Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Irmgard Fuchs: Wir zerschneiden die Schwerkraft 

thumb_IMG_6302_1024Vom Spiel mit Leichtigkeit und Schwere
Dieses Buch schwebt. Grafisch zeigt sich das an den Weltallbildern, die das Cover sowie jeden Geschichtenbeginn zieren. Inhaltlich ist die Schwerkraft im Titel ein ums andere Mal Thema: Einer verschickt Botschaften mit einer Silvesterrakete, ein anderer reist in einem Koffer ins All. Gemeinsam haben die Figuren eine gewisse Verlorenheit. Sie sind allein, einsam, zerstreut – und definitiv verrückt. Manche von ihnen haben einen derartigen Knall, dass ich kaum ein Wort, das sie mir erzählen, verstehe. Das ist freilich ebenso amüsant wie anstrengend. Andere wiederum verstecken ihren Wahnsinn besser – und die finde ich ganz besonders interessant.

Prinzipiell macht mir Irmgard Fuchs die Sache mit dem Verstehen nicht so leicht. Die junge Salzburgerin hat unter anderem Sprachkunst studiert und zeigt in ihrem ersten Buch, was man da so lernt: offenbar den Mut, experimentell mit Sprache und ihrer Form umzugehen. Nicht zu wild, nein, keine Sorge, da habe ich schon Krasseres gesehen (und denke beispielsweise an Menschen aus Papier von Salvador Plascencia), aber durchaus auf originelle und beachtenswerte Weise. Inhaltlich gefällt mir nicht jede Geschichte, und ich wollte sie auch nicht alle zu Ende lesen. Einige jedoch haben mich sehr fasziniert und zum Schmunzeln gebracht. Und aufgrund seiner Außergewöhnlichkeit ist dieses Buch einmal mehr ein solches, das ich noch ein bisschen für sich selbst sprechen lassen möchte, damit ihr ein Gefühl dafür bekommt, wie es sich anhört:

Meine Augen sind geschlossen wie vor einem Kuss.

Um mich nicht dem Gefühl der Überflüssigkeit zu überlassen, habe ich mich daran gewöhnt, innerlich taub zu sein und mich wie ein glänzendes Polyestermöbel zu fühlen, das zwar etwas abgelebt, aber immer noch einsatzfähig ist.

Auf der Straße wird mir die unnütze Zitrusfrucht jedoch sofort lästig und ich lege sie im Vorübergehen auf den Sattel eines abgesperrten Fahrrads. Nach ein paar Metern muss ich über die Vorstellung der davonradelnden Zitrone lächeln und ich schaue mich noch einmal nach ihr um, damit ich ihr Bild nicht vergesse.

Der Schwindel wird stärker, in ihm entfaltet sich das längst vergessene Gefühl, wie gut es getan hat, als junger Mann im Sommer kurze Hosen zu tragen.

der punkt, an dem das blut den stoff traf, war fast die gleiche stelle, wie die, an der mein stechender schmerz sitzt – nur spiegelverkehrt

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Wir zerschneiden die Schwerkraft von Irmgard Fuchs ist erschienen bei Kremayr & Scheriau (ISBN 978-3-218-00990-4, 208 Seiten, 19,90 Euro).

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