Gut und sättigend: 3 Sterne

Jürgen Bauer: Was wir fürchten

IMG_8761Auf der Flucht vor sich selbst
„Das erste Mal fühlte ich die Angst, als mein Vater Kornkreise in ein Feld trat und meine Mutter mich losschickte, um ihn nach Hause zu holen, bevor die Nachbarn etwas bemerken konnten.“ Und dann beginnt die Angst allmählich sein Leben zu beherrschen, obwohl Georg noch ein Kind ist. Es geht ihm wie dem Vater, dessen Paranoia das Familienleben überschattet und der immer wieder in die Klinik muss. Doch obwohl die Eltern das Problem erkennen müssten, gehen sie alles andere als verständnisvoll und sanft mit ihrem Sohn um, sie beladen ihn mit Schuld und machen ihm ein schlechtes Gewissen, das er nie wieder loswird: Wenn du wirst wie dein Vater, sagt ihm die Mutter, bring ich mich um. Dennoch gelingt es dem erwachsenen Georg, ein halbwegs normales Leben zu führen, er heiratet und hat eine Arbeit. Bis auf dem Naschmarkt vor seinen Augen ein Mädchen von einem Auto angefahren wird und seine Paranoia endgültig durchbricht …

Der österreichische Autor Jürgen Bauer hat mit seinem zweiten Roman Was wir fürchten ein Buch geschrieben, dessen Titel Programm ist: Es geht darin um Angst. Und zwar um eine zwanghafte, unbezwingbare, völlig außer Kontrolle geratene Angst, die wir Paranoia nennen. Den Rahmen der Erzählung bildet ein Gespräch, das Georg mit einem Mann führt, von dem man nicht genau weiß, ob er ein Therapeut ist oder woher sie sich kennen. Klar wird das erst am Ende – in einer sehr genialen Auflösung. Innerhalb dieses Gesprächs kehrt Georg in Rückblicken an bestimmte Zeitpunkten seines Lebens zurück, um sie zu erzählen und die Zusammenhänge zu erklären. So berichtet er von seiner Kindheit, den Schrecken des Ferienlagers, dem Ende seiner Ehe. Und vor allem von der Angst, von den Gedanken in seinem Kopf, von seiner verzerrten Perspektive, von dem Gefühl, beobachtet und verfolgt zu werden, immer, nirgends sicher zu sein, nie.

Geschickt spielt Jürgen Bauer mit dem Vertrauen und der Gutgläubigkeit des Lesers: Welche Wahrnehmung ist die richtige? Ist Georg einfach nur völlig verrückt oder hat er womöglich sogar Recht? Alles ist brüchig, jeder könnte ein Lügner sein. Der Schluss wirft ein völlig neues Licht auf die Ereignisse, was ich ausgezeichnet fand – ich habe das Buch mit einem zufriedenen Lächeln geschlossen. Etwas angestrengt haben mich ehrlich gesagt die vielen Wiederholungen, die der Autor wie Mantras immer und immer wieder einbaut, für meinen Geschmack zu oft. Aber: Das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch, wenn man sich erst einmal dran gewöhnt hat. Ein Vergnügen war es auch, Jürgen Bauer auf der Leipziger Buchmesse persönlich kennenzulernen, als ich sein Treffen mit Gérard Otromba gecrasht und mich ganz frech einfach azugesetzt habe. Zuvor hatte ich bereits seinen Erstling gelesen und dann meinen eigenen Paranoia-Moment gehabt: An dem Tag, an dem später meine Besprechung zu Das Fenster zur Welt online gehen würde, lag morgens das neue Buch im Postkasten. Das ich gar nicht angefordert hatte. Und der Verlag konnte ja noch gar nicht wissen, dass ich Das Fenster zur Welt rezensiert hatte. Dennoch lag ein Brief dabei, in dem mir für mein Interesse gedankt wurde. Ich fühlte mich gestalkt und verfolgt. Und das passt perfekt zu Was wir fürchten

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Was wir fürchten von Jürgen Bauer ist erschienen im Septime Verlag (ISBN 978-3-902711-38-0, 264 Seiten, 21,90 Euro).

Mehr Futter:

– „Jürgen Bauers Roman ist nicht nur ein galantes Verwirrspiel zwischen Wahn und Wirklichkeit, sondern der gelungene Beweis dafür, dass nicht alles im Leben kontrollierbar ist“, schreibt Sophie von Literaturen.
– „Jürgen Bauers Schreibstil ist dabei so fesselnd und einnehmend, dass ich das Buch in nur zwei Tagen regelrecht verschlungen habe und es kaum zur Seite legen konnte“, schwärmt Petzi von dieliebezudenbuechern.

8 Comments to “Jürgen Bauer: Was wir fürchten”

  1. Ein intelligenter fesselnder Roman. Was ist es, das uns Menschen Angst macht? Was ist Angst und ab wann können Ängste, die Leben schützen, warnen und bewahren sollen, krankhaft werden? Ein tolles Buch! Liebe Grüße, Hauke

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  2. Vielen Dank für die tolle Rezension! Freut mich, dass ich für Spannung und Angst sorgen konnte – und die “persönliche Paranoia” konnten wir ja klären 🙂
    Also: Keine Angst mehr … die soll Literatur ja nehmen!

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    1. Mariki Author

      Grins. Es hat halt nur thematisch so gut gepasst. Und wo es doch auch noch SO EIN Buch war, das da im Postkastl lag … Verschwörung! Stalker! 😉 Ich danke auf jeden Fall für das Vergnügen.

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