen wird.

Dorthe Nors‘ Kurzgeschichtensammlung trägt den Titel Handkantenschlag. Und das passt. Denn die dänische Autorin, die in den USA Erfolge feiert, teilt mit ihren sprachlich präzisen Miniaturen tatsächlich Schläge aus. Sie haut dem Leben ins Gesicht, sie spuckt Kirschkerne, lächelt sardonisch und hat es faustdick hinter den Ohren. Das merkt man aber nur, wenn man genau hineinliest in diese Short Short Storys, die ultrakurz sind. Am Ende jeder Geschichte bin ich verblüfft darüber, dass sie schon aus ist. Ich sitze sprachlos da und lasse das Gelesene nachwirken. Nicht immer verstehe ich es. In diesen kleinen Momentaufnahmen gibt es keine Pointen. Auch ist das Inhaltliche nicht unbedingt eine gewichtige, wertvolle Botschaft. Vielmehr geht es um Alltagsbeobachtungen, winzige Ausschnitte, die man weiterdenken kann und muss.

Dorthe Nors, die zuvor bereits drei Romane veröffentlicht hat, macht sich in ihren Geschichten keine Umstände. Sie lässt mich in ihr Wohnzimmer, wo all ihre Figuren mit ihren Geschichten sitzen, und stellt mir jede von ihnen vor – mit zwei, drei Sätzen. Mehr nicht. Das ist kurios, macht neugierig, und sie kann sich sprachlich hervorragend ausdrücken. Sie verwirrt mich, gibt mir Rätsel auf, schockiert und amüsiert mich. Handkantenschlag hat die Kritiker überzeugt – und mich auch.

BannerHandkantenschlag von Dorthe Nors ist erschienen im Osburg Verlag (ISBN 9783955100704, 170 Seiten, 17,99 Euro).

Noch mehr Futter:
– Sophie von Literaturen hat mit Dorthe Nors ein Interview geführt.
– In diesem Video spricht die Autorin über ihr Buch und erklärt, dass jede Geschichte mit einem Ort zu tun hat, an dem sie gelebt hat.
– Hier könnt ihr das Buch bei ocelot.de bestellen.

Gut und sättigend: 3 Sterne

Bargum„Einsam zu sein, ist genau, wie eine Diät zu machen oder mit dem Rauchen aufzuhören: Man gewöhnt sich daran“
Zwei Männer, Olof und Harald, gehen gemeinsam segeln. Sie haben einander seit 20 Jahren nicht gesehen, kannten sich auch damals nur flüchtig, und doch gibt es etwas, das sie verbindet: Elin, die Frau, mit der beide verheiratet waren. Nacheinander, versteht sich. Das ist allerdings lang her, Elin ist nicht mehr am Leben, warum also begeben diese zwei Männer sich zusammen auf ein Boot? Und was geschah dann? Vielleicht redeten sie darüber, dass Olof einst Harald die Frau ausgespannt hat. Merkwürdig ist nur, dass ausgerechnet Olof allein zurückkommt …

„Die Leute glauben immer, es müsse jede Menge aufwallende Gefühle und knallende Türe geben.“ In der Septembernovelle von Johan Bargum knallt keine einzige Tür, und Gefühle wallen nur im Verborgenen auf. Der finnland-schwedische Autor, der Romane, Drehbücher und Theaterstücke schreibt und mehrfach ausgezeichnet wurde, hat den schmalen Band zweigeteilt: Erst spricht Olof, dann folgt ein Brief von Harald. Olofs Teil ist ein Monolog, den er der Polizei gegenüber hält, denn natürlich ist er verdächtig. Hat er Harald vom Segelboot gestoßen? Aber warum hätte er das tun sollen? Olof versucht, den Verdacht von sich fortzureden – und will unbedingt Haralds Brief sehen. Den hat Harald unterwegs geschrieben, als er schon mit Olof segeln war – und er widerspricht Olofs Erzählung in einigen entscheidenden Punkten. Vor allem rückt er auch Elin in ein ganz anderes Licht – religiös, verrückt, von einer Wahnvorstellung besessen – und setzt ein Fragezeichen hinter ihren Tod.

Trotz ihrer Knappheit mit gerade mal 108 Seiten ist Johan Bargums Septembernovelle sehr kraftvoll. Ein dünnes, aber intensives Buch, dessen Sprache genauso ist wie das Cover: schlicht, einfach und gleichzeitig von einer Tiefgründigkeit, die man nicht so recht erfassen kann. Diese Erzählung ist ein Rätsel, eine Medaille mit zwei Seiten – und es ist nicht herauszufinden, welcher der beiden Männer lügt und welcher die Wahrheit sagt. Eine schöne Lektüre, an der mich nur die Kürze stört – ich hätte gern noch mehr gelesen.

BannerSeptembernovelle von Johan Bargum ist erschienen im mare Verlag (ISBN 978-3-86648-193-0, 112 Seiten, 18 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Diese Novelle ist ein kleines Geschenk. Schnell ist der Text gelesen und die Handlung inhaliert. Dennoch bleibt lange ein nebliger Nachgeschmack im Leser, der sich wohl noch länger mit dem Inhalt beschäftigen wird“, heißt es auf leseschatz.
– Die Buchempfehlung der ARD Mediathek könnt ihr euch hier anhören. Auch der Autor kommt zu Wort.
– „Der Autor überlässt das Spekulieren dem Leser und davon ist nach der Lektüre des Buches lange nicht loszukommen“, schreibt Heike Rau in der leselupe.
– Hier könnt ihr das Buch bei ocelot.de bestellen.

Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Preiwuß„Eine Umklammerung, die nach außen wie eine Umarmung wirkte, der man den Würgegriff aber nur nicht gleich ansah“
Immer wenn Marianne von der Schule kam, musste ihr Bruder Hans an der Teppichstange Klimmzüge machen. Und weil er dazu zu wenig Kraft hatte, gab es Prügel. Wenn der Vater betrunken war, gab es auch Prügel. Oder wenn er glaubte, die Mutter betrüge ihn. Eigentlich gab es immer Prügel. Er war ein gefährlicher Mann, gewalttätig und verschlagen, er arbeitete in einer Nerzfabrik, züchtete dort die Tiere, tötete und häutete sie. Abends kroch Hans mit seinem wunden Körper in Mariannes Bett. Doch dann fand Marianne eher unfreiwillig einen Ausweg aus der Hölle ihres Elternhauses und zog nach Berlin. Erst jetzt, viele Jahre später, kommt sie nach Hause zurück: weil der Vater beerdigt wird.

Die junge deutsche Autorin Kerstin Preiwuß, die bisher mit Gedichten auf sich aufmerksam machte, erzählt in ihrem Debütroman eine Geschichte, die so deprimierend ist, dass ich mich beim Lesen in Embryostellung einrollen möchte, um irgendwie Trost zu finden. Der prügelnde Vater macht den Protagonisten die Kindheit zum Alptraum, und die Erinnerung daran erweist sich das ganze weitere Leben als Klotz am Bein. Berichtet wird aus der Perspektive der Tochter: In der Gegenwart ist sie das Ich, in der Vergangenheit, als Kind, ist sie Marianne. Nur glücklich ist sie nie – aber wie könnte sie das auch bei all den Erlebnissen voller Gewalt, Alkohol und Hilflosigkeit, die sie mit sich herumschleppt. Kerstin Preiwuß beschreibt eine Familie, in der Angst und Gleichgültigkeit regieren. Der herrische Vater schafft es, auch die Beziehungen zwischen der Mutter und den Kindern sowie zwischen Bruder und Schwester zu beeinträchtigen. Die Mutter, die sich möglichst unsichtbar macht, nie Widerstand leistet oder den Kindern hilft, ist später ständig am Jammern und rechtfertigt sich mit lahmen Ausreden wie „Es war nicht alles schlecht“. Und während die Geschwister einst zusammengehalten haben, haben sie einander jetzt nichts mehr zu sagen: Hans ist ein verbitterter Mann, der im Elternhaus geblieben ist und seine Schwester nicht einmal sehen will.

Kerstin Preiwuß ist Absolventin des Leipziger Literaturinstituts und hat schon in Klagenfurt gelesen. Sie bedient sich der Beiläufigkeit, um große Grausamkeit abzubilden. Sie tut dies so leicht und geschickt, dass man meint, sie erzähle von etwas Schönem – nur dass es in Restwärme nichts Schönes gibt. Missbrauch, Traurigkeit und Schweigen sind vorherrschend. Das muss man aushalten können, und wenn man es kann, wird man mit einem feinen, klugen, ausgezeichnet geschriebenen Roman belohnt, der sich gut liest und eine erschütternde Wirkung hat. Vielerorts wird der Schreibstil als ungewöhnlich und anstrengend bezeichnet, ich habe das allerdings nicht so empfunden. Die Sprache ist poetisch, knallhart und ebenso scharf wie der Inhalt. Zieht euch beim Lesen warm an, denn von Restwärme ist in diesem Buch nichts zu spüren – es hätte eher Eiseskälte heißen sollen. Es macht Gänsehaut im Kopf.

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Restwärme von Kerstin Preiwuß ist erschienen im Berlin Verlag (ISBN 978-3-8270-1231-9, 224 Seiten, 18,99 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Umso kraftvoller wirken jedoch die knappen, lakonischen Dialoge, die sie immer wieder einschiebt, sowie die zahlreichen Natur-Metaphern. Ähnlich wie der verrätselte Titel Restwärme sind sie anspielungsreich, aber nicht eindeutig zu entschlüsseln. Es brodelt unter ihrer Oberfläche“, heißt es auf spiegel.de.
– „Es gibt nur wenige tröstliche Stellen in Kerstin Preiwuß’ Roman Restwärme“, meint The daily frown.
– „Immer wieder begegnen einem in Restwärme Bilder, die den Kampf illustrieren, immer wieder siegt der Mächtige über den Schwächeren“, schreibt Sophie auf Literaturen.
– Hier könnt ihr das Buch auf ocelot.de bestellen.