Bücherwurmloch

Blogbuster 2017: Im Gespräch mit Heike Duken

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Interview mit Heike Duken

Dein Roman „Rabenkinder“ lässt viele unterschiedliche Figuren zu Wort kommen. Warum sind es so viele, und wer ist eigentlich der Protagonist?
Ja, es gibt nicht diesen einen Helden, der seine Reise macht und sich mit einem Antagonisten herumschlägt. Der wahre Protagonist der Geschichte ist wohl diese Familie. Der Schwarm. Ein Ameisenvolk, doch jedes einzelne Tier hat das Recht auf eine eigene Stimme. Es wird immer nur ein Fragment erzählt, ein Ausschnitt, eine Szene, die so viel zeigt wie nötig und wirklich kein bisschen mehr. Nötig, um etwas von dem zu zeigen, was Gewalt anrichtet, was Sprachlosigkeit bedeutet und was Menschen in der Not helfen kann: Mitgefühl, offene Worte und keine Feigheit vor dem Freund.

Du hast die Fragmente und einzelnen Ausschnitte angesprochen. Wie kam es zu dieser Zersplitterung?
Erst einmal habe ich einfach nur Kurzgeschichten geschrieben. Ich mag eben die Reduktion. Das Aus- und Abschweifende liegt mir nicht. Und dann habe ich gemerkt, all die Geschichten haben eine Verbindung. Diese Menschen kennen sich und agieren bezogen aufeinander. Das Ende der einen Geschichte ist der Beginn einer anderen. Die Gegenwart der einen Figur ist zugleich Vergangenheit einer anderen und so weiter. Ein Kosmos tat sich auf. Es war faszinierend. Mein Unbewusstes hatte ganze Arbeit geleistet. Später dachte ich mir, ist das nicht die moderne Welt, sind das nicht moderne Lebensläufe und Familien, ist das nicht der moderne Mensch sogar: zersplittert?

Gibt es trotz allem einen Kern, eine Hauptgeschichte?
Absolut. Letztendlich geht es um drei Geschwister, die Geschichte ihrer Eltern und ihrer Kinder. Also ein klassischer Familienroman! Naja …

Dein Roman ist wahnsinnig intensiv. Es geht um die Beziehung zwischenKindern und ihren Eltern, um unterdrückte Gefühle, um Gewalt — auchsexueller Natur. War das für dich schwer zu schreiben?
Ich finde ich es viel schwieriger, über Glück zu schreiben. Über Liebe und Versöhnung. Schon die Worte gehen mir schwer von der Hand. Sie sind seltsam. Oder nicht? Ich habe versucht, mich den Figuren so weit wie möglich anzunähern. Mit ihnen wahrzunehmen, zu denken, zu fühlen. Manchmal war das schwer, weil ich wirklich traurig wurde. Sehr traurig. Geholfen hat mir die Kürze der einzelnen Szenen. Nach einem Abend intensiven Schreibens konnte ich gut wieder auftauchen und am nächsten Tag recht kühl überarbeiten. Die Szene war ja fertig geschrieben, abgeschlossen. Ich konnte an ganz anderer Stelle neu beginnen. Ich habe den Roman nicht chronologisch verfasst, sondern einzelne Kapitel geschrieben und diese immer wieder neu sortiert. Mein Arbeitszimmer lag voll mit gelben Karten, auf denen die Überschriften, das Jahr und die jeweilige Perspektive standen.

Hast du zu einer Figur eine besondere Verbindung?
Ja, zu Nele, dem kleinen Mädchen. Kinder haben eine eigene Welt in ihren Köpfen, und sie teilen nur einen Bruchteil davon mit, glaube ich. Mit Nele habe ich versucht, in diese Welt hineinzublicken, natürlich kam ich dabei in Kontakt mit dem Kind, das ich einmal war. Und dann Max. Dieser komische, schwierige Junge. Wie er sich entwickelt. Wie er nachdenkt und beobachtet. Oft mit einer gewissen Kälte. Seine Perspektive ist mir enorm wichtig geworden während des Schreibens. Aber eigentlich mag ich sie alle. Ich war an meinem Schreibtisch lange mit diesen Menschen zusammen, und ihr Kampf, ihr Streben, auch ihr Unvermögen und ihre Fehler, teils ihre Schuld, das nimmt mich alles sehr für sie ein.

Denkst du, das alles kann man den Lesern zumuten?
Ja! Leserinnen und auch Leser werden oft unterschätzt. Die „Rabenkinder“ sollen berühren, ja schmerzen. Es kann tröstlich sein, etwas vom eigenen Schmerz in der Literatur wiederzufinden. Zumindest habe ich das selbst schon oft so erlebt. Doch ich hoffe, auch die zarten Momente der Hoffnung, die ich geschaffen habe, tun ihre Wirkung, und man klappt das Buch am Ende mit einem guten Gefühl zu.

Wie bist du auf den Titel gekommen?
Jeder kennt den Begriff der Rabenmutter (vor allem Frauen, die selbst Mütter sind, kommen um den Begriff ja gar nicht herum und müssen jeden Tag beweisen, dass er nicht auf sie zutrifft). Und tatsächlich, schlechte Mütter und Väter, es gibt sie zuhauf. Wir lesen über sie in der Zeitung oder auch in der Literatur, mir wird in den Therapien von ihnen erzählt. Schrecklich. Leid wird über Generationen weitertransportiert, weil Eltern es nicht hinbekommen. Sogar gute Eltern können gar nicht anders, als hin und wieder Rabeneltern zu sein. Aber was ist mit den Kindern? Sind sie wirklich kleine Engel, ein einziger Quell der Freude, ein immerwährendes Geschenk, „der größte Reichtum“, wie ich neulich in der Anzeige einer Kinderwunschklinik gelesen habe? Wird da den Eltern nicht etwas vorgegaukelt? Kinder geben häufig Anlass zur Sorge. Man kann sie nicht vor jedem Kummer bewahren. Sie machen Eltern durch ihr eigenes Unglück mit unglücklich. Das verstehe ich unter „Rabenkindern“. Und das soll keine Anklage sein, um Himmels willen. Niemand kommt in meinem Roman auf die Anklagebank. Alle dürfen einfach so sein wie sie sind, mit ihrem Bemühen, ihrem Scheitern und mit ihrer Stärke, Unglück auch zu überwinden.

Warum hast du genau dieses Buch geschrieben und kein anderes?
Diese Geschichten mussten raus. Meine Gefühle dazu. RAUS. Ich bin eher ein lebensfroher, fröhlicher Mensch, aber das kann ich wahrscheinlich nur sein, weil das Traurige, das Grauenhafte und Hoffnungslose diesen Weg nach draußen findet. Sonst würde es irgendwie drinbleiben und mich verzweifeln lassen. Es gäbe genug Grund dazu, manchmal in mir selbst, oder wenn ich nur meine Arbeit mache, mir die Nachrichten anschaue oder mich in der U-Bahn umsehe. Gestern war ich Zeugin in einem Vergewaltigungsprozess. Gegen solche Eindrücke muss ich meine Lebensfreude verteidigen. Das Schreiben hilft mir dabei, gerade auch das Erzählen ausgedachter Geschichten, das mir die Macht über die Welt zurückgibt (ähm, hatte ich sie denn je?). Wer weiß, was als Nächstes raus muss, ich habe ein paar Ideen im Kopf, ein paar Kurzgeschichten geschrieben …

Wie viel von deiner persönlichen Erfahrung durch deine Arbeit alsPsychotherapeutin ist in das Buch geflossen?
Psychotherapie, so wie ich sie betreibe, ist vor allem das Bemühen darum, etwas zu verstehen. Manchmal gelingt mir das. Und das hilft mir beim Hineinfühlen in meine Figuren ungemein. Natürlich verwende ich keine Geschichten meiner Patienten, die sind bei mir sicher und gut aufgehoben.

Was wünschst du dir für die Rabenkinder?
Ich bin dabei, sie auszuwildern, und sie sollen in dem Dschungel da draußen eine Bleibe finden. Einen Verlag. Sie sollen in Buchhandlungen liegen, gekauft und gelesen werden. Eigentlich ganz einfach! Als Autorin wünsche ich mir noch etwas mehr: ein literarisches Zuhause.

Du hast viele Schreibwerkstätten besucht und bist ganz gut vernetzt als Autorin. Was bringt dir der Austausch mit anderen Schreibenden?
Ich habe so lange einsam vor mich hingeschrieben und nie ein Feedback bekommen, weder Kritik noch Ermutigung. Dann habe ich es gewagt, ein Schreibseminar bei Georg Klein zu besuchen. Ich bin fast gestorben, wirklich. Ich war fast als Letzte dran. Und ich werde nie vergessen, wie er gesagt hat: „Ich möchte eine Lanze für diesen Text brechen.“ Er hat das dann sehr ausführlich begründet, das war ein wunderbarer Moment. Ich habe mein Schreiben in den Werkstätten tatsächlich verbessern und professionalisieren können. Diese Textbesprechungen schärfen den Blick auf das eigene Werk und legen den Finger genau in die Wunde, für die man selbst blind ist. Ich war bei Josef Haslinger und Thomas Hettche, großartige Schriftsteller. Ein Privileg, von ihnen und all den anderen Schreibenden zu lernen. Dann habe ich mich den 42erAutoren angeschlossen, auch dort nutze ich die Möglichkeit, Feedback zu Texten zu bekommen. Die 42er kennen so einige Kapitel aus den Rabenkindern und haben daran herumkritisiert. Es gibt auch einen regen Informationsaustausch zu allen Themen, die mit dem Schreiben zu tun haben. Ganz aktuell bin ich zu den BücherFrauen gestoßen, das hat mit dieser Rolle rückwärts zu tun, die ich in der Welt im Umgang mit Frauen und Mädchen wahrnehme. Da habe ich mich auf die gute feministische Tugend besonnen, sich zusammenzurotten, um sich etwas stärker zu fühlen und nicht zu verzweifeln.

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Hier findet ihr eine Leseprobe aus Heike Dukens Roman, und hier könnt ihr zusehen, wie sie daraus liest, und ihren schönen Hut bewundern.

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