Netter Versuch: 2 Sterne

John Boyne: Das Haus zur besonderen Verwendung

Drama pur im Russland des letzten Zaren
Georgi ist der Sohn eines Bauern in einem winzigen russischen Dorf. Im Jahr 1915 ist er 16 und verhindert – eigentlich ohne Absicht – ein Attentat auf einen Verwandten von Zar Nikolaus II. Zum Dank wird er nach St. Petersburg gebracht und zum Leibwächter des jungen Zahrensohnes ernannt. Georgis Leben ändert sich radikal: Gerade musste er noch hungern und auf dem Lehmboden schlafen, jetzt wohnt er in einem Palast, macht Ausflüge auf der Jacht, flaniert durch den Park und hat reichlich zu essen. Mit dem kleinen Zarewitsch freundet er sich an, an dessen Schwester Anastasia verliert er sein Herz. Und Georgi kann all sein Glück kaum fassen: Anastasie liebt ihn ebenfalls. Doch die Zeiten sind gefährlich für die Zarenfamilie – und Georgi. Viele Jahrzehnte später ist Georgi über 80 und lebt seit Langem mit seiner Frau Soja in London. Und er denkt zurück an alles, was damals in Russland geschehen ist …

Um die ermordete Zarenfamilie rund um Nikolaus II. ranken sich viele Legenden und Mythen. Mit 13 Jahren habe ich eine faszinierende Biografie über die Romanows gelesen, deren Knochen damals gerade erst offiziell entdeckt und bestattet worden waren, und einiges über die russische Revolution gelernt. John Boyne, der mit dem Jungen im gestreiften Pyjama Weltruhm erlangt hat, versetzt seinen Ich-Erzähler Georgi direkt zurück in die Zeit des Ersten Weltkriegs und der Unruhen in Russland: Er erweckt das Jahr 1915 und den längst verblassten Glanz von St. Petersburg zum Leben. Sein Georgi ist in der Gegenwart ein alter Mann, sehr ruhig, bedächtig, einer, der viel erlebt und alles überlebt hat. So viel wissen wir also von Anfang an. Nun stirbt seine geliebte Frau Soja, die stets an seiner Seite war, und Georgi ist erschüttert. Schrittweise gibt er Jahr für Jahr seiner Erinnerungen preis, bis zu jenem Punkt, an dem mit der Ermordung der Zarenfamilie alles zusammenläuft. Das Haus zur besonderen Verwendung ist ein angenehmes, mäßig spannendes, manchmal etwas langatmiges Buch, das mir gefallen, mich aber nicht begeistert hat. Ich mag die Figuren, weiß aber – da die Ereignisse von 1918 hinlänglich bekannt sind – zu viel über ihr ausstehendes Schicksal, als dass ich richtig mitfiebern und in ihre Geschichte eintauchen könnte. Zudem muss ich oft daran denken, dass sogar Walt Disney sich des Anastasia-Stoffs angenommen hat, und das ist mir alles zu lieblich, zu überdramatisiert, zu kitschig. Ich glaube, dass John Boyne ein guter Autor ist, ich aber sein schlechtestes Buch erwischt habe.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
ein Cover, das Sinn macht.
… fürs Hirn: Geschichtsunterricht mit inkludierter Lovestory!
… fürs Herz: sehr viel Pathos.
… fürs Gedächtnis: nicht viel.

0 Comments to “John Boyne: Das Haus zur besonderen Verwendung”

  1. Gaby

    Mal wieder musste ich feststellen, wie unterschiedlich unser Buchgeschmack doch manchmal sein kann : )
    Ich fand dieses hier nämlich ganz großartig, spannend, interessant und mitreißend. Als Leo stirbt, musste ich es sogar einen Moment zur Seite legen, so mitgenommen war ich…

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