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Kim Leine: Die Untreue der Grönländer

Ringelreia in einem grönländischen Dorf
Der dänische Krankenpfleger Jesper kommt für ein Jahr in die Krankenstation eines kleinen Dorfs am östlichen Rand Grönlands. Er leitet sie zusammen mit einer Krankenschwester, einen Arzt gibt es nicht. Angesichts der Probleme ist Jesper oft hilflos: In Grönland stirbt man schnell. Man stirbt an einer Eileiterschwangerschaft, an einer Kopfverletzung, an einer Lungenentzündung – weil niemand da ist, der operieren kann; weil der dänische Hubschrauber wegen eines Sturms nicht fliegen kann. Jesper versucht sich mit Frauen abzulenken. Ob verheiratet oder nicht, spielt dabei keine Rolle, denn die Grönländer nehmen es mit der Treue überhaupt nicht genau. Sie spielen gern Karten, sitzen auf dem Boden und essen vergorenes Robbenfleisch. Das Leben ist beschwerlich, es ist kalt, stürmisch und dunkel, die Laune ist nicht immer die beste, Komfort sucht man vergebens. Und so vertreiben sich die Grönländer so gut es geht die Zeit, hier an diesem Ort, den man das Ende der Welt nennen könnte, wäre die Erde nicht rund.

“Die Handlung dieses Buches könnte sich in nahezu jeder der sechzig übrigen Siedlungen Grönlands abspielen, denn die Stimmung ist immer die gleiche: die Nähe zum Meer, die Gemütsschwankungen, die parallel zum Wetterwechsel verlaufen, die Schlepperei beim Beschaffen von Wasser und Heizöl, das Gefühl der Ausgesetztheit, Geborgenheit, Sorge, Vertrautheit”, schreibt der dänische Autor Kim Leine über sein Buch Die Untreue der Grönländer.Er stellt darin in einer Art „interlinking short stories“ ein grönländisches Dorf anhand seiner einzelnen Bewohner vor. Jedes Kapitel ist einem anderen Menschen gewidmet, aber sie gehören zusammen, erwähnen einander in ihren persönlichen Geschichten, weil sie Haus an Haus leben – und es gar nicht viele Häuser gibt in dieser Gegend. Die Bezugsperson im Buch, die alles locker zusammenhält, ist der Krankenpfleger Jesper, der aus Dänemark für ein Jahr nach Grönland kommt. Es ist möglich, dass Die Untreue der Grönländer für viele Leser ein interessanter Roman ist – aber mir ist es nicht gut ergangen damit.

Mich haben der Titel und die Aussicht, etwas über die Lebensart der Grönländer zu erfahren, angezogen, doch das Buch hat mich trotz der ersehnten Informationen über Grönlands Einwohner gelangweilt. Das liegt vielleicht daran, dass in Grönland nicht viel passiert und dass es irgendwann nicht mehr so aufregend ist, wenn jeder mit jedem ins Bett geht. Ich hatte zudem meine Schwierigkeiten damit, mich bei jedem Kapitel auf eine neue Persönlichkeit einzulassen, deren Schicksal dem der anderen immer irgendwie ähnelt. Kim Leines Erzählton konnte mich einfach nicht fesseln, aber nicht einmal das kann ich an einem konkreten Beispiel festmachen – im Gegenteil, denn einige Sätze haben mir außerordentlich gut gefallen, sie beweisen Kim Leines Schreibtalent: „Ein dänischer Vater oder Großvater hat ihre Haut gebleicht, einige Sommersprossen über die Nase verstreut und ihr diesen hellen, nebligen Schimmer in die Augen gelegt“ gehört dazu, genau wie: „Wenn er etwas sagen will, kommen die Wörter viel zu schnell angestürmt, wie panische Bewohner eines brennenden Hauses, die alle auf einmal hinausstürzen und die Tür blockieren.“ Das waren Satzperlen, nur gab es leider zu wenig davon. Und inhaltlich hat mich der sexuelle Ringelreia-Reigen der Grönländer auch nicht überzeugt. Letztlich lässt es sich vielleicht so ausdrücken: Ich konnte einfach keine Geduld für diesen Roman aufbringen. Aber ich wünsche anderen Lesern, dass sie es können.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
ein gut gemachtes, originelles Cover. Der Titel ist Programm!
… fürs Hirn: der Gedanke: Alter Schwede, dort würde ich nie leben wollen.
… fürs Herz: die eine oder andere Liebschaft im grönländischen Dorf.
… fürs Gedächtnis: mein seltsamer Unwille diesem sperrigen Buch gegenüber.

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