Gut und sättigend: 3 Sterne

Hannah Dübgen: Strom

DübgenVier Menschen, vier Länder, vier Geschichten
Ada hat mit ihrer Freundin Judith einen Film über den Gazastreifen gedreht. Doch als Ada das nächste Mal nach Tel Aviv kommt, ist Judith tot – und Ada hat ihre Asche mit, um sie zu verstreuen. Makiko aus Japan hat es durch harte Arbeit bist an die Spitze geschafft: Sie tourt als Pianistin durch Europa. Mit ihrem Manager Gerald, der verheiratet ist, hat sie eine Affäre – und ihre Schwangerschaft kommt ebenso überraschend wie ungeplant. Jason soll in Tokio die Übernahme einer japanischen Firma abwickeln, auf die seine amerikanischen Bosse ein Auge geworfen haben. Luiz, der aus Brasilien stammt, betrügt seine Frau Rachel, mit der er zwei Kinder hat und die sich für den Frieden engagiert, will eigentlich nur fort aus Tel Aviv.

Die junge deutsche Schriftstellerin Hannah Dübgen erzählt in ihrem Debüt Strom von vier völlig verschiedenen Menschen, deren Geschichten ein wenig „interlinking“ sind, lässt sie durch die Welt reisen und nach ein bisschen Glück suchen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie entwurzelt sind und sich nicht dort befinden, wo sie zuhause sind. Sie müssen sich fremden Kulturen stellen und scheitern – vor allem Jason – zum Teil daran. Der Strom im Titel ist nicht die Elektrizität, sondern der Fluss, die Zeit, die uns durch die Finger rinnt. Deshalb ist der Roman auch nicht elektrisierend, sondern bedächtig und ruhig. Die vier Figuren sind nett, interessant, menschlich, aber in ihrer Gewöhnlichkeit auch austauschbar. Das ist in Ordnung, weil es darum geht, vier willkürliche Möglichkeiten zu zeigen, die das Leben in dieser Art tatsächlich bieten könnte. Allerdings fehlen aufkochende Emotionen in diesen zurückhaltenden Stories, die so ganz zufällig ineinanderfließen und sich wieder voneinander entfernen.

Strom ist ein breiter, gerader Fluss, der sich nicht verliert, nirgends versickert – er meint es sehr ernst, es gibt nichts Spielerisches. Auch keine versteckten Felsspitzen, keine Strudel, keine Wasserfälle, nichts, woran ich mich festhalten könnte oder was mein Erstaunen auslösen würde. Ich lasse mich treiben, folge den Erzählungen im Roman, genieße die schöne, makellose, melodische Sprache, vermisse aber das große Aha-Erlebnis. Ich warte sprichwörtlich darauf, dass am Ende eine Bombe explodiert, bin überzeugt davon, dass sie an irgendeinen Körper geschnallt ist, der sich durch Tel Aviv schiebt, aber als es still bleibt, wundere ich mich, wohin die Kraft, die das Buch zu Beginn zu haben schien, verflogen ist. Dies ist ein guter, lesenswerter, empfehlenswerter Roman, an dem mich nichts gestört hat, außer vielleicht, dass einen daran irgendwie nichts stören kann.

Strom von Hannah Dübgen ist erschienen im dtv (ISBN 978-3-423-24972-0, 272 Seiten, 14,90 Euro).

0 Comments to “Hannah Dübgen: Strom”

  1. Das Buch steht hier noch ungelesen im Regal, deine Eindrücke machen mich aber sehr neugierig, so dass ich es wohl auch bald in die Hand nehmen und lesen werde. Ich danke dir für die schöne Besprechung. 🙂

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