Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Olivier Sillig: Skoda

Im Krieg überlebt nur die Liebe
Als Stjepan erwacht, sind seine Kameraden tot, gestorben wie so viele in einem unbenannten Krieg. Er ist verletzt, seine Erinnerung ist lückenhaft, aber er weiß, dass er fort muss. Beim Anblick eines Babys, das an der Brust der toten Mutter liegt, ist er so erfüllt von Mitgefühl, dass er es mitnimmt. Für ihn allein ist der Fußweg durch die unsichere Gegend gefährlich, für den Säugling ist das Fehlen von Nahrung lebensbedrohlich. Stjepan kümmert sich mit seiner ganzen Kraft um das Kind, das er Skoda nennt, nach der Marke des Autos, in dem er es fand. Nichts verbindet ihn mit diesem Baby, zu nichts ist er ihm gegenüber verpflichtet, außer vielleicht zu Menschlichkeit, und so lässt Stjepan Schlimmes über sich ergehen, um Skoda zu retten. Das Land ist leer und verödet, die Gefahr steht an jeder Ecke bereit. Der junge Soldat kämpft gegen jede Wahrscheinlichkeit um eine Zukunft, um das Leben, um die Liebe.

Auf gerade einmal 80 Seiten entsprinnt der französische Autor Olivier Sillig eine tragende Parabel von exzellenter Wucht. Den Krieg, von dem er erzählt, begründet er nicht, weil er, wie jeder Krieg, sinnlos ist, und das Land, in dem gemordet wird, hat keinen Namen, weil es jedes Land sein könnte. Die Worte, die Olivier Sillig verwendet, sind nicht groß und protzig, nicht wild und vorlaut, sondern klein, zart, leise – und deshalb umso gewichtiger. In dieser kurzen Erzählung harmonieren Inhalt und Stil perfekt miteinander. Als ich das Buch schließe, habe ich das Gefühl, dass Ollivier Sillig darin alles gesagt hat, was es über die Menschen zu sagen gibt: dass sie unendlich brutal und gewissenlos sind – aber gleichzeitig fähig zu bedingungsloser Liebe. Sie bekriegen einander, aber sie helfen einander auch. Skoda ist ein Roman voller Resignation und voller Hoffnung. Mit dem Ende bin ich nicht zu 100 Prozent einverstanden, weil es mir im Detail nicht ganz realistisch erscheint und weil es den letzten Satz definitiv nicht gebraucht hätte, aber im Großen und Ganzen ist es ein stimmiger, logischer, sinnvoller Schluss. Ergreifend ist Skoda, schonungslos und klug. Mit diesem Buch ist es wie mit allen Büchern, die wirklich gut sind: Es zu lesen, schmerzt. Weil jeder Satz darin eine Wahrheit offenbart, vor der ich nur allzugern die Augen schließen würde. Weil das Leben grausam ist. Weil es immer, immer so weitergehen wird. Und weil am Ende nur die Hoffnung bleibt, dass die Liebe stets ein bisschen, ein kleines bisschen stärker sein wird.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
ein sehr schönes Cover!
… fürs Hirn: Menschheitshass.
… fürs Herz: Stjepan und das, was er tut: Er rettet ein Kind.
… fürs Gedächtnis: nicht nur das Buch, sondern auch der vilgerverlag aus der Schweiz, den ich bisher nicht kannte und von dem ich mir gleich das nächste Buch gekauft habe, nämlich Sieben Jahre Schlaf von Karin Richner. Bemerkung am Rande: eine wirklich originelle Idee hat der bilgerverlag für die Buchrücken!

Skoda ist erschienen im bilgerverlag (ISBN 978-3-03762-023-6, 84 Seiten, 17 Euro).

0 Comments to “Olivier Sillig: Skoda”

  1. Liebe Mariki

    Vielen Dank für deine schöne Rezension und den Link zum Verlag. Weisst du, wie oft ich in letzter Zeit an dieser Adresse vorbeispaziert bin, ohne zu wissen, dass hinter diesen Mauern und Fenstern etwas Kostbares entsteht? Da muss ich nach den Ferien unbedingt einmal reinstechen, wenn ich wieder im Lande bin.

    LG buechermaniac

    Reply

Leave a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.