Gut und sättigend: 3 Sterne

Yves Ravey: Ein Freund des Hauses

RaveyDer unerkannte Feind
Madame Rebernaks Cousin Freddy hat vor vielen Jahren einem kleinen Mädchen etwas angetan, für das er ins Gefängnis gehen musste. Nun kommt er nach 15 Jahren wieder frei und kehrt in sein Heimatdorf zurück, wo die Behörden versuchen, Madame Rebernak zu überreden, ihn aufzunehmen. Die will davon jedoch nichts wissen. Sie hat zwei fast erwachsene Kinder und tut alles, um ihre Tochter Clémence vor Freddy zu schützen, dem sie eine weitere Straftat zutraut. Mit einem hat sie auf jeden Fall Recht: Clémence ist in Gefahr. Das Problem ist nur: Diese Gefahr geht nicht von Freddy aus.

Yves Ravey ist nicht nur Autor, sondern auch Professor für bildende Kunst. Sehr kunstvoll hat er seine kurze Erzählung Ein Freund des Hauses gestaltet, die überraschend leicht und dennoch beklemmend ist. In klaren, schnörkellosen Worten porträtiert er eine Familie, die lädiert ist – der Vater verstorben, der Cousin der Mutter ein Sexualstraftäter –, aber dennoch zusammenhält. Die Rückkehr des Cousins aus dem Gefängnis droht das labile Gleichgewicht endgültig zu zerstören. Dabei hat die Mutter es schon fast geschafft, ihre Kinder sicher ins Erwachsenenalter zu geleiten. Sie kann nicht zulassen, dass ihnen – vor allem Tochter Clémence – etwas zustößt. Sie spürt die Bedrohung, erkennt aber die Richtung nicht, aus der diese kommt. Als sie es schließlich tut, fackelt sie nicht lange.

Ein Freund des Hauses ist gut geschrieben. Klar erzählt und strukturiert, sehr knapp und karg. Insgesamt war mir das Ganze einfach zu kurz. Gerade einmal 93 Seiten gibt Yves Ravey seiner Erzählung rund um die Gier eines Mannes, der sich einfach nimmt, was er haben will. Das bedingt freilich, dass er nicht genug Raum hat, um die Charaktere mit Lebendigkeit und Farbe auszustatten, sie bleiben ein wenig bleich und ähneln den typischen Abziehbildern von stereotypen besorgten Müttern, unbedarften Töchtern und schmierigen älteren Männern. Das ist freilich schade, denn der Roman hätte mit Sicherheit noch viel mehr Potenzial gehabt, hätte er sich auf 256 Seiten entfalten dürfen. In anderen Worten: Ich war mit Ein Freund des Hauses in einer Stunde fertig. Und hätte gern mehr davon gehabt.

Ob die Idee, die Geschichte aus der Perspektive von Clémences Bruder zu erzählen, so gut war, sei dahingestellt: Er hat einen frischen, freien Blick auf alles – war aber an keinem einzigen Ereignis beteiligt. Etwas unklar ist mir auch, warum Madame Rebernak denkt, Freddy würde ihrer Tochter etwas antun, ist er doch offenbar pädophil – und ihre Tochter so gut wie erwachsen. Wer der wahre Übeltäter ist, ist dem Leser aufgrund des Klappentexts und der Personenkonstellation von Anfang an klar. Aufgrunddessen kann Yves Ravey einzig und allein mit der Schlusspointe überzeugen. Die sitzt. Und knallt.

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Ein Freund des Hauses von Yves Ravey ist erschienen im Antje Kunstmann Verlag (ISBN 978-3-88897-969-9, 96 Seiten, 14,95 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Es ist eine als Thriller genial verkleidete Gesellschaftsstudie, die durch ihre skizzenhafte und raffiniert genügsame, ja fast schon enthaltsame Schreibweise den Leser so in den Bann zieht und gleichzeitig aufrüttelt, dass die entstehende Angst beim Lesen, den eigenen Vorurteilen nicht entfliehen zu können, lange nachwirkt“, schreibt der vom Buch sehr begeisterte Durchleser.
– „Mit wenigen Worten Spannung schaffen und Stimmungen evozieren: Das ist große Kunst“, heißt es in der Rezension auf tagesspiegel.de.
– „Eigentlich genügt es, den Klappentext zu lesen, um zu wissen, wie dieser Roman ausgeht. Was eigentlich das Schlimmste ist, was man über einen Roman wie diesen sagen kann, denn dieser Roman ist ein Spannungsroman“, urteilt spiegel.de, findet den Roman aber dennoch sehr empfehlenswert.
– Hier könnt ihr das Buch bei ocelot.de bestellen.

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