Netter Versuch: 2 Sterne

Giacomo Cacciatore: Der Sohn

Warum müssen Protagonisten erwachsen werden?
Es ist ein Phänomen, das ich schon öfter beobachtet habe: Bücher, die mit einem Kind als Hauptdarsteller beginnen und dieses Kind dann erwachsen werden lassen, verlieren ihren Zauber. Das ist auch beim vorliegenden Roman der Fall: Die erste Hälfte ist gar wunderbar, voller liebevoller Sprachbilder. Der 9-jährige Giovanni erzählt vom Leben in einer italienischen Kleinstadt, in der die Männer sich jeden Tag in der Pasticceria Francese treffen und ohne Worte kommunizieren, in der Menschen verschwinden und Familien in Gefahr sind. Wir schreiben die 70er Jahre, es geht um die Mafia, es geht um die richtigen Freunde , um Schweigen und Ehre. Das alles schildert der kleine Giovanni durch seine Augen – er bewundert seinen Vater, einen korrupten Polizisten, und ärgert sich über seine Mutter, die “hys-te-risch” ist. Er liebt seinen Farbfernseher und amerikanische Serien, er mag Bonbons, aber er hört und sieht vieles, das ihm unheimlich erscheint.

Und dann gibt es diesen Bruch. Knapp nach der Hälfte ist Giovanni plötzlich erwachsen oder zumindest 16, was sich nur aus Randbemerkungen erkennen lässt, die Zeiten haben sich geändert, der Ton des Buches auch. Bereits zuvor blieb vieles ungesagt und daher unklar, nun wird das jedoch zu einem echten Problem – man kann den Ereignissen teilweise nicht mehr ganz folgen. Eine zweite Familie des Vaters taucht aus dem Nichts auf und es zeichnet sich ein Drama ab. Das ist verwirrend. Ich kann diesem erwachsenen Giovanni nichts mehr abgewinnen, im Kontrast zum kindlich-naiven Erzählen wirkt sein Blick nun abgestumpft, gelangweilt, desinteressiert. Seine Gefühle werden nicht mehr deutlich, es scheint, als hätte er keine – und das, wo gerade sein Leben völlig zerbricht. Gerade nach diesem vielversprechenden Anfang ist die zweite Hälfte des Buchs extrem enttäuschend. Ich wünsche mir nicht unbedingt, dass alle immer Kinder bleiben und nie erwachsen werden. Ich wünschte mir nur, dass ein Autor es schaffen würde, auch bei einem erwachsenen Erzähler den detailgenauen und lesenswerten Stil aufrechtzuerhalten.

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