Gut und sättigend: 3 Sterne

Howard Jacobson: Liebesdienst

Jacobson„Liebe hemmungslos, und aller Schmerz steht dir offen“
Felix Quinn ist ein Antiquar und ein cuckold. Das bedeutet: Er ist zum einen ein feinsinniger, gebildeter, belesener Mann und zum anderen begierig danach, betrogen zu werden. Seine sexuelle Erregung steht in engem Zusammenhang mit dem Begehren anderer Männer – in Hinsicht auf dieselbe Frau. Felix will leiden, er will von der Eifersucht zerfleischt, betrogen und gedemütigt werden. Und seine Ehe mit Marisa beginnt diesbezüglich vielversprechend, spannt er sie doch ihrem ersten Ehemann aus, was einiges über Marisas moralische Vorstellungen von Treue verrät. Da Marisa allerdings nicht unbedingt Anstalten macht, Felix fremdzugehen, nimmt dieser die Sache selbst in die Hand: Er sucht für seine Frau einen Liebhaber. Der perfekte Kandidat ist der jüngere, arrogante Marius, und Felix plant wie besessen die Affäre seiner Frau mit dem Rivalen. Beinahe furchterregend einfach ist es, Marisa zum Betrügen zu verführen – aber schnell verliert Felix über die Gefühle aller Beteiligten und die daraus resultierenden Ereignisse die Kontrolle.

Liebesdienst ist ein verstörender, ausgeklügelter, intelligenter und quälender Roman. Der britische Erfolgsautor Howard Jacobson macht Ich-Erzähler Felix zum Dreh- und Angelpunkt dieses Buchs, seine Wahrnehmung ist der Filter, der über allen Personen und Geschehnissen liegt. Und er ist eine schwierige, ungefällige, unsympathische Figur, die ich manchmal bemitleiden, dann wieder belächeln muss. Sein eigenes Elend ist ihm stets bewusst, er suhlt sich darin. In erster Linie ist Felix ein Beobachter, und der gesamte Roman besteht sozusagen aus dem inneren Monolog, den er hält, aus seinen Gedanken und Vorstellungen, aus den Urteilen, mit denen er sich seine Welt formt: „Frauen, die fremde Blicke auf ihren Busen lenken wollen, haben immer etwas Bedürftiges“, sagt er, und: „Die Pornografie ist ein heikles Medium. Sie gestattet nur den klaren, kühlen, dunklen Strich sexueller Gewalt und die nachfolgende Stille.“ Einerseits finde ich es durchaus interessant, was Felix über seine Mitmenschen zu sagen hat, andererseits macht diese extrem einseitige Perspektive Marisa und Marius sehr blass. Sie, die eigentlich Handelnden, wirken wie Marionetten, was sie – da Felix die Fäden zieht – auch sind. Viele ihrer Handlungen kann ich nicht nachvollziehen, weil es so aussieht, als hätte eigentlich niemand Spaß an diesem außergewöhnlichen Dreier.

Liebesdienst hat mir bestimmt eine Runzelfalte auf der Stirn beschert – weil ich mich gewundert habe über die Perversionen der menschlichen Natur und weil ich gerätselt habe darüber, ob ich Gefallen finden soll an dieser abstrusen Geschichte. Beantworten kann ich diese Frage auch am Ende nicht. Gereizt hat mich der Roman wegen der hochoriginellen Idee, dass ein Mann seiner Frau einen Liebhaber sucht – und fasziniert hat mich diese Idee während der gesamten Lektüre. Auf manch allzu detailreichen Ausflug in kulturelle Gefilde hätte ich verzichten können, generell aber bietet das Buch viele lesenswerte Informationen über Musik und Literatur. All diese Eigenschaften machen Liebesdienst zu einem richtig anstrengenden Roman, der mich dennoch fesselt und nicht loslässt, der mir haufenweise negative Gefühle gebracht hat, der mich nachdenken ließ und der mir, so zwiegespalten ich ihm auch gegenüberstehe, im Gedächtnis bleiben wird. Und das ist ja das Höchste, was ein Autor mit einer Geschichte erreichen kann.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
ein sehr elegantes und ästhetisch ansprechendes Cover.
… fürs Hirn: allerhand, dies ist ein überaus verkopftes Buch.
… fürs Herz: masochistischer Schmerz und die Wonne darüber.
… fürs Gedächtnis: diese ganze wahnsinnige Leseanstrengung.

Lesenswerte Besprechungen von Liebesdienst findet ihr auch bei Mara und Dorota.

Liebesdienst von Howard Jacobson ist erschienen in der DVA (ISBN 978-3-421-04406-8, 400 Seiten, 22,99 Euro).

0 Comments to “Howard Jacobson: Liebesdienst”

    1. Mariki Author

      Es ging uns ja scheinbar allen recht ähnlich mit diesem Buch … es ist faszinierend, aber auch sehr anstrengend … und dennoch lesenswert, wie du ja auch geschrieben hast.

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  1. Auch ich bedanke mich herzlich für das Verlinken auf meinen Blog. 🙂

    Interessant, dass wir alle die Lektüre ähnlich empfunden haben. Zwischendurch war das Buch sehr anstrengend für mein Empfinden, vor allem die Figur Felix Quinn und doch hatte es etwas, das mich nicht losgelassen hat. Da wäre es ja fast schon spannend gewesen, das Buch in einer Leserunde zu lesen.

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    1. Mariki Author

      Da hast du recht! Es ist ja schon überraschend, dass wir uns so einig sind darüber, dass man irgendwie keine schwarze oder weiße Meinung zu diesem Buch haben kann … es ist allenfalls schwarz-weiß kariert 😉

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