Gut und sättigend: 3 Sterne

Heinrich Steinfest: Das grüne Rollo

Steinfest„Selbst die eingebildeten Dinge müssen gelebt werden“
Es ist exakt 23.02 Uhr, als vor Theos Fenster plötzlich ein grünes Rollo runterrattert. Ein Rollo, das der Zehnjährige noch nie gesehen hat und das seines Wissens niemand an seinem Fenster befestigt hat, weil seine Eltern etwas dagegen haben, die Zimmer abzudunkeln. Er hat Angst, ist aber auch fasziniert – besonders, als er entdeckt, dass er durch das Rollo eine fremde Welt namens Nidastat betreten kann. Dort trifft er auf Anna, die in einer lebensbedrohlichen Lage steckt und seine Hilfe braucht, um den Männern mit den Feldstechern zu entkommen. Jahrzehnte später ist Theo längst ein erfolgreicher Astronaut und hält die Episode mit dem Rollo für eine fantasievolle Phase aus seiner Kindheit. Doch dann verschwindet Anna erneut …

Heinrich Steinfest ist offenbar ein bisschen verrückt. Zumindest schreibt er Bücher, die es sind. Das war mir gar nicht so bewusst. Ich habe vor Jahren sein Buch Nervöse Fische gelesen, das ich als sehr gut in Erinnerung behalten habe und das auch schon recht durchgeknallt war, schwamm doch da einer im Pool, den ein Hai totgebissen hatte. Da um Steinfests letzte Romane ein recht großer Hype entstanden ist und er 2014 mit Der Allesforscher auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand, bin ich neugierig geworden auf sein aktuelles Buch. Der österreichische Autor erzählt darin die Geschichte eines Jungen, der etwas ganz Unglaubliches erlebt: Er steigt in ein grünes Rollo, das jede Nacht um 23.02 Uhr vor seinem Fenster auftaucht, und erlebt Abenteuer in einer völlig anderen Welt. Diese Teile sind im Buch in grüner Schrift gehalten. Theos Ausflüge erinnern freilich ein wenig an Phantásien und die unendliche Geschichte – ein Vergleich, der naheliegt, dem Das grüne Rollo aber nicht standhalten kann. Das ist bei Michael Ende allerdings wohl ohnehin unmöglich. Trotzdem aber beeindruckt Heinricht Steinfest mit der Macht seiner Fantasie und seinen obskuren Einfällen: ein Messer namens Lucien, eine Weltraumkatze, eine Schwester, die es vorher gar nicht gab.

Das Beste an diesem Buch ist das Ende – weil Heinrich Steinfest hier mit einer großen Überraschung aufwartet. Plötzlich fügt sich alles zusammen, plötzlich ergibt alles Sinn – und mit diesem sehr schönen Aha-Moment schließt sich der Kreis. Das fand ich ausgesprochen gut. Davor hat mich die Lektüre aber ehrlich gesagt oft ein wenig ratlos gemacht und verstört, ich bin wohl nicht so der Typ fürs Absurde. Das grüne Rollo ist gut zu lesen, flüssig geschrieben, in einem ganz eigenen Duktus: Wer dieses Buch aufschlägt, lässt die altbekannten Regeln hinter sich und erlebt etwas Neues, Fantastisches, Bizarres. Darauf muss man sich einlassen, ohne es zu hinterfragen. Dann lässt sich mit dem grünen Rollo ganz ausgezeichnet Spaß haben.

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Das grüne Rollo von Heinrich Steinfest ist erschienen im Piper Verlag (ISBN 978-3-492-05661-8, 288 Seiten, 19,99 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Die neurologische Entzifferung zum Schluss holt die Geschichte zurück auf den Erdboden der Aufklärungsgesellschaft, dem man sich gerade so wohlig enthoben fühlte“, befindet buecherrezension.com.
– Ein witziges kurzes Interview mit dem Autor findet ihr hier.

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