Netter Versuch: 2 Sterne

A. M. Homes: Auf dass uns vergeben werde

Homes„O mein Gott, das ist ja der reine Wahnsinn. Die sind irre. Das ist eine totale Freakshow“

Die handelnden Personen:
– Harry, Unidozent mit Nixon als Spezialgebiet
– Claire, seine Frau
– George, Harrys Bruder, erfolgreicher Fernsehproduzent
– Jane, Georges Frau
– Ashley und Nate: die halbwüchsigen Kinder von George und Jane

Die Gründe dafür, dass alles den Bach runtergeht:
– George verursacht einen Autounfall, bei dem nur ein Junge überlebt, seine Eltern sterben.
– Harry fand seine Schwägerin immer schon geil.
– George rastet aus und tut etwas, das seine Familie für immer zerstört. Und zwar so richtig.
– Ashley und Nate, beide im Internat untergebracht, sind jetzt praktisch elternlos, und Harry muss sich um sie kümmern.
– Harrys Frau Claire verlässt ihn. Und er hat Bock auf Sex.

Die unkontrollierbaren Folgen:
– Ein Urlaub mit dem Jungen, dessen Eltern bei dem Unfall umgekommen sind.
– Ein Gefängnislager im Freien, in dem die Insassen ums Überleben kämpfen.
– Die dementen Eltern einer wildfremden Frau im Haus.
– Eine lesbische Affäre.
– Eine Reise nach Afrika.
– Ein Schlaganfall.
– Unverbindlicher Sex mit Frauen aus dem Internet.
– Ein Name, der abgekürzt ASS ergibt.
– Ein Jobverlust.
– Kurzgeschichten, die angeblich Nixon geschrieben hat.

A. M. Homes hat mich überfahren. Ihr Roman Auf dass uns vergeben werde ist wie ein tonnenschwerer Laster, der nicht für mich gebremst hat. Im Gegenteil. Auf 659 Seiten knallt sie mir eine Flut an Ideen, Wendungen und Verrücktheiten um die Ohren, dass mir ganz anders wird. Sie hat Fantasie. Sie hat gute Pointen. Aber sie hat, was mich betrifft, weit übers Ziel hinausgeschossen – wenn das Ziel in Italien läge, wäre A. M. Homes auf dem Mars. Was aber in diesem Buch schon wieder gar nichts Ungewöhnliches wäre. Denn hier kann einfach alles passieren – und das tut es auch. Während ein John Irving, Meister der genial-abstrusen Einfälle, genau weiß, wann es genug ist, legt die amerikanische Autorin noch eins nach. Und noch eins. Holla die Waldfee! Freilich kann sie schreiben. Sehr gut sogar. Ich mag den lakonischen, knallharten, abgedrehten Ton ihres Buchs, und ich weiß auch ihre originellen Einfälle durchaus zu schätzen. Aber ich muss zugeben: Sie hat mich schlicht mit der Menge dieser Einfälle überfordert. Mir ist beim Lesen die Puste ausgegangen.

Das ist wiederum ziemlich ironisch, denn: Ich langweile mich ja schnell. Und in vielen Büchern passiert mir zu wenig. Aber A. M. Homes hat mir derart viel Stoff geboten, dass ich der Reizüberflutung erlegen bin. Robert Nixons Kurzgeschichten, eine Liaison zwischen Lehrerin und Schülerin, das Abschalten lebenserhaltender Maßnahmen, ein vermisstes Mädchen, das überhaupt keiner kannte, geisteskranke Ärzte und Anwälte – was bei anderen zwei Bücher füllen würde, reicht bei der preisgekrönten amerikanischen Schriftstellerin, die für Auf dass uns vergeben werde den Women’s Prize for Fiction erhalten hat, gerade mal für 50 Seiten. Und das Merkwürdigste ist: Die Figuren im Buch finden das völlig normal. Genau wie die Kritiker, die sich vor Lob nur so überschlagen. Wer also Lust auf ein waghalsiges Abenteuer hat, sollte in diesen Laster einsteigen. Er wird Dinge erleben, von denen er nicht mal zu träumen wagte. Und sich garantiert nicht fadisieren. Neugierig geworden? Ich wünsche gute Nerven – und viel Vergnügen!

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Auf dass uns vergeben werde von A. M. Homes ist erschienen bei Kiepenheuer & Witsch (ISBN 978-3-462-04610-6, 672 Seiten, 22,99 Euro).

Was ihr tun könnt:
– Sophies sehr begeisterte Rezension lesen. Sie beschreibt das Buch als „bösartig-schamloses, liebevolles, zutiefst menschliches und humorvolles Erlebnis“ und hat es mit fünf Sternen bewertet.
– Auf der Website von A. M. Homes vorbeischauen.
– Ein Interview mit der Autorin ansehen.
– Das Buch bei ocelot.de bestellen.

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