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Norbert Gstrein: Die Winter im Süden

Der Krieg, der Krieg, nichts als der Krieg
Marija ist in Jugoslawien geboren, lebt aber lange schon in Wien. Als sie 50 ist, stehen die Zeichen in ihrem Heimatland auf Krieg, und Marija zieht es nach Zagreb. Ihr Mann und ihre Tochter, die in den USA wohnt, haben dafür kein Verständnis, aber Marija setzt sich durch und verschwindet in der bedrohten Stadt. Während sie dort wild mit einem jungen Soldaten vögelt, erlebt der traumatisierte Polizist Ludwig absurde Situationen in Brasilien als Adjutant im Haus von Don Filipo, der einst als Fallschirmjäger im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Deutschen gekämpft hat. Er ist in Brasilien im Exil mit seiner jungen Frau Claudia, die sich mit Ludwig vergnügt: “Er hatte noch nie eine Frau gekannt, die ihrem Mann mit einer solchen Hingabe Hörner aufsetzte, wie sie es tat, nie eine, die so hartnäckig immer neue Varianten ersann, als gäbe es genauso viele Möglichkeiten, ihn zu betrügen, wie es die Anatomie unter Verrenkungen zuließ, und sie war dabei so laut und wollte es auch sein, daß Ludwig die ganze Zeit auf die Tür starrte und hoffte, es würde davon so wenig nach draußen dringen wie von den Schüssen aus dem Raum nebenan.” Und Don Filipo ist Marijas Vater. Sie glaubt ihn tot, seit sie ein kleines Mädchen war, und hat doch nie aufgehört, auf ihn zu warten: „ (…) ein Warten, das längst nicht mehr das Warten auf ihren Vater war, sondern ein Warten darauf, daß etwas passieren würde, das ihr Leben endlich in Schwung brachte, während sie gleichzeitig nichts mehr fürchtete, als aus ihrem verträumt abwesenden Zustand herausgerissen zu werden.“ In Zagreb, das jederzeit explodieren könnte, findet Marija sozusagen Minuten vor dem Krieg heraus, dass ihr Vater lebt. Und dass er sie sucht.

Norbert Gstrein ist ein mit Preisen bedachter österreichischer Autor, von dem mir derart viel vorgeschwärmt wurde, dass ich mich entschlossen habe, einen seiner Romane zu lesen. Die Winter im Süden handelt von einer Frau und einem Mann, die nichts miteinander zu tun haben und abwechselnd erzählen, von einem Alten, der ein Kriegsfanat ist und noch mal kämpfen will, dieses Mal in Kroatien, und von einem Land, das an jenem Punkt ist, kurz bevor alles überkocht. Norbert Gstrein fackelt nicht lange herum, seine Sätze sind klar, logisch, geradeheraus und wirklichkeitsnah. Anfangs lasse ich mich gefangen nehmen von den Geschichten dieser Menschen, von denen keiner weiß, was er will und wo er es bekommen soll, doch dann merke ich von Seite zu Seite, wie ich aus dem Buch herausrutsche, als säße ich auf einem eisigen Hang. Meine Aufmerksamkeit nimmt ab, mein Unwille nimmt zu, denn es geht um den Krieg, den Krieg, nichts als den Krieg – jenen, der vorbei ist, und jenen, der beginnt – und das ist in Ordnung, doch in diesem Fall langweilt es mich. Aber dafür schäme ich mich, denn was könnte wichtiger sein als das Zuhören und das Erinnern, ich kämpfe mich weiter durch den Roman. Aber weder zu Ludwig noch zu Marija finde ich Zugang, beide Protagonisten bleiben blutleer für mich, ich nehme sie nur in ihren Handlungen wahr und in den Reaktionen der anderen darauf. Immer noch weigere ich mich, mir einzugestehen, dass das Buch mir so fremd bleibt wie die Ereignisse darin, weil man ein derart gepriesenes Buch doch gut finden muss, doch dann kommt das Ende. All die Energie, die sich aufgestaut hat, die ganze Erwartungshaltung, die der Autor aufgebaut hat, verpufft. Und übrig bleibt nichts. Außer mein Gähnen.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
man muss genau hinschauen, das Foto ist toll!
… fürs Hirn: viel altes, gefährliches, nie vergrabenes Gedankengut.
… fürs Herz: nichts, nichts, nichts.
… fürs Gedächtnis: das persönliche Versagen, wieder mal an vermeintlich großer Literatur gescheitert zu sein.

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