Gut und sättigend: 3 Sterne

Hugo Horiot: Der König bin ich

Horiot„Wer das Gleichgewicht verliert, verliert sein Königreich“
„Ich bin vier Jahre alt und möchte wieder zu Sternenstaub werden, um ganz von vorne anzufangen.“ Dazu, so hat es sich der kleine Julien überlegt, muss er zurück in den Bauch seiner Mutter. Er will deshalb nicht wachsen. Er schaut niemandem in die Augen. Und er spricht nicht: „Ich bin der Gefangene meines Körpers, und wenn ich sprechen würde, würde ich auch euer Gefangener.“ Julien beobachtet, und er leidet. Das Klassenzimmer ist sein Gefängnis, alle Menschen sind ihm eine Qual. „Ich verbringe mein Leben mit kleinen, wuselnden, grölenden und gestikulierenden Wesen, die ich weder sehen noch hören möchte.“ Seine Familie geht sehr liebevoll mit ihm um, auch wenn seine Eltern und Schwestern dabei täglich an ihre Grenzen stoßen. Und das Kind, das nicht zu den anderen passt, unternimmt einen waghalsigen Versuch, aus dem inneren Käfig auszubrechen: Es lässt Julien sterben und nennt sich fortan Hugo. Hugo schleppt sich durch die Schulbildung, passt sich an, gibt sich Mühe, verstellt sich. Doch erst als er die Schauspielerei entdeckt, findet er seine Rettung.

Hugo Horiot, 1982 geboren, ist ein französischer Schauspieler, der am Asperger-Syndrom leidet. In Der König bin ich erzählt er seine Geschichte, die voll ist von puren, ungeschliffenen Emotionen. Schon sehr früh war der ganzen Familie klar, dass dieses Kind anders ist, dass es nicht kommunizieren will, Tics hat, dass es in einer eigenen Welt, einem eigenen Universum lebt. Es scheint, als habe Julien zum Glück in seinem direkten Umfeld viel Verständnis und Unterstützung erfahren – doch die reichten nur bis zur eigenen Haustür, dahinter lauerte das System, das für Andersartigkeit keinen Platz vorgesehen hat. In sehr eindrücklichen Worten schildert der Autor, der diesen Text innerhalb eines Monats zu Papier gebracht hat, die Gefühlswelt eines Kindes, das nicht am Leben sein möchte. Nicht so. Nicht hier. Jede Seite ist gefüllt mit Schmerz und Selbsthass und unfassbar großem Zorn. Wie muss es sein, mit so einem Kind zu leben, im Alltag?

Davon erzählt Hugo Horiots Mutter Françoise Levèfre auf den letzten Seiten des schmalen Bändchens. Sie sagt sehr ehrlich, wie anstrengend es war, Juliens Mutter zu sein, wie sehr sie es aber auch schätzt und liebt, ein so besonderes Kind zu haben. Diesen kurzen abschließenden Blick aus ihren Augen finde ich sehr gut und interessant, er rückt das, was an Hugos Worten vielleicht zu fantasievoll und unverständlich war, in einen annehmbaren Bezug zur Realität. Denn natürlich ist ein Buch aus der Sicht eines autistischen Menschen stellenweise sehr verwirrend, das lässt sich nicht beschönigen. Es ist intensiv und emotional, anstrengend und merkwürdig. Viele Gedanken sind nachvollziehbar, andere völlig befremdlich. Ich war sehr gespannt darauf, mich in den Kopf eines Kindes zu begeben, das die Welt nicht so erlebt wie ich. Und ich war sehr froh, ihn dann wieder verlassen zu können.

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Der König bin ich von Hugo Horiot ist erschienen in den Hanser Literaturverlagen (ISBN 978-3-446-24718-5, 168 Seiten, 19,50 Euro).

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